BGB Allgemeiner Teil I. Achim Bönninghaus
das Rechtsgeschäft.[3] Mit ihm kann eine Person nach ihrem Willen rechtlich verbindliche „Wirkungen“ (vgl. § 158) schaffen, also zum Beispiel Ansprüche begründen, aufheben, abtreten, Eigentum übertragen, Verträge anfechten, kündigen oder durch Rücktritt auflösen.
Beispiel
Nehmen wir als Beispiel für unsere Betrachtung einen Kaufvertrag:
Der Kaufvertrag i.S.d. § 433 ist ein Rechtsgeschäft mit dem Ziel der Begründung eines Anspruchs auf Übereignung und Übergabe einer mangelfreien Sache einerseits und eines Anspruchs auf Kaufpreiszahlung andererseits;
die Anfechtung eines Kaufvertrages ist das Rechtsgeschäft zum Zwecke der Vernichtung des Kaufvertrages (§ 142 Abs. 1) wegen Willensmängeln eines Vertragspartners;
die Aufrechnung des Käufers gegen die Kaufpreisforderung verfolgt das Ziel der Tilgung der Kaufpreisforderung ohne Zahlung durch Verrechnung mit einer Gegenforderung;
der Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag führt zur Rückabwicklung des Vertrages nach §§ 346 ff. – etwa wegen eines Mangels des Kaufgegenstandes (§§ 437 Nr. 2, 323);
mit der Abtretung (§ 398) wird eine Forderung aus dem Kaufvertrag an einen Dritten übertragen;
die Übertragung des Eigentums am Kaufgegenstand auf den Käufer zum Zwecke der Erfüllung der Verkäuferpflicht gem. § 433 Abs. 1 geschieht durch das Rechtsgeschäft der Übereignung gem. §§ 929 ff. oder §§ 873, 925;
durch Vereinbarung einer Stundung der Kaufpreisforderung zwischen Verkäufer und Käufer wird die Fälligkeit der Forderung verschoben.
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Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie begründet eine Pflicht des Gesetzgebers, „die Privatautonomie so auszugestalten, dass der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben ein angemessener Betätigungsraum eröffnet wird.“[4] Das BVerfG stellt bei der verfassungsrechtlich gebotenen Ausgestaltung der Privatautonomie aber nicht nur den Aspekt der Gewährleistung aktiver Teilnahme, sondern daneben auch die Schutzaufgabe des Staates in den Vordergrund – das BVerfG formuliert das so:[5]
„Mit der Pflicht zur Ausgestaltung der Privatrechtsordnung stellt sich dem Gesetzgeber ein Problem praktischer Konkordanz. Am Zivilrechtsverkehr nehmen gleichrangige Grundrechtsträger teil, die unterschiedliche Interessen und vielfach gegenläufige Ziele verfolgen. Da alle Beteiligten des Zivilrechtsverkehrs den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG genießen und sich gleichermaßen auf die grundrechtliche Gewährleistung ihrer Privatautonomie berufen können, darf nicht nur das Recht des Stärkeren gelten. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. (…) Allerdings kann die Rechtsordnung nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt ist. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit darf ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden.
Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lässt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muss die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen. Das folgt aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG).“
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Unsere Rechtsordnung muss also zum einen jedem die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglichen, also nicht nur denjenigen, die juristisch und kaufmännisch geschult sind. Und sie muss diejenigen schützen, denen typischerweise eine vernünftige und sachgerechte Vornahme eines Rechtsgeschäfts allgemein oder in bestimmten Situationen verwehrt ist. Diese Menschen sollen dann vor den wirtschaftlichen Nachteilen angemessen bewahrt werden, die durch eigene unvernünftige Rechtsgeschäfte entstehen können (Ausfluss des Sozialstaatsprinzips). Die privatautonome Gestaltungsfreiheit ist somit nicht grenzenlos. Der Gesetzgeber setzt der Gestaltungsfreiheit des Einzelnen zum Schutz anderer Personen Schranken. Die rechtlichen Wirkungen eines Rechtsgeschäfts sind daher nur verbindlich, soweit das Rechtsgeschäft nicht Grenzen überschreitet, die der Gesetzgeber aus Schutzgründen gesetzt hat.
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Der Gesetzgeber kommt diesen Regelungsaufgaben mit unterschiedlichen Instrumenten nach.
Zum einen schafft er „dispositive Normen“, man spricht auch von „nachgiebigen“ Normen. Diese Normen stehen „zur Disposition“, man kann sich also über die dort getroffenen Regelungen hinwegsetzen und etwas anderes bestimmen. Mit solchen dispositiven Normen will der Gesetzgeber Regeln zur Verfügung stellen, die typischerweise für einen angemessenen und fairen Interessenausgleich sorgen. Sie gelten, wenn nichts Abweichendes vereinbart ist und dem beiderseitigen Parteiwillen nicht erkennbar widersprechen.[6] Ohne solche Normen müssten wir bei allen Verträgen stets eigene Regeln formulieren und verhandeln. Diejenigen, die juristisch und kaufmännisch ungebildet sind, wären damit schnell überfordert und klar im Nachteil. Es gäbe außerdem keine schnelle Abwicklung von Geschäftsvorgängen mehr und unsere Rechts- und Wirtschaftsordnung wäre im wahrsten Sinne des Wortes lahmgelegt.
Beispiel
Beim alltäglichen Einkauf bestimmen Verkäufer und Käufer regelmäßig nur den Kaufgegenstand und den Kaufpreis. Alles andere wird nicht verhandelt. Ohne die dispositiven Regelungen im BGB wäre ein solcher Vorgang höchst riskant. Wann muss der Käufer den Preis bezahlen und was ist, wenn der ihn nicht bezahlt? Hier helfen die § 271 (Fälligkeit und Erfüllbarkeit), §§ 280 ff. (Schadensersatz bei Leistungsverzögerung) und §§ 320 ff. (Zurückbehaltungs- und Rücktrittsrecht).
Was passiert, wenn die gekaufte Sache mangelhaft ist und für welche Mängel haftet der Verkäufer? Hier helfen die §§ 434 ff. (Rechte des Käufers bei Mängeln).
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Allein mit dispositiven Normen kann der Gesetzgeber aber die strukturell unterlegenen Personen nicht davor schützen, im Einzelfall „über den Tisch gezogen zu werden“. Denn der stärkere oder zumindest erfahrenere Partner wird ja dafür sorgen, dass im Vertrag von den dispositiven Regeln abgewichen und etwas für ihn Günstigeres vereinbart wird, insbesondere durch Einsatz Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB).
Immer dann, wenn der Gesetzgeber mit bestimmten Vorgaben den Schutz einzelner Personenkreise sicherstellen will, ordnet er diese mit zwingenden Regelungen[7] an. „Zwingend“ bedeutet, dass jede Person gezwungen ist, diese Regelung zu beachten und durch Rechtsgeschäft nichts Abweichendes wirksam bestimmen kann. Manchmal sieht der Gesetzgeber Heilungsmöglichkeiten vor, wenn der Schutzzweck für die Nichtigkeit entfallen ist. Der Schutzzweck und etwaige Heilungsmöglichkeiten werden in dieser Skriptenreihe bei dem jeweiligen Tatbestand dargestellt.
Beispiel
Eben haben wir gesehen, dass für den Kaufvertrag eine Fülle dispositiver Vorschriften gelten. Aber auch viele zwingende Vorschriften finden auf ihn Anwendung:
So kann ein Kaufvertrag durch Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen wegen § 105 Abs. 1 nicht zustande kommen.
Ein wucherischer Kaufvertrag ist nach § 138 Abs. 2 (unheilbar) nichtig.
Für den Grundstückskauf gilt die in § 311b Abs. 1 S. 1 angeordnete notarielle Beurkundung. Ein ohne Beachtung dieser Form geschlossener Vertrag ist nichtig (§ 125 S. 1), kann aber immerhin dann wirksam werden, wenn die Auflassung und Eintragung im Grundbuch erfolgen (§ 311b Abs. 1 S. 2).
Die Haftung wegen Vorsatzes können weder Verkäufer noch Käufer im Vertrag ausschließen (§ 276 Abs. 3).
Sofern zwingende Vorschriften vorsehen, dass nur Abweichungen