AGB-Recht. Martin Schwab
mit dem Bürger ein ausgewogenes Gefüge von Rechten und Pflichten sicherzustellen.
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Vom soeben gebildeten Beispiel 10 sind andere, im Ansatz ähnlich scheinende Fallgestaltungen strikt zu unterscheiden: So sind die §§ 305 ff. BGB anwendbar, wenn der Anschluss- und Benutzungszwang dadurch vollzogen wird, dass die Gemeinde mit den Nutzern privatrechtliche Verträge schließt und erst in diesen die Haftungsfreizeichnung bestimmt ist. In gleicher Weise sind „Vertragsbedingungen“ (und damit bei Vorligen der weiteren Voraussetzungen AGB) gegeben, wenn der Verwender auf der Basis einer öffentlich-rechtlichen Satzung gegründet worden ist und deren Bestandteile sodann in Verträge mit seinen Vertragspartnern übernimmt. Deshalb sind z.B. die Vorschriften der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder AGB, weil sie in Gruppenversicherungsverträge zwischen der VBL und den angeschlossenen Arbeitgebern übernommen werden[5]. Desgleichen finden die §§ 305 ff. BGB Anwendung, wenn eine Gemeinde für ein Schwimmbad eine Benutzungsordnung durch Satzung festlegt und sich in dieser Satzung eine Haftungsfreizeichnung findet[6]: Zutritt erlangen die Besucher des Schwimmbades nur dadurch, dass sie eine Eintrittskarte lösen, m.a.W. einen Vertrag mit der Gemeinde schließen. Erst durch diesen Vertrag gelangen sie in den Geltungsbereich der Benutzungssatzung. Die Geltung der Satzung für den konkreten Besucher wird damit erst durch Vertrag begründet; damit wirken sich die Satzungsbestimmungen wie AGB aus. Ebenso gelten die §§ 305 ff. BGB bei öffentlich-rechtlichen Verträgen kraft der Verweisung in § 62 VwVfG[7].
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Der Rechtscharakter eines vertraglichen Regelwerks als AGB wird des weiteren nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Gesetz den Verwender verpflichtet, für seine Vertragsabschlüsse standardisierte Regeln aufzustellen; so sind die im Gefolge des § 78 BörsG a.F. erlassenen Regeln der Deutschen Börse AG für die Zulassung von Aktien zum Neuen Markt AGB[8]. Schließlich gelten die §§ 305 ff. BGB auch dann, wenn die AGB von einer Behörde genehmigt worden sind[9]: Sie sind selbst in diesem Fall darauf gerichtet, Bestandteil von Vereinbarungen zwischen dem Verwender und dem Vertragsgegner zu werden. Freilich gelten hier im Einzelfall großzügigere Maßstäbe bei der Einbeziehungskontrolle (§ 305a BGB) und bei der Inhaltskontrolle (z.B. § 309 Nr. 7, Hs. 2).
Anmerkungen
OLG Bremen OLG-Report 2006, 195, 196 (für Elektrizitätsversorgung – AVB-EltV); NJW 1998, 3583 (für satzungsmäßige Entgeltordnung einer öffentlichen Bibliothek); Staudinger NJW 1999, 3664, 3665 (für Eisenbahnverkehr – EVO).
So aber MK/Basedow BGB, § 305 Rn. 8.
Richtlinie 93/13/EG.
So aber Hirte FS für Ulmer, 2003, S. 1153, 1160 ff.
BGHZ 48, 35, 40 f.; 139, 333, 339; BGH NJW 1999, 3558.
Im Ergebnis ebenso OLG München BB 1980, 496.
Vgl. Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack AGB-Recht, § 305 Rn. 14.
LG Frankfurt NJW-RR 2002, 124, 126.
Zutreffend BGHZ 86, 284, 291.
Teil 1 Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen › 2. Kapitel Die „Vorformulierung“ für eine „Vielzahl“ von Verträgen
2. Kapitel Die „Vorformulierung“ für eine „Vielzahl“ von Verträgen
Inhaltsverzeichnis
I. Die Gefährdungslage bei der Verwendung von AGB
II. Vorformulierung
III. Vielzahl von Verträgen
I. Die Gefährdungslage bei der Verwendung von AGB
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Nicht jede Vertragsbedingung, die von einem Teil einseitig in den Vertrag eingeführt wird, ist AGB. Die Einbeziehungskontrolle (§§ 305 II, 305c BGB) und die Inhaltskontrolle (§§ 307 ff. BGB) rechtfertigen sich vielmehr aus einer typischen Gefährdungslage für den Klauselgegner: Der Verwender legt die Vertragsbedingungen generell seinen Geschäftsabschlüssen zugrunde, um nicht bei jedem einzelnen Abschluss die aus seiner Sicht regelungsbedürftigen Punkte erneut bedenken zu müssen. AGB dienen damit der Rationalisierung des Geschäftsverkehrs. Diese Rationalisierung verursacht beim Klauselgegner gleichsam spiegelbildlich einen erhöhten Verhandlungsaufwand: Wenn er vollumfänglich seine Interessen wahren will, muss er den häufig umfassenden Katalog an Klauseln lesen (was wegen des Kleindrucks häufig schon schwierig genug ist), verstehen (was er wegen der juristischen Fachsprache in den Klauseln oft ebenfalls nicht kann) und ggf. jede einzelne Klausel mit dem Verwender verhandeln. Dies wird der Vertragspartner häufig als zu umständlich empfinden und daher den Vertrag mitsamt den vom Verwender eingeführten Klauseln unterschreiben – dies umso mehr, als er infolge des generalisierenden Charakters nicht davon ausgehen kann, der Verwender werde gerade ihm gegenüber von seinen Klauseln eine Ausnahme machen[1]. Wenn eine Partei vorformulierte Vertragsbedingungen einführt, die sie generell bei ihren Geschäftsabschlüssen verwendet, gibt sie zu verstehen, dass der Vertrag entweder zu diesen Bedingungen oder überhaupt nicht zustande kommt[2]. Der Verwender verschafft sich nach alledem mit Hilfe der Vorformulierung einen strukturellen Verhandlungsvorteil, nämlich die Möglichkeit, seinem Vertragspartner missbräuchliche Klauseln unterzuschieben im Vertrauen darauf, dieser werde sie entweder nicht bemerken oder mangels greifbarer Alternativen akzeptieren – oder auch einfach deshalb hinnehmen, weil er die Kosten und Mühen scheut, die damit verbunden sind, fremde AGB zu lesen und zu analysieren: Die Auseinandersetzung mit jenen AGB wird der andere Vertragsteil als prohibitive Transaktionskosten empfinden.
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Diese typische Gefährdungslage besteht konsequent nur dann, wenn tatsächlich Vertragsbestimmungen mit derart allgemeingültigem Charakter in den Vertrag eingeführt werden. Deshalb spricht das Gesetz nur dann von AGB, wenn die Vertragsbedingungen für eine „Vielzahl“ von Verträgen „vorformuliert“ sind. Die Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale hat sich am soeben beschriebenen Zweck der AGB-Kontrolle auszurichten.
Anmerkungen
Instruktiv dazu OLG Celle NJW 1978,