AGB-Recht. Martin Schwab
Beispiel 18
V verkauft an K mit notariellem Vertrag eine schlüsselfertig zu errichtende Eigentumswohnung. Der Notar legt dabei einen Mustervertrag zugrunde, nach dem die Gewährleistung des Verkäufers für sichtbare und unsichtbare Sachmängel komplett ausgeschlossen wird.
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Notarielle Vertragsformulare wie im Beispiel 18 werden von keiner Vertragspartei „gestellt“, sondern vom Notar als einem unparteiischen Dritten in den Vertrag eingeführt. Ihre Verwendung kann also jedenfalls grundsätzlich weder dem Verkäufer noch dem Käufer[30] zugerechnet werden. Es handelt sich daher nach der Begriffsbestimmung des § 305 BGB nicht um AGB. Die §§ 305 ff. BGB sind folgerichtig nach ganz h.M. nicht anzuwenden[31]. Das überzeugt jedenfalls insoweit, als eine direkte Anwendung dieser Vorschriften ausscheidet (zu einer analogen Anwendung unten Rn. 125). Namentlich verfängt die Überlegung nicht, die Partei, die sich auf eine sie begünstigende Klausel berufe, mache sich diese einseitig zunutze[32]: Das Merkmal des „Stellens“ von AGB muss bereits bei Vertragsschluss erfüllt sein[33] und nicht etwa erst im konkreten Konfliktfall, wenn eine Partei die Klausel zur Behauptung ihrer Rechtsposition heranzieht; und außerdem ist die Frage des „Verwenders“ von AGB völlig unabhängig davon zu beurteilen[34].
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Der BGH gibt sich freilich mit dieser Feststellung nicht zufrieden, sondern hält eine Inhaltskontrolle nach § 242 BGB für geboten[35]. Wenn nämlich der Notar auf formelhafte Klauseln zurückgreife, die erfahrungsgemäß in gängigen Formularverträgen enthalten seien, bestehe die Gefahr, dass der juristisch nicht vorgebildete Erwerber der Immobilie durch solche Klauseln überrumpelt werde. Der Notar, der solche Klauseln verwende, habe daher den Erwerber über die einschneidenden Rechtsfolgen des Gewährleistungsausschlusses besonders zu belehren; dem Erwerber müsse klar vor Augen geführt werden, dass er wegen Mängeln der verkauften Immobilie keine Ansprüche gegen den Verkäufer geltend machen könne. Einer solchen Fürsorge für den Erwerber bedürfe es auch deshalb, weil die verwendeten Klauseln den Anschein der Rechtmäßigkeit, Vollständigkeit und Ausgewogenheit verbreiteten. Bleibt zwischen den Parteien streitig, ob eine derart eingehende Erläuterung erfolgt ist, trifft die durch die Klausel begünstigte Partei (also im Beispiel 18 den Verkäufer V) die Beweislast[36].
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Tipp
Die Inhaltskontrolle nach § 242 BGB greift nur ein, wenn eine ausführliche Belehrung des Erwerbers über Klauseln, welche seine Rechtsposition entscheidend nachteilig berühren, unterblieben ist. Im Mandantengespräch ist daher nach den konkreten Umständen zu fragen, unter denen der Vertrag beurkundet wurde: Hat der Notar sich um die Erläuterung der Klausel bemüht oder nur stereotyp, ggf. sogar in raschem Tempo, die Klauseln vorgelesen?
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Die Reichweite der soeben wiedergegebenen Rechtsprechung des BGH beschränkt sich auf Haftungsfreizeichnungsklauseln in Verträgen über den Erwerb neuer Immobilien. Denn der BGH hat die Inhaltskontrolle nach § 242 BGB unter anderem damit begründet, dass auf Verträge, welche die Veräußerung neu errichteter oder noch zu errichtender Häuser oder Eigentumswohnungen zum Gegenstand haben, Werkvertragsrecht anzuwenden und der Erwerber daher besonders einschneidend betroffen ist[37]. Dagegen soll eine Inhaltskontrolle nach § 242 BGB nicht stattfinden beim Gewährleistungsausschluss in Kaufverträgen über Altbauten ohne Herstellungsverpflichtung des Verkäufers[38]. Ebenso wenig soll – unabhängig davon, ob Alt- oder Neubauten veräußert werden – die Vereinbarung von Fälligkeitszinsen in Grundstückskaufverträgen[39], die Ermächtigung des Verkäufers von Eigentumswohnungen zur einseitigen Ausgestaltung der Teilungserklärung[40] oder die Vereinbarung einer Maklerprovision im Grundstückskaufvertrag[41] der Inhaltskontrolle nach § 242 BGB unterliegen. Dagegen hat das KG nach § 242 BGB eine Formularklausel in einen notariellen Grundstückskaufvertrag verworfen, wonach der Käufer Verzugszinsen in Höhe von täglich 0,05 % zahlen sollte[42]. Keine ausdrückliche Stellungnahme findet sich in der Rechtsprechung zur Frage, ob die Inhaltskontrolle nach § 242 BGB auch zugunsten eines Unternehmers (§ 14 BGB) stattfindet.
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Bei diesem Stand der Rechtsprechung darf die anwaltliche Beratung nicht stehenbleiben. Die soeben referierte kasuistische Ausdifferenzierung erzeugt Rechtsunsicherheit, weil nicht deutlich wird, bei welchen Formularklauseln eine Inhaltskontrolle stattfindet und bei welchen nicht. Richtigerweise darf die Inhaltskontrolle nicht auf Gewährleistungsausschlüsse in Verträgen über den Erwerb von Neubauten beschränkt bleiben: Das Vertrauen der Parteien in die Ausgewogenheit des notariellen Vertragsgefüges gilt generell und unabhängig vom Vertragsgegenstand und vom Gegenstand der konkreten Klausel. Die Beschränkung der Inhaltskontrolle auf Verträge über Neubauten lässt sich nach der Schuldrechtsreform namentlich nicht mehr mit der Begründung aufrechterhalten, deren Verkauf unterliege dem Werkvertragsrecht und die Beschneidung der werkvertraglichen Gewährleistung treffe den Erwerber besonders hart; denn die Reform hat die Gewährleistungsrechte bei Kauf- und Werkvertrag (§ 437 BGB einerseits, § 634 BGB andererseits) einander weitgehend angeglichen. Es sollte vielmehr ganz allgemein gelten: Wenn der Notar auf Vertragsmuster zurückgreift, anstatt eine für den Einzelfall angemessene Regelung zu suchen, besteht die Gefahr, dass die so erreichte Rationalisierung des Geschäftsverkehrs zu Lasten der inhaltlichen Ausgewogenheit geht. Das Misstrauen gegenüber notariellen Vertragsmustern, das im Ruf nach einer Inhaltskontrolle zum Ausdruck kommt, ist gerade deshalb gerechtfertigt, weil sämtliche Klauseln, für die in der Rechtsprechung eine Kontrolle nach § 242 BGB diskutiert wurde, einseitig die Verkäuferseite begünstigten[43]. Die von den Notaren verwendeten Formulare geben daher keine Gewähr für eine angemessene Verteilung von Rechten und Pflichten.
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In der Literatur stößt freilich die auf § 242 BGB gestützte Inhaltskontrolle selbst in dem Bereich, in dem sie der BGH vornimmt, auf breite Kritik: Sofern die §§ 305 ff. BGB nicht eingriffen, bleibe es dabei, dass das Vertragswerk, das vom Konsens beider Parteien getragen sei, verbindlich gelte. Die auf § 242 BGB gestützte Inhaltskontrolle verstoße daher gegen die Privatautonomie[44]; sie verschiebe die Eigenverantwortlichkeit der Vertragschließenden[45]. Sofern die Parteien bei notariellen Verträgen für schutzbedürftig erachtet würden, sei diesem Bedürfnis durch § 311b I BGB und durch die Vorschriften des Beurkundungsgesetzes abschließend Rechnung getragen[46]. Wenn dem Notar auferlegt werde, den Erwerber besonders ausführlich zu belehren, werde seine Unparteilichkeit in Frage gestellt[47]. Diese Kritik überzeugt nicht und wird sich auch in der Praxis nicht durchsetzen, nachdem der BGH sie in einer ausführlich begründeten Entscheidung verworfen hat[48]. Der Erwerber erwartet vielmehr gerade vom Notar eine ausgewogene vertragliche Regelung – und zwar gerade im berechtigten Vertrauen auf dessen Unparteilichkeit[49]. Greift daher der Notar aus eigener Initiative auf ein Vertragswerk zurück, in dem einseitig die Interessen der Verkäuferseite dominieren, so gebietet es eben jene Unparteilichkeit, der Käuferseite besonders einschneidende Klauseln individuell zu erläutern. Eine Inhaltskontrolle ist daher auch bei notariellen Vertragsformularen geboten; sie sollte allerdings – insoweit entgegen der Ansicht des BGH – nicht auf § 242 BGB, sondern auf eine entsprechende Anwendung der §§ 307 ff. BGB gestützt werden. Das folgt aus einer Parallele zu den oben Rn. 106 ff. erörterten Vertragsmustern, die im freien Handel erhältlich sind und von den Parteien übereinstimmend zugrunde