AGB-Recht. Martin Schwab
ein neutrales und ausgewogenes Vertragswerk. Das gilt bei notariellen Verträgen ebenfalls und sogar in ganz besonderer Weise. Man sollte diese Inhaltskontrolle – auch insoweit entgegen der Ansicht des BGH – nicht von den Umständen des Vertragsschlusses abhängig machen. Denn das Vertrauen der Parteien in die Ausgewogenheit der Regelung wird nicht dadurch erschüttert, dass der Notar sie erläutert, glauben doch die Parteien ungeachtet der einschneidenden Wirkung einzelner Klauseln, dass das Gesamtgefüge des Vertragswerks den beiderseitigen Interessen in gleichem Umfang Rechnung trägt.
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Keine Inhaltskontrolle ist freilich gerechtfertigt, wenn der Notar den Vertrag für den Einzelfall ausformuliert hat: Dann fehlt es an einer für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Regelung und damit an einer AGB-typischen Gefährdungslage[50]. Für notarielle Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ist freilich insoweit § 310 III Nr. 2 BGB zu beachten: Danach gelten insbesondere die §§ 307 ff. BGB selbst dann, wenn eine Klausel für einen einzelnen Vertrag vorformuliert ist, sofern der Vertragspartner infolge der Vorformulierung keinen Einfluss auf sie nehmen konnte. § 310 III Nr. 2 gilt nach herrschender und vorzugswürdiger Ansicht auch für Bedingungen, die von neutralen Dritten vorformuliert und in den Vertrag eingeführt werden (oben Rn. 107). Kann der Verbraucher in einem solchen Fall die Voraussetzungen des § 310 III Nr. 2 BGB nachweisen[51], so unterliegt selbst die notarielle Vertragsklausel der Inhaltskontrolle[52].
c) Von einer Vertragsseite gestellte notarielle Vertragsmuster
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Tipp
Eine Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB findet selbst bei notariellen Formularen nach Ansicht des BGH ausnahmsweise statt, wenn der Notar ein Vertragsformular zugrunde gelegt hat, das von einer Vertragspartei für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert wurde.
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Die Rechtsprechung des BGH, wonach notarielle Vertragsmuster nicht nach §§ 305 ff. BGB, sondern lediglich nach § 242 BGB kontrolliert werden, fußt auf der Prämisse, dass der Notar das Formular aus eigenem Antrieb in die Vertragsverhandlungen eingeführt hat. In diesen Fällen geht der BGH davon aus, dass der Notar unabhängig und das Vertragswerk in der Regel ausgewogen ist[53]. Dann kann in der Tat die Verwendung der Formularklauseln keiner Partei zugerechnet werden; die Klauseln werden dann von keiner Partei „gestellt“. Konsequent sind die §§ 305 ff. BGB anwendbar, wenn der Notar ein Vertragswerk zugrunde gelegt hat, das ihm von einer Vertragspartei zur Verfügung gestellt worden ist. In diesen Fällen macht sich der Notar zum Werkzeug dessen, der das Vertragswerk vorformuliert hat; diese Vertragspartei hat somit die Klauseln „gestellt“ und ist folglich ihr Verwender. Wenn die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 305 I BGB vorliegen (Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen), so sind die betreffenden Klauseln AGB[54]. Namentlich bei Bauträgerverträgen, in denen nach der Lebenserfahrung vielfach verwendete Klauseln (z.B. zum Gewährleistungsausschluss) enthalten sind, spricht nach Ansicht des BGH der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass in Wahrheit der Bauträger – lediglich vermittelt durch den Notar – diese Klauseln gestellt hat[55]. Ebenso handelt es sich um AGB, wenn der Notar bestimmte Klauseln von sich aus für eine Vielzahl von Verträgen entwirft und sodann eine Partei an die Gegenseite herantritt, um sie zum Abschluss des notariellen Vertrags unter Einschluss dieser Klauseln zu bewegen; dann macht diese Partei sich die Klauseln zu eigen, so dass deren Verwendung ihr zuzurechnen ist[56].
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Nicht zulässig ist es freilich entgegen vereinzelten Tendenzen in der Rechtsprechung[57], eine Partei schon deshalb als Verwender eines vom Notar vorgeschlagenen Formularvertrags anzusehen (oder wie ein solcher zu behandeln), weil dieser Vertrag sie einseitig begünstigt. Aus dem Inhalt der Klausel kann, wie der BGH mit Recht klargestellt hat[58], noch nicht zwingend darauf geschlossen werden, wer den Vorschlag zu ihrer Einbeziehung gemacht hat. Das an sich legitime Anliegen, notarielle Formulare, denen es an der gebotenen Ausgewogenheit fehlt, einer Inhaltskontrolle zu unterwerfen, kann man nur dadurch Rechnung tragen, dass man, den oben Rn. 107 vorgetragenen Überlegungen entsprechend, zwar die fehlende AGB-Eigenschaft notarieller Formulare zugesteht, die §§ 307 ff. BGB jedoch ohne Rücksicht auf den Gegenstand des Vertrags, den Inhalt der fraglichen Klauseln und eine etwaige notarielle Belehrung analog anwendet.
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Tipp
Namentlich bei Bauträgerverträgen bestehen daher in der Praxis gute Chancen für den Erwerber der Immobilie, sich gegen nachteilige Klauseln im notariellen Vertrag zu wehren: Es spricht der erste Anschein für das „Stellen“ durch den Bauträger und damit für das Vorliegen von AGB, die der Kontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterliegen. Häufig wird das „Stellen“ durch den Bauträger sogar nach § 310 III Nr. 1 BGB fingiert werden. Und selbst wenn dies nicht der Fall ist, bleibt noch die Möglichkeit einer Inhaltskontrolle nach § 242 BGB.
d) Einbeziehung von AGB bei Internet-Auktionen
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Das Merkmal des „Stellens“ von AGB hat in neuerer Zeit Bedeutung erlangt im Rahmen von Versteigerungen im Internet. Der Vertragsschluss läuft hier rechtstechnisch so ab, dass der Verkäufer den Kaufgegenstand auf der Website des Veranstalters (z.B. ebay, ricardo) präsentieren und einen Zeitraum festsetzen darf, innerhalb dessen potentielle Kaufinteressenten ihre Gebote abgeben können. Die Voraussetzungen für das Zustandekommen des Vertrags werden durch AGB des Veranstalters festgesetzt, mit denen sich beide Seiten vorher einverstanden erklären müssen.
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Beispiel 19
In den AGB eines Veranstalters von Internetauktionen heißt es: „Das Angebot des Antragenden (= des Kaufinteressenten) ist verbindlich und unwiderruflich. Der anbietende Teilnehmer (= der Verkaufsinteressent) erklärt mit der Freischaltung seiner Angebotsseite die Annahme des höchsten wirksam abgegebenen Angebots. Der Vertrag über den angebotenen Kaufgegenstand kommt ohne Erklärung gegenüber dem Antragenden bereits durch die Annahme des Vertragsangebots zustande.“[59]
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Wird die Klausel im Beispiel 19 vom Veranstalter der Auktion in einer Vielzahl von Fällen verwendet, so handelt es sich gewiss um AGB – aber nicht um solche zwischen Verkäufer und Käufer[60]. Keiner von beiden hat die Initiative ergriffen, diese AGB zu verwenden; keiner von beiden hat sie gestellt[61]. Ob damit auch eine Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer ausscheidet[62], ist freilich noch nicht zwingend präjudiziert: Ist nämlich eine der Parteien Unternehmer und die andere Verkäufer, so gelten die AGB des Auktionsveranstalters gemäß § 310 III Nr. 1 BGB als solche des Unternehmers[63]. Sind beide Parteien Unternehmer oder beide Parteien Verbraucher, so kommt immerhin eine entsprechende Anwendung der §§ 307 bis 309 BGB in Betracht[64]. In Rn. 107 wurde gezeigt, dass diese entsprechende Anwendung bereits dann geboten ist, wenn beide Vertragsparteien die Einbeziehung eines Klauselwerks verlangen. Die Situation ist bei Internet-Auktionen freilich nicht in jeder Hinsicht die gleiche; denn die Parteien verlangen nicht nach der Einbeziehung der AGB des Auktionsveranstalters, sondern müssen diese hinnehmen, um die bereitgestellte Internetplattform nutzen zu können. Diese Überlegung spricht indes nicht gegen, sondern für die