AGB-Recht. Martin Schwab
ihrer Geltung einverstanden ist. Dies Einverständnis wird gewöhnlich durch die Unterschrift unter den Vertrag erteilt. Es lässt aber den AGB-Charakter und damit namentlich die Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unberührt; denn es besteht die Gefahr, dass der Kunde nur deshalb unterschrieben hat, weil er keine Zeit hatte, sich mit den Bedingungen im Einzelnen zu befassen, oder weil er mangels juristischer Vorbildung das Klauselwerk nicht verstanden hat, oder weil er geglaubt hat, der Verwender werde bei ihm ohnehin keine Ausnahme von seinen „allgemeinen“ Geschäftsbedingungen machen. Es sind dies all jene Gefahren, welche mit der Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen einhergehen. „Individualabreden“ müssen daher sämtliche dieser Gefahren vermeiden[2]; namentlich muss der Verwender von AGB den mit deren Verwendung üblicherweise einhergehenden Eindruck beseitigen, der Vertrag komme nur zu diesen Bedingungen oder überhaupt nicht zustande[3]. Der BGH stellt folglich mit Recht strenge Anforderungen an eine Individualabrede[4] (und zwar uneingeschränkt auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr[5]):
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Tipp
Klauseln, die an sich sämtliche Begriffsmerkmale von „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ erfüllen, werden nur dann zu Individualabreden, wenn ihr vom Gesetz abweichender Kerngehalt ernsthaft zur Disposition des Klauselgegners gestellt und diesem die Möglichkeit gegeben wird, den Inhalt der Klausel zu beeinflussen. Es muss also der Verwender zur Abänderung der Bedingungen bereit und dies dem Klauselgegner bei Vertragsschluss bewusst gewesen sein.
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Jedenfalls bei umfangreichen bzw. nicht leicht verständlichen Klauseln genügt es nicht, wenn der Verwender allgemein Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Vielmehr kann sich die vorformulierte Vertragsbedingung in diesem Fall nur dann in eine „ausgehandelte“ Vertragsbedingung (also eine Individualabrede) verwandeln, wenn der Verwender die andere Vertragspartei über den Inhalt und die Tragweite der Klausel(n) im Einzelnen belehrt hat[6] oder auf andere Weise erkennbar geworden ist, dass der andere Vertragspartner deren Sinn wirklich erfasst hat. Denn nur so kann der Klauselgegner überhaupt in sinnvolle Verhandlungen mit dem Verwender über die Geltung des Klauselwerks eintreten. Wird diesem Erfordernis nicht Rechnung getragen, so ist nicht gewährleistet, dass der Vertragsinhalt, den der vorformulierte Text ergibt, auch vom Kunden in seinen rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen aufgenommen worden ist, also als Ausdruck seiner rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung gewertet werden kann.
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Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die AGB selbst dann zur Individualabrede werden, wenn die Klausel unverändert in den Vertrag übernommen wird[7]; wichtig ist nur, dass sie auch vom Klauselgegner als in der Sache gerechtfertigt in den rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen aufgenommen wurde und sich dieser nicht lediglich der einseitig gestellten Klausel „unterworfen“ hat[8]. Das wird regelmäßig nur der Fall sein, wenn die Klausel vor ihrer unveränderten Übernahme eingehend und ergebnisoffen erörtert worden ist. Wurde der gesetzesfremde Kerngehalt in diesem Sinne zur Disposition gestellt und erklärt der andere Vertragsteil, dass und warum (!) er über diese Klausel nicht verhandeln will (begründeter Verhandlungsverzicht), sondern letztere hinzunehmen bereit ist, so ist die Klausel i.S.d. § 305 I 3 BGB „ausgehandelt“[9]. Die Begründung, warum auf eine Verhandlung verzichtet wird, muss dann freilich vom Klauselgegner selbst formuliert worden sein[10]. In jedem Fall liegt eine Individualabrede vor, wenn die Klausel auf Wunsch des Gegners tatsächlich in ihrer inhaltlichen Substanz geändert worden ist[11]. Dabei reicht es freilich nicht aus, wenn lediglich die Formulierung, nicht aber der wesentliche Inhalt geändert wird[12]. Es muss, wie gesehen, der gesetzesfremde Kerngehalt zur Disposition gestellt werden. Soll also von einer tatsächlichen Änderung des Vertragstextes darauf geschlossen werden, der Inhalt der Klausel sei zur Disposition gestellt worden, so muss die Änderung am Gefüge von vertraglichen Rechten und Pflichten im Vergleich zur Ursprungsklausel eine spürbare Gewichtsverlagerung zugunsten des Klauselgegners erkennen lassen.
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Dagegen wird eine AGB nicht schon dadurch zur Individualabrede, dass der Verwender dem Gegner Inhalt und/oder Sinn und Zweck der Klausel erläutert[13]; denn solche Erläuterungen führen dem Kunden lediglich vor Augen, warum der Verwender auf der Klausel beharrt, geben ihm aber keinen Spielraum, noch darauf Einfluss zu nehmen, ob und mit welchem Inhalt die Klausel Vertragsbestandteil wird[14]. Ebenso wenig reicht es aus, wenn der Verwender der Gegenseite in einem Vertragsformular die Wahl zwischen zwei Leistungsvarianten belässt, wenn die Bedingungen, unter denen der Verwender sie erbringt, bereits im Vertragsvordruck vollständig ausformuliert sind; denn in diesem Fall kann der Kunde nur eine von zwei fest beschriebenen Leistungsvarianten des Verwenders in Anspruch nehmen, hat aber auf die Bedingungen, die mit der gewählten Variante einhergehen, keinerlei Einfluss[15]. Ganz allgemein liegen daher AGB vor, wenn der Kunde nur die Wahl zwischen bestimmten, vom Verwender vorgegebenen Alternativen hat[16]. Eine Individualabrede liegt auch nicht allein schon deshalb vor, weil der Verwender dem Klauselgegner Vertragsunterlagen zur Prüfung überlässt[17]. Es genügt entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht[18] ferner nicht, dass der Kunde die Klausel zur Kenntnis genommen und verstanden hat und dass die Klausel im Gesamtzusammenhang des Vertrags hinreichend deutlich hervorgehoben war. Denn damit sind bei weitem nicht alle Gefahren beseitigt, denen der andere Vertragsteil ausgesetzt ist: Diesen treffen die fremden AGB nämlich unvorbereitet, er hat kaum Gelegenheit, eigene Gegenvorstellungen zu entwickeln, und erst recht hat er mangels juristischer Vorbildung keine Möglichkeit, diese – so er sie denn doch bilden kann – in eine rechtstechnisch einwandfreie und Unklarheiten im späteren Konfliktfall ausschließende sprachliche Fassung zu kleiden. Es genügt nicht einmal, dass es dem Klauselgegner gelingt, den Umfang der Gesetzesabweichung abzuschwächen, solange der gesetzesfremde Kerngehalt als solcher bestehen bleibt[19].
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Wird eine Klausel nachträglich einvernehmlich geändert, so mutiert sie in der geänderten Form ebenfalls nicht zwangsläufig zur Individualabrede. Wenn nämlich der Verwender zu verstehen gibt, dass er am gesetzesfremden Kerngehalt der Klausel nicht rütteln will und allenfalls zu einer Abschwächung ihres Inhalts bereit ist, setzt sich der AGB-Charakter in der geänderten Fassung fort[20]. Soll also die Klausel in den Rang einer Individualabrede einrücken, muss der Verwender, wenn AGB später geändert werden, abermals bereit sein, deren Inhalt ernsthaft zur Disposition zu stellen[21]. Es gelten mit anderen Worten uneingeschränkt die soeben Rn. 130 ff. beschriebenen Grundsätze.
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Eine Individualabrede wurde aber im Fall einer vorformulierten Klausel angenommen, wonach der andere Teil sich entscheiden konnte, gegen einen Preisnachlass auf bestimmte gesetzliche Rechte zu verzichten[22]: Hier habe es allein in der Entscheidungsgewalt des anderen Teils gelegen, ob er den ihm durch das dispositive Gesetzesrecht gewährleisteten Schutzstandard in Anspruch nehmen oder sich aber bestimmte gesetzliche Rechte gewissermaßen „abkaufen“ lassen wolle. Entscheide sich der Kunde für letzteres, so handle es sich um eine Individualabrede; eine Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB finde folglich nicht statt.
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Wenn ein Vertragsteil ein Vertragsformular aus dem Internet herunterlädt, dem anderen Vertragsteil vorlegt und dieser sein Einverständnis signalisiert, wird das Formular nicht etwa allein schon deshalb zur Individualabrede. Denn wenn der andere Vertragsteil zustimmt, dass das Formular dem Vertragsschluss zugrunde gelegt werde, bedeutet dies nicht mehr als das zur Einbeziehung ohnehin erforderliche Einverständnis des anderen Vertragsteils[23]. Wohl aber liegt eine Individualabrede vor, wenn der eine