AGB-Recht. Martin Schwab
legt, der Nachweis abverlangt wird, er habe die Abweichung vom gesetzlich normierten durchschnittlichen Gebührenfaktor (2,3) ernsthaft zur Disposition gestellt[46].
3. Beweisfragen
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Tipp
Wenn es in einer rechtlichen Auseinandersetzung auf die Frage ankommt, ob eine vorformulierte Vertragsbedingung „im Einzelnen ausgehandelt“ und damit zur Individualabrede geworden ist, so muss erfragt werden, was die Parteien anlässlich der konkreten Klausel besprochen haben. Zur Vorbereitung der Prozessführung sind mögliche Zeugen zu ermitteln, die den Gang der Vertragsverhandlungen aus eigener Wahrnehmung bekunden können.
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Steht fest, dass die Klausel für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert ist, und bleibt streitig, ob der Verwender sie ernsthaft zur Disposition gestellt hat, so trifft den Verwender die Beweislast für das Vorliegen einer Individualabrede[47]. Kann er diesen Beweis nicht führen, so ist die Klausel AGB. Der Beweis der Individualabrede ist nicht schon dadurch geführt, dass der Verwender sich auf dem Vertragsformular mittels einer vorgedruckten Klausel bestätigen lässt, der Vertrag sei individuell ausgehandelt worden. Würde man solche „Bestätigungen“ ausreichen lassen, so wäre es dem Verwender ein leichtes, dem Kunden den Schutz der §§ 305 ff. BGB abzuschneiden[48]. Die formularmäßige Bestätigung des „Aushandelns“ von Klauseln gerät vielmehr ihrerseits mit § 309 Nr. 12 b BGB in Konflikt und ist damit unwirksam[49]. Folgerichtig mutieren AGB auch nicht dadurch zu Individualabreden, dass der Verwender dem Kunden ein vorformuliertes Schriftstück mitgibt, auf dem der Kunde bestätigt, er habe ausreichend Zeit gehabt, diesen durchzulesen, die einzelnen Bestimmungen zu prüfen und zur Kenntnis zu nehmen und erkläre sich mit allen Bedingungen vorbehaltlos einverstanden[50]. Um eine Verwandlung einer vorformulierten Vertragsbedingung in eine Individualabrede beweisen zu können, empfiehlt sich die Anfertigung eines entsprechenden Gesprächsvermerks – und zwar auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr[51]. Und selbst hier ist Vorsicht geboten: AGB werden nicht dadurch zur individualabrede, dass die Parteien sie übereinstimmend zu einer solchen erklären[52]. Denn dies würde darauf hinauslaufen, den Parteien die Möglichkeit zu geben, die Geltung der §§ 305 ff. BGB als Ganzes abzubedingen. Das widerspricht indes zur Gänze dem Schutzanliegen des AGB-Rechts: Die Gefährdung der materiellen Privatautonomie durch ein strukturelles Ungleichgewicht wird nicht dadurch beseitigt, dass die Parteien übereinstimmend erklären, es gebe kein solches Ungleichgewicht. Die Ungleichgewichtslage besteht im Kontext der §§ 305 ff. BGB im Vorformulieren und Stellen von Vertragsbedingungen. Das Vorliegen einer solchen Situation muss objektiv festgestellt werden. Die blanke Notiz, man habe die Klauseln individuell ausgehandelt, genügt folglich zum Nachweis einer Individualabrede nicht. Der Gesprächsvermerk sollte daher genau beschreiben, welche Streitpunkte Gegenstand der Verhandlungen waren. Bei AGB, die von Dritten vorformuliert wurden, kann es freilich zweifelhaft sein, ob die Verwendung von einem Vertragsteil vorgeschlagen wurde oder von beiden. Wer sich hier auf §§ 305 ff. BGB berufen will, muss beweisen, dass die Initiative für die Einbeziehung des Formulars vom anderen Vertragsteil ausging[53]. Gelingt dieser Beweis, ist zu vermuten, dass derjenige, welcher die Einbeziehung angeregt hat, die AGB gestellt hat.
Anmerkungen
Zutreffend BGH NJW 1983, 385, 386.
Zutreffend Heinrichs NJW 1977, 1505, 1507 f.; Jaeger NJW 1979, 1569, 1572 f.; Petev JR 1978, 4, 7; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack AGB-Recht, § 305 Rn. 48.
Zutreffend BGH NJW 1977, 624, 625; NJW 1979, 367, 368.
BGHZ 104, 232, 236; BGH NJW 1977, 624, 625; BGH NJW 1983, 385, 386; BGH WM 1985, 1208, 1209; BGH NJW 1988, 410, 411; BGH NJW 1991, 1678, 1679; BGH NJW 1992, 1107 f.; BGH WM 1995, 1455, 1456; BGH WM 1998, 2297; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 659, 660; OLG Frankfurt NJW-RR 1987, 548; OLG Köln NJW-RR 1988, 654, 655; OLG Köln ZIP 1995, 1636 f.; OLG Stuttgart NZM 2017, 598 Rn. 25.
BGHZ 200, 326 Rn. 27; BGHZ 204, 346 Rn. 33; BGH NJW 2000, 1110, 1111 f.; BGH NJW-RR 2009, 947 Rn. 15; BGH NJW 2013, 856, Rn. 10; BGH NZBau 2016, 213, Rn. 25; ebenso OLG Saarbrücken NZM 2016, 50 Rn. 19; Graf von Westphalen ZIP 2007, 149, 150 ff.; ders. NJW 2012, 2243, 2248; Nieblig MDR 2011, 1399, 1400; ablehnend Berger ZIP 2006, 2149, 2152 f.; Lischek/Mahnken ZIP 2007, 157, 160 f.; Kessel/Jüttner BB 2008, 1350, 1351 f.; Miethaner NJW 2010, 3121, 3127; näher unten Rn. 148 f.
BGH NJW 2005, 2543, 2544; MK/Basedow BGB, § 305 Rn. 40; kritisch Graf von Westphalen NJW 2006, 2228 f.
BGHZ 84, 109, 111 f.; BGH NJW 1988, 410; NJW 1992, 2283, 2285; NJW 2005, 2543, 2544; NJW 2013, 856 Rn. 10; OLG Köln NJW-RR 1988, 654, 655; ZIP 1995, 1636, 1637; LG Hamburg NJW 2002, 3035, 3036; Heinrichs NJW 1977, 1505, 1508; Jaeger NJW 1979, 1569, 1572; Sonnenschein NJW 1980, 1489, 1492; Stoffels AGB-Recht, Rn. 148; vgl. aber auch BGH NJW 2000, 1110, 1112 unverändert übernommene AGB allenfalls unter besonderen Umständen Individualabrede; a.A. – Individualabrede nur, wenn AGB auch tatsächlich geändert wurden – Michalski/Römermann ZIP 1993, 1434, 1439.
Ablehnend zu dieser strengen Sichtweise im unternehmerischen Geschäftsverkehr Müller NZM 2016, 186, 188.
Kähler BB 2015, 450, 453 f.
Kähler BB 2015, 450, 454.
Soergel/Stein BGB, § 1 AGBG Rn. 24. Nach vorzugswürdiger Ansicht ist eine solche abgeänderte Klausel schon nicht „vorformuliert“ im Sinne des § 305 I 1 BGB (zutreffend Jaeger NJW 1979, 1569, 1572; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack AGB-Recht, § 305 Rn. 4748).
BGH WM 1995, 1455, 1456.
BGH NJW 1988, 410; NJW 1991, 1678, 1679.
Zutreffend BGH NJW 1991, 1678, 1679.