Besonderes Verwaltungsrecht. Mathias Schubert
Gemeinschaft eigenverantwortlich zu „regeln“, folgt die kommunale Satzungsautonomie als Befugnis, im Selbstverwaltungsbereich für alle Einwohner maßgebliches Ortsrecht zu setzen[1].
Teil I Kommunalrecht › § 6 Kommunales Satzungsrecht › I. Kommunale Satzungen als Rechtsnormen
I. Kommunale Satzungen als Rechtsnormen
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Kommunale Satzungen stellen originäre Rechtsquellen dar. Sie sind für das jeweilige Zuständigkeitsgebiet geltende generelle Regelungen, die nicht – wie Rechtsverordnungen – der besonderen gesetzlichen Ermächtigung bedürfen[2], sondern deren Legitimität eben unmittelbar auf der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gründet. Auch wenn die Rangordnung der Rechtsquellen Respektierung der jeweils vorrangigen verlangt, so verbleibt dem „Ortsgesetzgeber“ im Rahmen der verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen[3] Vorgaben noch ein beträchtlicher Gestaltungsspielraum, den er in Eigenverantwortung nutzen kann[4]. Nichtsdestoweniger lehnen sich in der Praxis kommunale Satzungen weitgehend allein schon aus Gründen der Rechtssicherheit an entsprechende Mustersatzungen an, die von den kommunalen Spitzenverbänden[5] formuliert und jeweils der neuesten Rechtsprechung angepasst werden.
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Für kommunale Satzungen ist die Grundrechtssphäre in Ansehung der Formulierung mancher Grundrechtsschranke, namentlich in Art. 2 I, 12 und 14 GG, keineswegs tabu. So können etwa die Berufsfreiheit beschränkende Regelungen auf hinreichend konkreter gesetzlicher Grundlage auch im Satzungswege erfolgen. Neben der Einhaltung von Grundrechtsstandards muss der kommunale Satzungsgeber aber auch die Grenzen der Zumutbarkeit im Blick behalten[6]. In erster Linie hat aber der Gesetzgeber darüber zu entscheiden, welche Gemeinschaftsinteressen so gewichtig sind, dass das Freiheitsrecht des Einzelnen zurücktreten muss.
Dazu grundlegend der sog. Facharzt-Beschluss (BVerfGE 33, 125 [157 ff]) im Hinblick auf Satzungen von Ärztekammern: Die sog. statusbildenden Bestimmungen muss der Gesetzgeber erlassen, Einzelheiten können im Satzungswege geregelt werden. Das Bundesverwaltungsgericht sah so denn auch eine kommunale Entsorgungssatzung, durch die dem Einzelhandel ohne entsprechende gesetzliche Absicherung ein Verbot von Einwegerzeugnissen und eine Verpflichtung zur Rücknahme von Abfällen aufgegeben worden waren, als dem Regelungsgehalt des Art. 12 I 2 GG nicht genügenden Eingriff in die Berufsfreiheit an[7].
Angesichts der grundrechtlichen Gewährleistung in Art. 13 GG kann etwa durch kommunale Satzung auch kein Recht zum Betreten von Wohnungen begründet werden[8].
Die Sozialpflichtigkeit von Grundstückseigentümern kann so angesichts deutlicher gesetzlicher Vorgaben – etwa für einen Anschluss- und Benutzungszwang (dazu näher unten Rn 272 ff) – durchaus auch durch kommunale Satzung konturiert werden. Stets gilt, dass die Selbstverwaltungskörperschaften die von den Grundrechten in materieller Hinsicht gezogenen Grenzen mit gleicher Sorgfalt einzuhalten haben wie der Gesetzgeber[9].
Teil I Kommunalrecht › § 6 Kommunales Satzungsrecht › II. Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
II. Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
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Die Voraussetzungen für die Gültigkeit kommunaler Satzungen sind in den Gemeindeordnungen detailliert aufgeführt (vgl Art. 23, 24, 26 bay.GO; § 5 m.v.KVerf; § 10 NKomVG; § 7 GO NRW). Dazu gehören stets ein ordnungsgemäßer Satzungsbeschluss und eine genügende Publikation sowie ggf eine aufsichtsbehördliche Genehmigung.
1. Ordnungsgemäßer Satzungsbeschluss
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Für das Zustandekommen einer gemeindlichen Satzung ist zunächst einmal ein ordnungsgemäßer Beschluss des Gemeinderates als dem zentralen demokratisch legitimierten Gemeindeorgan nötig. Hinsichtlich der Beschlussfähigkeit, der notwendigen Abstimmungsmehrheiten und der von Beratung und Entscheidung ausgeschlossenen Personen kann auf § 4 II dieser Darstellung verwiesen werden.
Besondere Verfahrensvorschriften bestehen im BauGB für Erlass, Änderung und Aufhebung eines Bebauungsplans, der gemäß § 10 BauGB als Satzung zu beschließen ist (s. unten Rn 898 ff).
2. Publikation
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Satzungen sind öffentlich bekanntzumachen. Sie treten, wenn kein anderer Zeitpunkt bestimmt ist, mit dem Tage nach der Bekanntmachung (vgl § 5 IV 4 m.v.KVerf.; § 7 IV 2 GO NRW) bzw eine Woche (Art. 26 I 1 bay.GO) oder 14 Tage (§ 10 III NKomVG) nach ihrer Bekanntmachung in Kraft. Regelmäßig wird durch Rechtsverordnung des Innenministeriums festgelegt, welche Verfahrens- oder Formvorschriften bei der öffentlichen Bekanntmachung von Satzungen einzuhalten sind[10]. Üblicherweise muss die Satzung durch datierte Unterschrift des hierzu befugten Organs (Bürgermeister) ausgefertigt[11] und sodann in vollem Wortlaut in der vorgeschriebenen Form, dh in einem kommunalen Amtsblatt[12], in einer oder mehreren Tageszeitungen[13], sonstigen ortsüblichen Bekanntmachungsblättern[14] oder durch Bekanntmachungstafeln, öffentlich bekannt gemacht werden. Mit Inkrafttreten des NKomVG ist den Kommunen in Niedersachsen zusätzlich die Möglichkeit eröffnet worden, ihre Rechtsvorschriften auch im Internet rechtswirksam zu verkünden, vgl § 11 III, V NKomVG.
3. Aufsichtsbehördliche Genehmigung
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Kommunale Satzungen bedürfen zum Teil der aufsichtsbehördlichen Genehmigung, in der Regel jedoch nur dann, wenn dies gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben ist (vgl § 5 IV 5 m.v.KVerf.; § 176 I NKomVG; § 7 I 2 GO NRW). Das ist etwa bei Bebauungsplänen (§ 10 II BauGB) oder kommunalen Steuersatzungen (Art. 2 III bay.KAG; § 2 II KAG NRW) der Fall.
Eine notwendige Genehmigung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Satzung[15] (so ausdr. § 176 I 1 NKomVG). Im Falle ihrer Versagung kann sie als Verwaltungsakt[16] von der betroffenen Kommune im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden; Dritte haben gegen Erteilung oder Versagung einer solchen Genehmigung als einer Maßnahme der vorbeugenden Kommunalaufsicht[17] hingegen keine Rechtsschutzmöglichkeit[18].
4. Fehlerfolgen
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Kommunale Satzungen, die auch nur an einem einzigen Verfahrens- oder Formmangel leiden, sind entsprechend den allgemeinen Gültigkeitsregeln für Normen nichtig. Aus Rechtssicherheitsgründen enthalten Fachgesetze (vgl die Spezialregelung in §§ 214, 215 BauGB), aber auch die meisten Gemeindeordnungen jedoch die Einschränkung, dass die Verletzung von bestimmten gesetzlichen Verfahrens- oder Formvorschriften beim Satzungserlass – abgesehen von einzelnen zentralen Anforderungen – unbeachtlich ist oder nach Ablauf eines Jahres seit ihrer Verkündung nicht mehr geltend gemacht werden kann (vgl nur § 4 IV bd.wtt.GO; § 5 V m.v.KVerf.; § 10 II NKomVG[19]; § 7 VI GO NRW).
Stellt sich – etwa anlässlich eines Rechtsstreits – heraus, dass eine kommunale Satzung nichtig ist, so bleibt es der Kommune auch unter Berücksichtigung allgemeiner rechtsstaatlicher Schranken für eine echte Rückwirkung von Normen[20] (Stichwort: Vertrauensschutz des Bürgers) grds. unbenommen, eine neue, rechtlich unbedenkliche Satzung mit