Besonderes Verwaltungsrecht. Mathias Schubert
› § 6 Kommunales Satzungsrecht › III. Pflichtsatzungen und fakultative Satzungen
III. Pflichtsatzungen und fakultative Satzungen
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Im Hinblick auf den Erlass von Satzungen besteht für die Gemeinden eine unterschiedliche Verpflichtungsintensität. Zu unterscheiden sind
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– | Pflichtsatzungen (obligatorische Satzungen). Hier besteht eine strikte Verpflichtung zum Satzungserlass. Beispiele: Haushaltssatzung (Art. 63 bay.GO; § 47 I m.v.KVerf.; § 112 I NKomVG; § 78 I GO NRW), oft auch die Hauptsatzung (§ 5 II m.v.KVerf.; § 12 I NKomVG; § 7 III GO NRW). Bebauungspläne (§ 10 BauGB) sind von den Gemeinden aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist (§ 1 III 1 BauGB). |
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– | Bedingte Pflichtsatzungen haben die Gemeinden zu erlassen, wenn sie im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsbefugnis von bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsoptionen Gebrauch machen wollen. Beispiele: Betriebssatzung im Falle der Errichtung eines Eigenbetriebs (vgl Art. 88 V 2 bay.GO; § 140 I NKomVG; § 114 GO NRW); Sparkassensatzung im Falle der Errichtung einer Stadtsparkasse (vgl Art. 21 bay.SpkG; § 4 m.v.SpkG; § 6 II nds.SpkG; § 6 SpkG NRW); die Erschließungsbeitragssatzung (§ 132 BauGB)[22]. |
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– | Fakultative Satzungen. Hier steht der Erlass der Satzungen hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ weitgehend im kommunalpolitischen Ermessen der Gemeinde. Beispiele: Erlass örtlicher Bauvorschriften durch Satzung (Art. 81 bay.BauO; § 86 m.v.LBauO; § 84 nds.BauO; § 86 BauO NRW), Satzung über eine Veränderungssperre (§ 16 BauGB) oder über ein besonderes Vorkaufsrecht (§ 25 BauGB); Satzung über die Ausübung von Sondernutzungen an Straßen (Art. 22a bay.StrWG; § 24 I m.v.StrWG; § 18 nds.StrG; § 19 StrWG NRW). |
Teil I Kommunalrecht › § 6 Kommunales Satzungsrecht › IV. Belastungen kraft kommunaler Satzung
IV. Belastungen kraft kommunaler Satzung
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Kommunale Satzungen enthalten durchweg auch Verpflichtungen für die Einwohner und demgemäß personenbezogene, sachgüterbezogene oder finanzielle Belastungen. In letzterer Hinsicht klären die Kommunalabgabengesetze, dass die Gemeinden und Gemeindeverbände berechtigt sind, nach gesetzlicher Maßgabe Abgaben (Steuern, Gebühren und Beiträge) auf Grund einer Satzung von den Einwohnern zu erheben (vgl Art 2 I bay.KAG; § 2 I m.v.KAG; § 2 I nds.KAG; § 2 I KAG NRW)[23].
Daraus folgt aber auch, dass die kommunalen Gebietskörperschaften ohne entsprechende Satzung ein Entgelt für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen nicht analog § 812 I 1 BGB oder auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs fordern können[24].
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Der auf eine ordnungsgemäße Satzung abgestützte kommunale Abgabenbescheid muss sodann den einschlägigen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Anforderungen genügen[25].
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Vorsätzliche und fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen satzungsmäßige Gebote und Verbote können als Ordnungswidrigkeiten sogar mit einem Bußgeld bedroht werden (vgl Art. 24 II 2 bay.GO; § 5 III 2 m.v.KVerf.; § 10 V 2 NKomVG; § 7 II 1 GO NRW).
Im Übrigen aber ist nochmals darauf zu verweisen, dass gemeindliche Satzungen den gesetzlichen Vorgaben genügen müssen, was insbesondere bei Benutzungsgebühren zu einer strikten Kostenorientierung führt[26].
Zudem haben Satzungen, wie die anderen generellen Regelungen, die allgemeinen verfassungsrechtlichen Postulate, namentlich die grundrechtlichen Bindungen und die rechtsstaatlichen Anforderungen (Bestimmtheit, Übermaßverbot), zu beachten[27]. Dies bedingt bei kommunalrechtlichen Übungsarbeiten einen entsprechenden Prüfungsaufbau.
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Lösungsskizze zu Fall 6 (Rn 217):
Für die Begründetheitsprüfung im Ausgangsfall ist etwa folgende Prüfungsreihenfolge angebracht:
1. | Ermächtigungsgrundlage für den „Gebührenbescheid“ a) Satzung als ausreichende Ermächtigungsgrundlage für einen Leistungsbescheid[28]? b) Vorhandensein einer gesetzlichen Ermächtigung[29]? |
2. | Rechtmäßigkeit der satzungsmäßigen „Gebühren“-Regelung a) Förmliche Gültigkeit der Satzung aa) Landesabfallgesetz als spezielle gesetzliche Basis? bb) Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (Satzungsbeschluss, Publikation, evtl. Genehmigung) b) Vereinbarkeit der satzungsmäßigen Abgabenregelung mit materiellem Recht aa) Qualifikation der Abgabe („Gebühr“ oder „Beitrag“?) bb) Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Maßstäben cc) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht – Art. 3 GG (iVm Sozialstaatsprinzip) – Rechtsstaatsprinzip (Bestimmtheit, Übermaßverbot) |
3. | Rechtmäßigkeit der „Gebühren“-Erhebung im konkreten Einzelfall Rechtlich interessant ist dabei insbesondere der Punkt 2b). Art. 3 GG lässt bei der Bemessung von Müllabfuhrgebühren sowohl mengen- oder gewichtsorientierte als auch personen- oder haushaltsbezogene Gebührenmaßstäbe zu[30]. Bezüglich der konkreten Ausgestaltung innerhalb eines zulässig gewählten Maßstabs hat das OVG Rh.Pf.[31] allerdings mit Blick auf eine satzungsmäßige Gebührenstaffelung wie im Beispielsfall einen Verstoß gegen das in Art. 3 GG enthaltene Willkürverbot gerügt, da eine auf den 1:1-Maßstab bezogene höhere Gebühr für große Abfallbehälter vor dem Hintergrund einer grundsätzlich zulässigen Tarifdifferenzierung nach dem Abfuhraufwand sachlich nicht gerechtfertigt sei. Daneben hat OVG NRW[32] die Einbeziehung von Kosten für die Straßenpapierkorbentleerung in die Gebührenkalkulation für die Abfallentsorgungsgebühren als Verstoß gegen das in § 6 I 3 KAG NRW verankerte Kostenüberschreitungsverbot[33] bewertet, da diese Kosten nicht den ansatzfähigen Betriebskosten der Einrichtung „Abfallentsorgung“ zuzurechnen, sondern lediglich eine Folge der der Stadt als Trägerin der Straßenbaulast und der polizeilichen Straßenreinigungspflicht obliegenden Verpflichtungen seien. |
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Lehrreich unter diesem Blickwinkel ist auch der Verlauf der Diskussion um den sog. Kindergartenbeitrag. Der VGH Kassel[34] hatte bei einer satzungsmäßigen Gebührenstaffelung für die Benutzung von Kindergärten nach dem Elterneinkommen Verstöße