Die straflose Vorteilsnahme. Tobias Friedhoff
der Bevölkerung in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung“ rechtfertigt die Strafbarkeit der Vorteilsannahme
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Diese Kritik verkennt in ihren Ausführungen die Reichweite der Tatsache, dass der Amtsträger im Rahmen der Vorteilsannahme – im Unterschied zur Bestechlichkeit – rechtmäßig handelt bzw. dass der Vorteil (noch) keine bestimmte Diensthandlung des Amtsträgers bezwecken soll. Denn eine pflichtwidrige Diensthandlung liegt bereits vor, wenn der Amtsträger gegen ein Gesetz, eine Rechtsverordnung, eine Verwaltungsvorschrift, eine allgemeine Weisung oder eine konkrete Einzelweisung eines Vorgesetzten des Amtsträgers verstößt.[37] Der Begriff der Pflichtwidrigkeit ist also weit zu verstehen. Dies hat zur Konsequenz, dass bei jeder Entscheidung, die der Amtsträger aufgrund der Vorteilsgewährung zum Vorteil des Gewährenden trifft und diesen anderen Personen gegenüber bevorzugt, er bereits pflichtwidrig handelt. Handelt der Amtsträger aber tatsächlich pflichtwidrig, indem er, in welcher Weise auch immer, gegen Recht und Gesetz verstößt, oder bietet er dies als Gegenleistung für den Vorteil an, so verlässt er bereits den tatbestandlichen Bereich der Vorteilsannahme und betritt den Bereich der Bestechlichkeit.[38]
Daher bleibt es dabei, dass man sich bei § 331 StGB in erster Linie die Wirkung des Handelns nach außen hin ansehen muss.[39] Es entsteht nämlich durch die Annahme eines Vorteils durch einen Amtsträger bei der Allgemeinheit der Anschein der Käuflichkeit, was zu einem Vertrauensverlust auf Seiten der Bevölkerung in die ordnungsgemäße Amtsführung mündet. Hat der Amtsträger die Diensthandlung noch nicht vorgenommen, muss er dennoch eine rechtmäßige Diensthandlung vornehmen wollen. Ist sein Ziel eine pflichtwidrige Diensthandlung, so ist gemäß § 332 Abs. 3 Nr. 1 StGB bereits der Tatbestand der Bestechlichkeit einschlägig.
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Eine andere Bewertung wäre allenfalls theoretisch denkbar, wenn der Amtsträger den Vorteil für eine künftige, pflichtwidrige Diensthandlung[40] annimmt, es aber nicht möglich ist, den bei § 332 Abs. 1 StGB notwendigen engen Zusammenhang zwischen Vorteil und Diensthandlung zu beweisen, sodass § 331 Abs. 1 StGB in Form eines Auffangtatbestandes anzuwenden ist, obwohl die spätere Diensthandlung pflichtwidrig sein soll. Dann wäre in der Tat auch die Sachlichkeit der Amtsführung also solche bedroht. Diese theoretische Überlegung trifft aber auf keine Umsetzung in der Realität. Bei der Gabe bzw. Annahme eines Vorteils für eine pflichtwidrige Diensthandlung ist der für die Erfüllung von § 332 Abs. 1 StGB erforderliche enge Zusammenhang zwischen Vorteil und Diensthandlung („als Gegenleistung dafür“) deutlich leichter zu beweisen, als bei der Vorteilsgabe für eine pflichtgemäße Diensthandlung. Dies hat folgenden Grund: Die Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung muss positiv festgestellt werden, was wiederum nur möglich ist, wenn man weiß, um welche konkrete (geplante) Diensthandlung es sich handelt, damit man diese auf ihre Pflichtwidrigkeit überprüfen kann. Somit ist es folglich leichter nachzuweisen, dass der Vorteil für eine bestimmte pflichtwidrige Handlung gewährt oder angenommen werden sollte (da dies nur möglich ist, wenn bereits eine bestimmte pflichtwidrige Handlung nachweisbar ist) als es nachzuweisen ist, welche Handlung aus der enormen Vielzahl von möglichen pflichtgemäßen und auch noch in der Zukunft liegenden Handlungen diejenige ist, für die der Vorteil konkret gewährt wurde. Es scheint mithin fast unmöglich zu sein, einen Vorteil für eine Diensthandlung zu gewähren, die zwar pflichtwidrig, zum Zeitpunkt der Gewährung bzw. Annahme aber noch völlig unbestimmt ist. Wenn die Diensthandlung nicht schon zumindest in den wesentlichen Zügen in der Planung der Täter konkret ausgestaltet ist, kann man noch gar nicht sagen, ob die spätere Handlung einmal pflichtwidrig oder pflichtgemäß sein wird.[41]
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Wird also ein Vorteil für eine künftige, pflichtwidrige Diensthandlung gewährt, so wird diese auch bereits so konkret sein, dass – insbesondere unter Berücksichtigung des § 332 Abs. 3 Nr. 1 StGB – immer der Tatbestand der Bestechlichkeit einschlägig ist. Ist die mit der Vorteilsgabe in Zukunft einmal bezweckte Diensthandlung noch nicht konkretisierbar, z.B. weil darüber möglicherweise noch nicht einmal nachgedacht wurde, so kann man auch noch nicht sagen, dass die (noch nicht einmal in den Köpfen von Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer existierende) Diensthandlung pflichtwidrig sein wird. Damit wird durch § 331 Abs. 1 StGB also stets eine pflichtgemäße, zumindest aber noch nicht als pflichtwidrig zu bewertende Diensthandlung erfasst.[42] Dies spricht ebenfalls dafür, dass durch § 331 Abs. 1 StGB primär das Vertrauen der Allgemeinheit in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung geschützt wird, da nur dieses Vertrauen in diesen Fällen beeinträchtigt wird und nur dies eine Bestrafung solcher Handlungen rechtfertigen kann.[43]
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Wenn Dölling nun sagt, dass „die beste Garantie für öffentliches Vertrauen in die Verwaltung […] die korrekte Amtsführung selbst [ist]“[44], wird ebenfalls verkannt, dass die Amtsführung als solche bei § 331 StGB immer korrekt ist (bzw. zumindest keine konkrete pflichtwidrige Diensthandlung in Aussicht ist). Das Problem ist doch (es sei hier nochmals wiederholt), dass für die an sich ordnungs- weil pflichtgemäße Amtsführung ein Vorteil gewährt wird, wodurch nur der Anschein hervorgerufen wird, die Amtsführung sei nicht korrekt und ordnungsgemäß. Geht man also davon aus, dass eine korrekte Amtsführung stets zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Vertrauens in die ordnungsgemäße Verwaltung führt, so dürfte auch durch die Annahme eines Vorteils für eine korrekte Handlung das Vertrauen der Allgemeinheit in eine sachlich richtig (!) entscheidende Verwaltung nicht erschüttert werden. Die Amtsführung ist und bleibt schließlich (objektiv betrachtet) korrekt; die Vorteilsgabe ändert hieran erst einmal nichts. Das Vertrauen der Allgemeinheit wird also bei § 331 StGB nicht aufgrund der (bei § 331 StGB nicht möglichen) unsachlichen Amtsführung, sondern aufgrund der Tatsache, dass für eine zwar sachlich korrekte Amtsführung zusätzlich ein Vorteil angenommen wurde, erschüttert.
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Für § 332 StGB trifft die Aussage von Dölling[45] hingegen zu. Das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sachlichkeit der Verwaltung wird bereits allein durch die Pflichtwidrigkeit der Amtshandlung gestört;[46] dass hierfür auch noch ein Vorteil angenommen wurde, erschüttert das Vertrauen der Allgemeinheit nur noch mehr, nicht aber erst, wie bei § 331 StGB.[47] Da hier die Diensthandlung pflichtwidrig ist, kann man durchaus die korrekte Amtsführung als Ausgangspunkt für das Vertrauen der Allgemeinheit in die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit der Amtsführung sehen, sodass hier tatsächlich die korrekte Amtsführung die beste Garantie für das Vertrauen der Bevölkerung in die Verwaltung ist.
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Dass sich die Gegenmeinung mit ihrer Ansicht bei der Erklärung der Bestrafung eines nachträglich angenommen Vorteils schwer tut, erkennt man gut an der Begründung von Ransiek hierzu. Dieser muss hierfür die Überlegung bemühen, dass der Amtsträger in Zukunft für den Vorteil auch eine pflichtwidrige Diensthandlung vornehmen wird.[48] Das Fehlgehen dieser Überlegung wurde bereits erörtert.[49]
Ransiek ist auch zu widersprechen, wenn er meint, dass es nicht richtig wäre, einen bloßen falschen Eindruck mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen, wenn man diesen falschen Eindruck doch wieder korrigieren kann.[50] Der Eindruck entsteht ja nicht aufgrund von „Wahnvorstellungen“ der Bevölkerung, vielmehr ist er das Ergebnis des Verhaltens von Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer. Würden diese ihr Handeln unterlassen, würde ein entsprechender Anschein nach außen hin nicht entstehen.[51]
Teil 2 Bestandsaufnahme – Der Tatbestand der Vorteilsannahme › B › VII. Zusammenfassung und Konsequenz für die weitere Untersuchung
VII. Zusammenfassung und Konsequenz für die weitere Untersuchung
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Damit ist das geschützte Rechtsgut der Vorteilsannahme in dem Vertrauen