Besteuerung von Unternehmen II. Wolfram Scheffler
HGB). Eine sachliche Rechtfertigung liegt grundsätzlich nur in folgenden Situationen vor: (1) Die rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich geändert, insbesondere bei Änderungen des Gesetzes, der Satzung oder der Rechtsprechung. (2) Unter Beachtung der GoB kann die Informationsfunktion der Bilanz gesteigert werden, indem ein den tatsächlichen Verhältnissen besser entsprechendes Bild vermittelt wird. (3) Durch die Durchbrechung des Stetigkeitsgebots sollen Ansatz- oder Bewertungsvereinfachungsverfahren in Anspruch genommen werden. (4) Die Abweichungen dienen der Anpassung an konzerneinheitliche Bilanzierungsrichtlinien. (5) Abweichungen vom Stetigkeitsgrundsatz sind erforderlich, um steuerliche Ziele zu verfolgen (zB Nutzung von Verlustvorträgen oder Anpassungen an die Ergebnisse einer Betriebsprüfung).[3]
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Durch das Maßgeblichkeitsprinzip werden sowohl die Ansatzstetigkeit als auch die Bewertungsstetigkeit Bestandteil der steuerlichen Gewinnermittlung. Soweit für die Handelsbilanz aufgrund von Wahlrechten oder Ermessensspielräumen die Ansatz- und Bewertungsstetigkeit zu beachten ist, wirkt sich damit der Stetigkeitsgrundsatz grundsätzlich auch auf die steuerliche Gewinnermittlung aus. Ausnahmen gelten für die Geschäftsvorgänge, bei denen die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz eingeschränkt oder durchbrochen wird. Soweit im Steuerrecht durch eine verbindliche Vorschrift, ein fehlendes oder engeres Wahlrecht oder einen eingeschränkten Ermessensspielraum die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz zurückgedrängt wird, sind für die Steuerbilanz die steuerlichen Regelungen heranzuziehen.
Nach § 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG können steuerliche Wahlrechte unabhängig davon ausgeübt werden, wie der entsprechende Sachverhalt in der Handelsbilanz behandelt wird. Die Entscheidung, wie der Steuerpflichtige steuerliche Wahlrechte in Anspruch nehmen möchte, kann im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung eigenständig getroffen werden. Dies gilt sowohl in dem Fall, in dem das Handelsrecht gleichfalls ein Wahlrecht gewährt, als auch für die Situation, in der handelsrechtlich eine verbindliche Norm (Ansatzverbot, -gebot, eindeutige Bewertungsvorschrift) existiert. Die Maßgeblichkeit gilt unabhängig davon nicht, ob das steuerliche Wahlrecht mit den GoB vereinbar ist oder ob es sich um ein Wahlrecht handelt, mit dem der Gesetzgeber lenkungspolitische Zwecke verfolgt. Weder im HGB noch im EStG sind Anhaltspunkte erkennbar, aus denen abgeleitet werden kann, dass steuerliche Wahlrechte unter Beachtung der handelsrechtlichen GoB auszuüben sind. Dies bedeutet, dass steuerliche Wahlrechte grundsätzlich ohne Beachtung des Stetigkeitsgrundsatzes in Anspruch genommen werden können.
Bei einigen steuerlichen Wahlrechten wird der Gestaltungsspielraum des Bilanzierenden allerdings durch spezielle steuerliche Regelungen reduziert. Beispielsweise finden sich folgende Vorgaben, die als Ausprägung eines speziellen steuerlichen Stetigkeitsgrundsatzes interpretiert werden können:
– | Bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens ist ein Wechsel der Abschreibungsmethoden nur in bestimmten Fällen zulässig (§ 7 Abs. 3 EStG). |
– | Vom lifo-Verfahren kann in den folgenden Jahren nur dann zur Durchschnittsbewertung oder Einzelbewertung zurückgewechselt werden, wenn die Zustimmung des Finanzamts vorliegt (§ 6 Abs. 1 Nr 2a S. 3 EStG). |
– | Die Sammelabschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten zwischen 251 und 1000 € kann nur einheitlich für alle im laufenden Wirtschaftsjahr zugegangenen Wirtschaftsgüter in Anspruch genommen werden (§ 6 Abs. 2a S. 5 EStG). |
– | Pensionsrückstellungen dürfen nur insoweit erhöht werden, als sich im abgelaufenen Wirtschaftsjahr der Teilwert erhöht hat. Unterlassene Zuführungen dürfen erst im Jahr der Beendigung des Dienstverhältnisses unter Aufrechterhaltung des Pensionsanspruchs oder im Jahr des Eintritts eines Versorgungsfalls berücksichtigt werden (Nachholverbot, § 6a Abs. 4 S. 1, 5 EStG). |
– | Die Umstellung eines vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres ist steuerlich nur wirksam, wenn sie im Einvernehmen mit dem Finanzamt vorgenommen wird (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr 2 S. 2 EStG). |
Anmerkungen
Zu den Auswirkungen auf die Steuerbilanzpolitik siehe Band III: Steuerplanung, Sechster Teil.
Siehe hierzu IDW RS HFA 38, FN-IDW 2011, S. 560 sowie Küting/Tesche, DStR 2009, S. 1491; Löffler/Roß, WPg 2012, S. 363; Scheffler/Binder, StuB 2012, S. 771; Scheffler/Binder, StuB 2012, S. 891; Velte, StuW 2014, S. 240; Wiechers, BBK 2012, S. 653; Zwirner/Künkele, Stbg 2013, S. 163.
Vgl IDW RS HFA 38, FN-IDW 2011, S. 560, Tz. 15.
5. Grundsatz der Wirtschaftlichkeit (Wesentlichkeit, Relevanz)
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Nach dem gesetzlich nicht explizit formulierten Grundsatz der Wirtschaftlichkeit sollen die mit der Rechnungslegung verbundenen Arbeitsbelastungen und Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum Wert der vermittelten Informationen stehen. Diese Anforderung lässt sich nur sehr schwer operationalisieren. Eine Möglichkeit der Überprüfung besteht darin, einen Zusammenhang zwischen dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und dem Grundsatz der Vollständigkeit sowie dem Grundsatz der Klarheit herzustellen: Je mehr Informationen zur Verfügung gestellt werden, umso höher ist die Aussagekraft der Rechnungslegung und umso besser wird der Grundsatz der Vollständigkeit erfüllt. Diesem Vorteil steht gegenüber, dass mit einer Zunahme der Anzahl der Informationen die Rechnungslegung an Übersichtlichkeit verliert. Die fehlende Transparenz führt zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Klarheit.
Über die Abgrenzung zwischen der Forderung nach Vollständigkeit und Klarheit einerseits und dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit andererseits lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen treffen, da sich der Nutzen von Jahresabschlussinformationen nicht nur schwer quantifizieren lässt, sondern zusätzlich von den einzelnen Adressaten unterschiedlich beurteilt wird.
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Die Schwierigkeiten der inhaltlichen Konkretisierung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit lassen sich nur handhaben, wenn man das Problem von der quantitativen Ebene auf eine qualitative Ebene verlagert, m.a.W. wenn man das Wirtschaftlichkeitsprinzip durch den Grundsatz der Wesentlichkeit bzw Relevanz (Materiality) von Jahresabschlussinformationen ersetzt. Eine Information ist dann wesentlich (relevant), wenn sie die Beurteilungen durch die Jahresabschlussadressaten verändert und damit die auf Jahresabschlussdaten aufbauenden Entscheidungen beeinflusst. Auf die Steuerbilanz übertragen bedeutet dies, dass auf eine Auswertung von Informationen, die sich auf die Höhe des Gewinns auswirken, nur dann verzichtet werden kann, wenn durch die damit verbundene Vereinfachung der Gewinn nur unwesentlich von dem Gewinn abweicht, der sich bei einer exakten Berechnung ergibt. Wie diese Leitlinien konkretisiert werden, kann dennoch nicht eindeutig angegeben werden.
Die praktische Bedeutung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit liegt insbesondere in den Inventurvereinfachungen (§ 240 Abs. 3, 4, § 241 HGB) und den Bewertungsvereinfachungen (§ 256 HGB). Diese Regelungen gelten sowohl für den handelsrechtlichen Jahresabschluss als auch für die steuerliche Gewinnermittlung.
IV. Systemgrundsätze (Konzeptionsgrundsätze)
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Die Systemgrundsätze repräsentieren die Basisannahmen, auf denen die Konzeption des Jahresabschlusses als spezielles Rechnungslegungsinstrument beruht. Die Systemgrundsätze verbinden die Ziele des Jahresabschlusses mit den Dokumentations–,