Besteuerung von Unternehmen II. Wolfram Scheffler
der Übergabe an die Transportperson abzustellen (§ 447 BGB).[1] Solange sich die Wirtschaftsgüter noch im Lager des Verkäufers befinden, gilt der Gewinn noch nicht als realisiert. Dies gilt auch dann, wenn der Käufer die Rechnung bereits im Voraus bezahlt hat. Der bereits bezahlte Betrag ist bis zur Auslieferung der Waren als Verbindlichkeit unter der Position „erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen“ (erfolgsneutral) zu passivieren.
Beispiel:[2]
Die W-AG schließt am 17.10.01 mit der M-GmbH einen Kaufvertrag über die Lieferung von Fahrzeugen zum Preis von 100 000 € ab. Die Fahrzeuge werden am 15.1.02 ausgeliefert. Die M-GmbH leistet am 12.11.01 eine Anzahlung von 30 000 €. Die Restzahlung von 70 000 € ist am 5.2.02 fällig. Das Eigentum an den Fahrzeugen verbleibt bis zur endgültigen Bezahlung beim Verkäufer, der W-AG. Für die Herstellung der Fahrzeuge fallen Aufwendungen von 75 000 € an. Die Herstellung findet im Dezember 01 statt und ist am Abschlussstichtag beendet. Die Garantiefrist läuft zwei Jahre nach Übergabe der Fahrzeuge aus (= 15.1.04).
17.10.01: Der Abschluss des Kaufvertrags löst aufgrund des Grundsatzes der Nichterfassung von schwebenden Geschäften keinen Buchungsvorgang aus.
12.11.01: Bank | 30 000 € | an | Anzahlungen | 30 000 € |
Die Anzahlung ist erfolgsneutral als Verbindlichkeit („erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen“) zu passivieren.
Dezember 01: diverse Aufwendungen | an | diverse Bestände | ||
(Material, Löhne, …) | 75 000 € | (Rohstoffe, Bank, …) | 75 000 € | |
Fertigerzeugnisse | 75 000 € | an | Bestandserhöhungen | |
(Ertragskonto) | 75 000 € |
Der Herstellungsvorgang verändert den Gewinn des Jahres 01 nicht. Der gewinnmindernden Verrechnung der im Zusammenhang mit der Herstellung der Fahrzeuge anfallenden Personal- und Materialaufwendungen steht in gleicher Höhe die ertragswirksame Erhöhung des Bestands an Fertigerzeugnissen gegenüber.
15.1.02: Forderungen | 70 000 € | |||
Anzahlungen | 30 000 € | an | Umsatzerlöse | 100 000 € |
Bestandsminderungen | ||||
(Aufwandskonto) | 75 000 € | an | Fertigerzeugnisse | 75 000 € |
Im Zeitpunkt der Auslieferung der Fahrzeuge gilt der Gewinn als realisiert. Die Differenz zwischen den Herstellungskosten der Fahrzeuge (Aufwandskonto Bestandsminderungen, 75 000 €) und den Umsatzerlösen (Ertragskonto, 100 000 €) erhöht den Gewinn in dem Zeitpunkt, in dem die Fahrzeuge ausgeliefert werden, um 25 000 €. Abgestellt wird auf den Zeitpunkt, in dem die Preisgefahr übergeht. Nicht entscheidend ist, dass der Käufer, die M-GmbH, erst in dem Zeitpunkt Eigentümer der Fahrzeuge wird, in dem er den Rechnungspreis vollständig bezahlt hat.
5.2.02: Bank | 70 000 € | an | Forderungen | 70 000 € |
Die Bezahlung der Restschuld beeinflusst als Aktivtausch den Gewinn der W-AG nicht. Da der Gewinn aus dem Verkaufsgeschäft bereits im Zeitpunkt der Auslieferung erfasst wurde, wirkt sich der mit der vollständigen Bezahlung des Rechnungspreises verbundene Übergang des Eigentums an den Fahrzeugen auf den Gewinn des Verkäufers nicht aus.
15.1.04:
Das Auslaufen der Garantiefrist ist kein buchführungspflichtiger Vorgang.
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Hinsichtlich der im geltenden Bilanzrecht vorgenommenen Interpretation des Realisationsprinzips lassen sich folgende Aussagen treffen:
– | Für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses als Gewinnrealisationszeitpunkt spricht zunächst, dass mit dem Abschluss eines Kaufvertrags häufig der schwierigste Teil des unternehmerischen Leistungsprozesses erbracht ist. Zusätzlich kann angeführt werden, dass mit dem Abschluss eines Kaufvertrags ein nachprüfbarer, dh objektivierter, Tatbestand vorliegt, der darüber hinaus einen Rechtsanspruch des Unternehmens begründet. Zu bedenken ist allerdings, dass im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses häufig die Höhe des aus dem Geschäft entstehenden Gewinns noch nicht mit hinreichender Genauigkeit angegeben werden kann. Insbesondere können die Risiken in den Bereichen Beschaffung, Produktion und Auslieferung noch nicht in intersubjektiv nachprüfbarer Weise konkretisiert werden. Da die Höhe des mit der zu erbringenden Lieferung verbundenen Aufwands (Anschaffungs- bzw Herstellungskosten) noch mit Unsicherheit behaftet ist, scheidet der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aus Objektivierungsüberlegungen und wegen des Vorsichtsgedankens als Realisationszeitpunkt aus. |
– | Leistet der Erwerber im Zeitraum zwischen Abschluss des Kaufvertrags und der Auslieferung eine Anzahlung, kommt es zu keiner (anteiligen) Gewinnrealisation. Der Ertrag kann noch nicht als bestätigt angesehen werden. Kommt es aus irgendeinem Grund nicht zur Auslieferung des Produkts, hat der Verkäufer die erhaltene Anzahlung an seinen Vertragspartner zurückzuzahlen. Im Rahmen des externen Rechnungswesens ist auf Erträge (hier Umsatzerlöse) und nicht auf Einzahlungen (hier erhaltene Anzahlungen) abzustellen. |
– | Der Zeitpunkt des Erwerbs oder der Fertigstellung des zu veräußernden Produkts wird deshalb als Zeitpunkt der Gewinnrealisation abgelehnt, weil unsicher ist, ob sich das auf Lager befindliche Erzeugnis absetzen lässt. Eine Gewinnrealisation tritt auch dann mit der Fertigstellung des Produkts noch nicht ein, wenn für das hergestellte und versandbereite Erzeugnis bereits ein Kaufvertrag vorliegt, da der Kunde solange die Einrede des nicht erfüllten Vertrags geltend machen kann, bis das Wirtschaftsgut ausgeliefert wird (§ 320 BGB). |
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In der Praxis wird der Realisationszeitpunkt häufig mit dem Zeitpunkt der Rechnungserstellung gleichgesetzt. Hierbei handelt es sich um eine sehr pragmatische Vorgehensweise. Die Ausfertigung einer Rechnung kann nur als Indiz für den zivilrechtlichen Gefahrenübergang gewertet werden. Entscheidend ist, ob die Möglichkeit zur Abrechnung der Lieferung besteht, dh ob der Bilanzierende die von ihm geschuldete Leistung erbracht hat und ob das Wirtschaftsgut den Verfügungsbereich des liefernden Unternehmers verlassen hat. Erst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen entfallen die mit dem Entstehen einer Forderung aus Lieferungen und Leistungen verbundenen Risiken. Würde allein auf die Ausfertigung einer Rechnung abgestellt, könnte der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung durch das bilanzierende Unternehmen beliebig beeinflusst werden. Dies wäre mit dem Objektivierungsgedanken nicht vereinbar.
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