Soldatengesetz. Stefan Sohm
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Stellungnahmen zu Beurteilungen als dienstaufsichtliche Aufgabe[164] geben grds. die zum Vorlagetermin zuständigen nächsthöheren Vorg. ab. Dies sind gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 SLV i.d.R. die nächsthöheren DiszVorg.[165] Sie dürfen als stellungnehmende Vorg. nach § 2 Abs. 8 Satz 1 und 2 SLV einzelfallbezogen Beurteilungen abändern, wenn sie entweder ausreichende eigene Kenntnisse über die beurteilte Person haben bzw. sich verschaffen oder in der Lage sind, die Beurteilung durch die beurteilende Person oder Beiträge Dritter verantwortlich einzuschätzen. Darüber hinaus hat ihnen nach § 2 Abs. 9 SLV das BMVg die Befugnis erteilt[166], alle Beurteilungen oder alle Stellungnahmen zu Beurteilungen aufzuheben, die Vorg. abgegeben haben, in deren Bereich trotz ausreichender Fallzahl verbindliche Richtwerte nicht eingehalten worden sind oder bei nicht ausreichender Fallzahl nicht in geeigneter Weise entspr. differenziert worden ist.
Schließlich haben die nächsthöheren DiszVorg. die Aufgabe, auf der Grundlage der Aussagen und Wertungen in der Beurteilung abschließend das Potenzial der Beurteilten zu beschreiben. Zusätzlich haben sie eine prognostische Einschätzung der künftigen Entwicklung abzugeben.[167]
bb) Rechtsschutz gegen dienstliche Beurteilungen
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Wegen der überragenden Bedeutung der dienstl. Beurteilung als wesentliche Grundlage für Auswahlverfahren zu Ernennungen und Verwendungen und damit für das berufliche Fortkommen der Soldaten ist verständlich, dass Soldaten oftmals nach erfolglosem Beschwerdeverfahren die Gerichte anrufen, um sich gegen ihre Beurteilung zu wehren. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der zu Beurteilende nicht die Rolle eines Beschuldigten eines Sanktionsverfahrens hat, sondern die Beurteilung im Wesentlichen der personellen Leistungsfähigkeit der SK dient[168] – dementsprechend sind die Verfahrensrechte von Beurteiler und Soldat nicht auf Anklage und Verteidigung, sondern wertender Meinung und etwaiger Stellungnahme gerichtet.
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Die dienstl. Beurteilung durch mil. Vorg. ist nach st. Rspr. des 1. WDS des BVerwG eine mit der Wehrbeschwerde anfechtbare truppendienstl. (d.h. im Verhältnis der mil. Über- und Unterordnung ergangene) Maßnahme i.S.d. § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO.[169] Selbstständig und in gleichem Umfang anfechtbar wie Beurteilungen sind hierzu abgegebene Stellungnahmen höherer Vorg., wenn sie sich z.B. nicht auf den Beurteilungszeitraum beziehen.[170] Wird die Beschwerde nicht fristgerecht (innerhalb eines Monats, § 6 Abs. 1 WBO) eingelegt[171], erwächst die dienstl. Beurteilung des Soldaten nach st. Rspr. des BVerwG[172] in Bestandskraft, sofern sie nicht ausnahmsweise gem. § 44 VwVfG nichtig ist. Wirkung der Bestandskraft i.d.S. bedeutet neben der formellen Unanfechtbarkeit der Beurteilung mit Rechtsbehelfen auch die materielle (Tatbestands-)Wirkung, dass der von der Bestandskraft erfasste Inhalt der Beurteilung zur Grundlage für andere Entscheidungen, insbesondere im Rahmen von Auswahlverfahren, genommen werden kann. Nach Eintritt der Bestandskraft kann die Beurteilung nur noch durch ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG geändert oder aufgehoben werden.[173] Die Bestandskraft der Beurteilung kann auch nicht durch eine inzidente Überprüfung in anderen Rechtsbehelfsverfahren unterlaufen werden.[174]
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Soweit die Beurteilung auf einem subjektiven, wertenden Urteil des Vorg. über die Persönlichkeit sowie die Eignung und Leistung des Beurteilten beruht, sind diese höchstpersönlichen Werturteile einer Überprüfung im Wege einer Beschwerde entzogen[175], obwohl bei den Beurteilenden die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe nicht völlig ausgeschlossen werden kann.[176] Die Rechtmäßigkeitskontrolle ist darauf beschränkt, ob der Beurteilende die anzuwendenden Begriffe oder den gesetzl. Rahmen der Beurteilung, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allg. gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat.[177] Beschweren kann der Soldat sich, wenn er glaubt, dass bei Erstellung der Beurteilung, einschließlich der Stellungnahmen, solche Rechte verletzt worden sind, die ihm als Garantie für eine sachgerechte Beurteilung nach der Rechtsordnung eingeräumt sind. Eine Beschwerde ist demnach statthaft, wenn der Beurteilte die Befangenheit des Beurteilenden[178] behauptet oder einen Verstoß gegen Zuständigkeitsvorschriften, Beurteilungsgrds., die Anhörungs-/Erörterungspflicht, die Eröffnungspflicht oder das Benachteiligungsverbot nach § 2 WBO geltend macht.[179]
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Ist die Beschwerde sowie die weitere Beschwerde (§ 16 WBO) gegen die Beurteilung erfolglos geblieben, steht dem Beurteilten der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten[180] (zum TDG und ggf. nach Maßgabe der §§ 22a, 22b WBO zum BVerwG-WDS) offen. Gegen Entscheidungen oder Maßnahmen des BMVg einschließlich der Entscheidungen über Beschwerden oder weitere Beschwerden kann der Beschwerdeführer unmittelbar die Entscheidung des BVerwG beantragen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 WBO).
Wendet sich ein Soldat gegen eine von einem nichtmil. Vorg. erstellte Beurteilung oder eine hierzu abgegebene Stellungnahme eines höheren ziv. Vorg., liegt also keine truppendienstl. Maßnahme vor, ist nach § 82 Abs. 1 der allg. Verwaltungsrechtsweg gegeben.[181] Zudem ist nach § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO das BVerwG bei Klagen gegen Beurteilungen von Soldaten, die beim BND verwendet werden, im ersten und letzten Rechtszug zuständig.[182]
cc) Einzelfragen zu dienstlichen Beurteilungen
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Die Gerichte haben zu zahlreichen, durch dienstl. Beurteilungen aufgeworfenen Rechtsfragen Stellung genommen. Die nachfolgend angeführten Problempunkte (ggf. unter Bezugnahme auf einschlägige Rspr.[183]) sollen hier beispielhaft erwähnt werden:
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– | Die dienstl. Beurteilung eines Soldaten ist vorrangige Grundlage für am Leistungsprinzip[184] orientierte Entscheidungen über dessen Verwendung und dienstl. Fortkommen, weil und soweit sie maßgebliche und zuverlässige Aussagen zu seiner Eignung, Befähigung und Leistung enthält.[185] Daraus folgt, dass eine Beurteilungspraxis, die diesen Anforderungen nicht gerecht wird und ohne sachlichen Grund nicht hinreichend zwischen den zu Beurteilenden differenziert, den von Art. 33 Abs. 2 GG geschützten Anspruch des im Auswahlverfahren unterlegenen Bewerbers auf beurteilungs- und ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung verletzt. Ist eine große Zahl von Bewerbern um eine Beförderungsstelle ausnahmslos mit der Spitzennote beurteilt, deutet dies auf eine mit Art. 33 Abs. 2 GG nicht vereinbare Beurteilungspraxis hin. In einem solchen Fall fehlt es insgesamt an einer tragfähigen, dem Gebot der Bestenauslese entspr. Grundlage für die Auswahlentscheidung.[186] Ein Ausweichen auf sonstige, nicht leistungsbezogene Hilfskriterien (Dienst- oder Lebensalter, soziale Erwägungen, Fraueneigenschaft im Rahmen des SGleiG) kann diesen Rechtsmangel nicht heilen. |
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Um bei Beurteilungen unverhältnismäßig große Vergleichsgruppen zu vermeiden, |