Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph Hillebrand
ergänzende Warnhinweise gegenüber festzustellenden Einsatzbereichen bis hin zur Umstellung der künftigen Produktion). Die Produktbeobachtungspflicht zwingt zwar auch zu nachträglichen Sicherheitshinweisen, nicht jedoch zur Nachrüstung oder Reparatur des Produkts auf Kosten des Herstellers; die Mangelfreiheit und Benutzbarkeit eines Produkts an sich ist ausschließlich Sache des Gewährleistungsrechts (Äquivalenzinteresse).
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Instruktionsfehler wurden bejaht bei fehlender Warnung vor „Dauernuckeln“ im Hinblick auf das Kariesrisiko durch gezuckerte Kindergetränke; ebenso mangels Erkennbarkeit der Gefahrenquelle in einem Papierreißwolf mit entsprechend großem Einführungsschlitz bei fehlendem Hinweis, Kinder davon fernzuhalten (Piktogramm auf dem Gerät selbst erforderlich, nicht nur in der Betriebsanleitung, damit nicht nur Besitzer mit „Hauskindern“ die Gefahr beim Aufstellen des Geräts gewärtigen, sondern auch kinderlose Besitzer das Risiko für externe „Besuchskinder“ fortwährend realisieren); das ist auch der Grund für entsprechende Hinweise aller Arten auf Sprayflaschen. Als allgemein bekannte Gefahren sind Hinweise auf die Gefährlichkeit von Alkohol und Nikotin jedenfalls nicht aus deliktsrechtlichen Gründen erforderlich.
d) Beweislastverteilung bei Produzentenhaftung
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Besonderheiten gelten im Rahmen der Produzentenhaftung für die Verteilung der Beweislast bei Fabrikations- und Konstruktionsfehlern.[91] Der Geschädigte hat kaum Einblick in den Herstellungsvorgang und könnte selbst gegenüber Kleinbetrieben kaum je die objektive Vorhersehbarkeit von Fehlern aus dem Entwicklungs- oder Herstellungsvorgang (als Voraussetzung der Fahrlässigkeit nach § 276 Abs. 2) beweisen. Aus diesem Grund genügt es, wenn der Geschädigte den objektiven Mangel des Produkts sowie seine Herkunft aus dem Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers (etwa durch Ausschluss anderer denkbarer Ursachen) belegen kann. Der Hersteller muss dann umgekehrt den Entlastungsbeweis für sein fehlendes Verschulden erbringen.
Die Beweislast für den Schaden und die Kausalität zwischen dem Fehler und dem eingetretenen Schaden bleibt sodann wieder beim Geschädigten.
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Den Entlastungsbeweis für Ausreißer erbringt der Hersteller, in dem er alle erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen, Kontrollen etc. getroffen und dokumentiert hatte, die jeweils denkbaren Fehlerquellen in seinem Organisationsbereich auszuschließen; für danach verbleibende „unvermeidbare“ Fehler haftet er sodann mangels Verschuldens nicht deliktisch.
e) Delegation
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Hersteller und damit Deliktsschuldner ist nicht lediglich der Rechtsträger des Produktionsunternehmens, sondern sind auch jedenfalls zur Vermeidung entsprechender Produktionsrisiken speziell verantwortliche Führungs- und Fachkräfte; eine persönliche Deliktshaftung des Geschäftsführers folgt jedoch nicht bereits allein aus der Organstellung heraus. Verkehrssicherungspflichten können, wie stets, durch klare und eindeutige Absprachen auf Dritte übertragen werden, welche dann das Haftungsrisiko übernehmen, es bleiben jedoch in jedem Fall Überwachungs- und Kontrollpflichten hinsichtlich der Pflichterfüllung durch die Delegaten beim Deleganten zurück. Insoweit betrifft die Produzentenhaftung nicht nur Großunternehmen, sondern auch Handwerksbetriebe wie Bäcker oder Gastwirte, nicht jedoch Importeure und Lieferanten (umstritten; a.A. § 4 Abs. 3 ProdHaftG analog).
Der Hersteller des Endprodukts ist für die Auswahl von Vorprodukten und deren Zusammenbau in dem fertigen Produkt verantwortlich, die Zulieferer nur für die von ihnen gelieferten Teile (umstritten).
3. Prüfungsschema Schadensersatz, § 823 Abs. 1
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I. | Tatbestand 1. Unerlaubte Handlung a) Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum (ggf. Weiterfresserschäden): stets allgemeine Verhaltenspflicht verletzt b) Sonstige absolute Rechte (nicht das Vermögen), insb. berechtigter Besitz, Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb: Allgemeine Verhaltenspflicht muss festgestellt werden. c) durch zurechenbares Handeln (insb. Schutzzweck der verletzten Verhaltenspflicht) oder d) durch Unterlassen trotz Garantenstellung (zusätzliche Verkehrssicherungspflicht erforderlich) 2. Rechtswidrigkeit a) Erfolgsunrecht (Rechtswidrigkeit indiziert, außer Rechtfertigungsgründe liegen vor) b) Handlungsunrecht (Rechtswidrigkeit der Pflichtverletzung muss nachgewiesen werden können) c) Beispiele für Rechtfertigungsgründe – Notwehr und Notstand, §§ 227–229, 858 f., 904, 906 ff. – Wahrnehmung berechtigter Interessen – Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Wissenschaftsfreiheit – Verkehrsrichtiges Verhalten – Einwilligung – Ärztliche Heileingriffe nur nach Risikoaufklärung – Besonderheiten beim Sport 3. Verschulden a) Verschuldensfähigkeit, §§ 827, 828 (beachte § 828 für Minderjährigenhaftung) b) Objektive Sorgfaltsverletzung genügt, § 276 Abs. 2 c) Oder Billigkeitshaftung, § 829 |
II. | Rechtsfolgen – Allgemeines Schadensrecht, §§ 249 ff. – Besonderheiten nach §§ 842 ff. |
III. | Keine Verjährung |
§ 3 Ausgleichsordnung › E. Unerlaubte Handlungen › IV. Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz
1. Voraussetzungen und Rechtsfolgen
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Neben der Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 kommt eine Ersatzpflicht für fehlerhafte Produkte nach § 1 Abs. 1 Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) in Betracht. Es handelt sich um eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Herstellers, welche jedoch neben Personenschäden auf Schäden an Sachen beschränkt ist, die für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt sind (§ 1 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG).
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Voraussetzungen der Haftung nach § 1 ProdHaftG sind eine Rechtsgutsverletzung i.S.d. § 1 Abs. 1 ProdHaftG, die im Zusammenhang mit einem Produkt i.S.d. § 2 ProdHaftG steht, dem ein Produktfehler (§ 3 ProdHaftG) anhaftet, und dass dieser Fehler für die Rechtsgutsverletzung kausal ist.
Als Rechtsfolge haftet der Hersteller (vgl. § 4 ProdHaftG), sofern keine Ausschlussgründe nach § 1 Abs. 2, 3 ProdHaftG vorliegen, auf Ersatz derjenigen Nachteile, die durch den Tod oder die Körperverletzung sowie die Beschädigung bzw. Zerstörung privater Sachen entstanden sind. Schadensersatzansprüche im Falle der Tötung eines Menschen richten sich nach §§ 7, 9 ProdHaftG, im Falle der Körperverletzung nach §§ 8, 9 ProdHaftG, wobei der Höchstbetrag beschränkt ist (§ 10 ProdHaftG); nach § 8 S. 2 ProdHaftG