Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
gesundheitliche Einschränkungen bestehen, § 6 Abs. 1 Nr. 2 BÄO.[56] Die Feststellungslast für die Ungeeignetheit des Arztes und den Sofortvollzug der Ruhensanordnung trägt die Approbationsbehörde.[57] Um unzumutbare Nachteile für den Betroffenen zu vermeiden, kann z.B. seine Praxis für die Schwebezeit von einem anderen Arzt weitergeführt werden (§ 6 Abs. 4 BÄO). Im Übrigen wird die Befugnis eines EU-Bürgers zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen (oder zahnärztlichen) Berufs in Deutschland durch das Ruhen der ihm erteilten deutschen Approbation nicht berührt (§ 2 Abs. 3 BÄO, § 1 Abs. 2 ZHG).[58]
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der Unzuverlässigkeit bzw. Unwürdigkeit ist der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides.[59] Während des gerichtlichen Verfahrens gezeigtes Wohlverhalten, auch wenn es sich hierbei auf einen verhältnismäßigen langen Zeitraum erstreckt, rechtfertigt nicht die Annahme, der Betroffene habe einen Persönlichkeitswandel vollzogen.[60] Die erneute Erteilung der Approbation setzt einen „längeren Reifeprozess“ voraus.[61]
a) Musterberufsordnung 2004
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Der 107. Deutsche Ärztetag hatte im Mai 2004 in Bremen unter dem Eindruck des am 1.1.2004 in Kraft getretenen GKV-Modernisierungsgesetz – GMG[62] die Musterberufsordnung (MBO),[63] insbesondere im Hinblick auf die beruflichen Rahmenbedingungen ärztlicher Tätigkeit einschneidend geändert. Ziel dieser Änderung war einmal die Wettbewerbsfähigkeit freiberuflich tätiger Ärzte gegenüber anderen Leistungsanbietern im Gesundheitswesen zu verbessern und zu stärken, dann aber auch den ärztlichen Berufsträgern die Möglichkeit zu erhalten, die vom Gesetzgeber im Rahmen des GMG geschaffenen, neuen institutionellen Möglichkeiten unter Wahrung der Freiheit ärztlicher Entscheidungen nutzen zu können.[64] Die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Umsetzung in das Berufsrecht der jeweiligen Landesärztekammern.[65] Einige Änderungen konnten je nach Bundesland erst dann in Satzungsrecht der Landesärztekammern umgesetzt werden, nachdem der Landesgesetzgeber zuvor die Heilberufe-Kammergesetze geändert hatte.
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Eine weitere Änderung betraf den Problembereich der Teilgemeinschaftspraxis. Im Zuge der Einführung der Teilgemeinschaftspraxis (TGP) im Jahre 2004 ist es nämlich in der Praxis vermehrt zu Kooperationsformen gekommen, deren Hintergrund weniger die ärztliche Zusammenarbeit, sondern vielmehr die Bemäntelung der unzulässigen Zuweisung gegen Entgelt als angeblicher Gesellschaftsgewinn gewesen ist.[66] Deshalb wurden diese Systeme vornehmlich in der Zusammenarbeit zwischen methodendefinierten Fächern (und hier in erster Linie Radiologen, aber auch Laborärzten[67]) und Zuweisern etabliert, also Geschäftsbeziehungen, die schon bislang von Hause aus für „Anfütterungspraktiken“ besonders anfällig waren und sind. Man findet sie aber auch innerhalb einer Arztgruppe, wenn es zwischen hochspezialisierten Angehörigen dieser Arztgruppe zu den sonstigen Ärzten ein starkes Einkommensgefälle gibt, wie etwa zwischen ophtalmologischen Kataraktoperateuren und ausschließlich konservativ tätigen Augenärzten. Die TGP dient dann dazu, Honoraranteile aus der operativen Tätigkeit an die vormaligen Überweiser als „Gesellschaftergewinn“ zu transferieren. Daneben gibt es dann noch eine Art „Publikums-TGP, in der eine Vielzahl von Praxen für eine geringe Eintrittsgebühr zusammengeschlossen werden, um wirtschaftlich ein Zuweiserkartell zu bilden.[68] Die Dreistigkeit, mit der diese Modelle am Markt platziert wurden, war erstaunlich. Langsam begannen die Kammern zu merken, was sich hier abspielte. Durch Beschluss[69] vom 24.11.2006 hatte der Vorstand der Bundesärztekammer § 18 Abs. 1 MBO entsprechend angepasst. Nach dem neuen Wortlaut in § 18 Abs. 1 kann sich der Zusammenschluss zur gemeinsamen Ausübung des Arztberufs zwar auch zum Erbringen einzelner Leistungen erfolgen, sofern er nicht lediglich einer Umgehung des § 31 MBO dient. Diese Regelung war im Grundsatz rechtlich nicht zu beanstanden, auch wenn der BGH[70] den insoweit wortgleichen § 18 Abs. 1 S. 3 1. Alt. der baden-württembergischen BO wegen Verstoßes gegen Art. 12 GG für nichtig erklärt hatte.
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Im Mittelpunkt der Entscheidung des BGH stand aber nicht das Zuweisungsverbot gegen Entgelt gemäß § 31 MBO, sondern die Unrechtsvermutung in § 18 Abs. 1 S. 3 1. Alt. BO Ba-Wü, wonach eine Umgehung insbesondere dann vorliegt, wenn sich der Beitrag der Ärztin oder des Arztes auf das Erbringen medizinisch-technischer Leistungen auf Veranlassung der übrigen Mitglieder einer Teil-Berufsausübungsgemeinschaft beschränkt oder der Gewinn ohne Grund in einer Weise verteilt wird, die nicht dem Anteil der von ihnen persönlich erbrachten Leistungen entspricht. Nur diese Einschränkung hielt der BGH für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig. § 18 Abs. 1 S. 3 2. Alt BO und § 18 Abs. 1 S. 4 BO, wonach die Anordnung einer Leistung, insbesondere aus den Bereichen der Labormedizin, der Pathologie und der bildgebenden Verfahren, keinen Leistungsanteil i.S.d. S. 3 darstellt, wurden ausdrücklich nicht beanstandet. Im Gegenteil wurde dem Berufungsgericht, an das der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen wurde, aufgegeben, die vertraglichen und tatsächlichen Abläufe durch entsprechende Beweiserhebungen zu klären. Damit hat der BGH keineswegs, wie von interessierte Seite in ersten Bewertungen des Urteils behauptet, als zu restriktiv empfundene Zuweisungspraktiken erleichtert. Das OLG hat im Ergebnis den Unterlassungsanspruch bestätigt, weil die gesellschaftsrechtliche Konstruktion auch nach Wegfall von § 18 Abs. 1 S. 3 1. Alt. BO gegen § 18 Abs. 1 S. 2 und 4 sowie S. 3 2. Alt. BO verstoße.[71] Als Konsequenz der Entscheidung des BGH hat die Baden-Württembergische Landesärztekammer den vom BGH beanstandeten Passus aus ihrer Berufsordnung gestrichen. In der MBO wurde diese Änderung nachvollzogen.
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In zwei Entscheidungen vom 25.3.2015 hat das BSG eine eigene vertragsarztrechtliche Bewertung vorgenommen. In einem Verfahren ging es um eine Teil-ÜBAG zwischen ophtalmologischen Kataraktoperateuren und einem ausschließlich konservativ tätigen Augenarzt.[72] Im Ergebnis führte die Vertragsgestaltung dazu, dass der konservativ tätige Augenarzt seine Praxis unverändert in E. ausübte. Die ophtalmologischen Operateure führten die präoperative Diagnostik, die Operationen wie auch die Nachsorge bei Patienten, die den Erstkontakt in E. hatten, ebenfalls in der Praxis in E. aus, hatten ihre eigene Praxis aber in Sch. Ihre Tätigkeit an von dem konservativ tätigen Augenarzt zugewiesenen Patienten unterschied sich bis auf den Ort des Eingriffs nicht von der zuvor gelebten Überweisungspraxis. Dennoch waren alle Gesellschafter am Betriebsergebnis paritätisch beteiligt. Der Berufungsausschuss genehmigte diese Teil-ÜBAG nicht. Das BSG bestätigte diese Entscheidung. Die überdurchschnittliche Gewinnbeteiligung des konservativ tätigen Augenarztes an deutlich besser bewerteten operativen Leistungen bei von ihm ursprünglich behandelten Patienten spreche dafür, dass es sich um unzulässige Zuweisungen gegen Entgelt handele. Hier liege im Übrigen schon begrifflich keine Teil-BAG vor, weil der konservativ tätige Augenarzt seine gesamte Praxis eingebracht habe. Eine Teil-BAG setze voraus, dass bei dem Einbringenden noch ein Rest verbleibe, den er eigenständig vertragsärztlich ausführen könne. Ob das BSG den Erwägungen des BGH in dessen Entscheidung vom 15.5.2014 in allen Punkten folge, wurde ausdrücklich offen gelassen, da sich der zu beurteilende Sachverhalt unterscheide. Das BSG schrieb allen Interessierten für die Zukunft noch folgendes ins Stammbuch: Vertragliche Regelungen für eine Teil-BAG müssen vertraglich klar fixiert werden. Es müsse dem Vertrag zu entnehmen sein, welche Gebührenziffern des EBM als konkretisierte Leistungen Bestandteile der gemeinsamen Berufsausübung sein sollen. Unklarheiten gehen zu Lasten der Antragsteller. Größere strukturelle Vertragsänderungen während des gerichtlichen Verfahrens bewirken keine Heilung. Für die in § 15a Abs. 5 BMV-Ä aufgestellte Forderung, die Teil-BAG müsse medizinisch erforderlich sein, um Patienten gemeinsam zu versorgen, gebe es allerdings keine Rechtsgrundlage.
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In der zweiten an diesem Tag verkündeten Entscheidung grenzte das BSG die vollständige Einbringung einer Praxis in eine Teil-BAG von der Einbringung eines vollständige Leistungskomplexes ab. Letzteres stünde einer Genehmigung einer Teil-BAG nicht entgegen.[73] Beide Ärzte (eine Internistin und ein Allgemeinarzt)