Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
zu bedienen. Alleine die Schaffung der Möglichkeit eines Zusatzverdienstes durch die Vergütung des Ohrabdrucks durch den Hörgeräteversand sei für sich genommen nicht zu beanstanden, da er auf erlaubter HNO-ärztlicher Tätigkeit beruhe. Ein Verstoß gegen § 126 Abs. 1 SGB V a.F. (Beschränkung der Hilfsmittelabgabe auf zugelassene Leistungserbringer) liege nicht vor, da der HNO-Arzt die Hörgeräte nicht abgebe, sondern nur verordne. Abgeber im Rechtssinne bleibe das Versandhandelsunternehmen. In einer späteren Entscheidung hat der BGH[99] diese Rechtsprechung bekräftigt. Die Vorteile des verkürzten Vertriebsweges (günstiger Preis, keine „Laufereien“) sprächen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht nicht gegen, sondern gerade für das Konzept. Mittlerweile wurde diese Argumentationsschiene auch für andere Vertriebsmodelle herangezogen. Noch weiter ging das OLG Celle[100] in einer weiteren Entscheidung zur Hörgeräteabgabe in der HNO-Praxis. Ein hinreichender Grund für die Empfehlung eines bestimmten Lieferanten i.S.v. § 34 Abs. 5 MBO (jetzt § 31 Abs. 2 MBO) liege schon dann vor, wenn dem Patienten aus Gründen der Bequemlichkeit ein weiterer Gang zum Hörgeräteakustiker erspart bliebe. Für den orthopädischen Hilfsmittelbereich würde mit dieser Argumentation auch die Abgabe vielfältiger Fertighilfsmittel (ohne Anpassungsbedarf) gerechtfertigt werden können, wenn ein Patient z.B. in seiner Mobilität eingeschränkt ist. In Abgrenzung zu dieser Rechtsprechung hat das OLG Stuttgart entschieden, dass ein Vertriebssystem von Brillen über Augenarztpraxen unzulässig ist.[101] Die Auswahl einer Brille erfolge nur in Ausnahmefällen nach medizinischen Gesichtspunkten. Statt medizinischer ständen eher ästhetische und handwerkliche Überlegungen im Vordergrund. Auf den Patienten könne ein unangemessener Druck ausgeübt werden, wenn ihm „sein“ Augenarzt ein derartiges Produkt anbiete. Der Arzt nehme bei diesem Verkauf eher die Position eines Gewerbetreibenden ein. Im Lichte der Entscheidung des BGH[102] v. 13.1.2011 entspricht die Linie des OLG Celle nicht mehr dem Stand der Rechtsprechung. Diese Linie wurde vom BGH mit seiner Hörgeräte III-Entscheidung abermals bestätigt.[103]
164
Der erst am 1.4.2009 durch das GKV-OrgWG eingeführte neue § 128 SGB V ist im Rahmen der 15. AMG-Novelle (BGBl. 2009 I, S. 2015) erneut deutlich verschärft worden. Die Änderungen sind am 23.7.2009 in Kraft getreten. Durch das GKV-VStG ist § 128 SGB V mit Wirkung zum 1.1.2012 abermals verschärft worden, an den Regelungen zu den Vertriebswegen hat sich jedoch nichts weiter geändert. Die bisherigen Modelle des „verkürzten Versorgungsweges“ mussten rechtlich zum 31.3.2009, jedenfalls für den GKV-Bereich, auslaufen.[104] Wurden sie über den 31.3.2009 hinaus fortgeführt, verstoßen sie gegen ein gesetzliches Verbot mit der Folge unheilbarer Nichtigkeit.[105] Neben der Gefahr der Rückabwicklung nach §§ 812 ff. BGB können die Sanktionen gem. § 128 Abs. 3 und Abs. 5 SGB V auch für bis zum Stichtag zulässige Versorgungsformen greifen. Ziel der Regelung ist Transparenz. Einen Vertrauens- und/oder Bestandsschutz gibt es nicht. Schließlich wird die strafrechtliche Dimension derartiger Verhaltensweisen zunehmend diskutiert.[106] Zu beachten ist ferner, dass Verstöße gegen formale Vorgaben des § 128 SGB V zum Verlust des Kostenerstattungsanspruchs führen können, was dann wiederum eine Strafbarkeit nach § 263 StGB nach sich ziehen kann.[107]Während andere Wirtschaftsbereiche nach zugegebenermaßen leidvollen Erfahrungen ihre Lehren zu ziehen beginnen[108], ist das Problembewusstsein bei manchen Ärzten, Krankenhäusern aber auch Kostenträgern im Hinblick auf die Angreifbarkeit derartiger „Belohnungssysteme“ noch entwicklungsfähig. In der berufsgerichtlichen Rechtsprechung sind entsprechende Verurteilungen aber eher selten.[109]
165
Schließlich ist § 31 MBO zu beachten. Schutzzweck der Norm ist u.a., dass sich der Arzt in seiner Entscheidung, welchem anderen Arzt er Patienten zuweist oder zur Diagnose hinzuzieht, nicht von vornherein gegen Entgelt bindet, sondern diese Entscheidung allein auf Grund medizinischer Erwägungen im Interesse des Patienten trifft. Im Übrigen will § 31 nicht nur den Patienten vor sachfremden Erwägungen des ihn unmittelbar behandelnden Arztes bewahren. Die Vorschrift soll darüber hinaus verhindern, dass sich Ärzte durch Vorteilsgewährung ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Berufskollegen verschaffen. Dieser Schutzzweck gebietet, jede Art der Patientenvermittlung gegen Entgelt oder sonstiger Vorteile, die ihren Grund nicht in der Behandlung selbst haben, als verbotswidrig anzusehen. Aus diesem Grunde wendet sich § 31 sowohl an den Vorteilsgewährer als auch an den vorteilsannehmenden Arzt. Letztlich passt § 31 gut in den aktuellen Kontext der Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen, weil Ziel der Vorschrift auch die Marktgerechtigkeit ist. Ihre strafrechtliche Entsprechung findet die Vorschrift in §§ 299, 299a ff., 331 ff. StGB. Zusätzliche Klarheit wurde durch die Einführung neuer Regelungen zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen geschaffen.[110]Wer sein bisheriges Verhalten nicht ändert, wird sich in der Zukunft darüber hinaus verstärkt wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen ausgesetzt sehen. Das Ventil „verkürzter Versorgungsweg“, das nicht wenige genutzt haben, um einigermaßen legale Kundenbeziehungen zu pflegen, ist geschlossen. Der Umstieg im Hilfsmittelmarkt vom Zulassungssystem auf das Vertragssystem gemäß § 126 i.V.m. § 127 SGB V wird den (Verdrängungs-)Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern verschärfen. Es werden sich Lager bilden: diejenigen, die unbeirrt mit einer „Augen zu und durch“-Mentalität die alten Pfade begehen und denjenigen, die versuchen sich gesetzeskonform zu verhalten. Sehen letztere sich dadurch ins Hintertreffen geraten, sind wettbewerbsrechtliche Notwehrmaßnahmen (von – anonymen – Meldungen anderer Art zu schweigen) naheliegend.
e) Kooperation mit Sanitätshäusern
166
Wiederum andere Gewichtungen findet man bei der Zusammenarbeit mit Sanitätshäusern vor. Zwar gilt zunächst das Vorgesagte entsprechend. Ergänzend wird jedoch zu berücksichtigen sein, dass es vor allem bei Fertighilfsmitteln, bei denen es keinerlei Anpassung und damit letztlich auch keiner fachlichen/handwerklichen Qualifikation bedarf, argumentativ wesentlich schwerer ist, eine finanzielle Zahlung des Sanitätshauses an den Arzt zu rechtfertigen. Denn hier findet ja bezogen auf die reine Warenübergabe keine ärztliche Tätigkeit statt. Erstaunlich ist, wie wenig die (mögliche) strafrechtliche Dimension derartiger Verhaltensmuster diskutiert wird.[111] Denn die Frage der Strafbarkeit wegen Untreue gemäß § 266 StGB zu Lasten der GKV bei unrechtmäßigen oder unnötigen Verordnungen betrifft juristisch gesehen ja nicht nur die Verordnung von Arzneimitteln, sondern auch von Hilfsmitteln. Mit seinen Entscheidungen vom 25.11.2003 und 27.4.2004 hat der BGH[112] hier mittlerweile Maßstäbe gesetzt, die den Arzt auch jenseits der eigentlichen Abrechnungsproblematik einem nicht unerheblichen Strafbarkeitsrisiko (diesmal dann aber nicht wegen Betruges, sondern wegen Untreue gemäß § 266 StGB) aussetzen. In welchem Umfang Ärzte einfache Hilfsmittel abgeben können, war lange Zeit umstritten.[113] Der BGH[114] hat sich der eher restriktiven Auffassung angeschlossen. Danach darf ein Arzt seine Patienten nicht auf die Möglichkeit des Bezugs von Teststreifen aus einem in der Praxis befindlichen Depot eines Sanitätshauses hinweisen und danach abgeben, es sei denn, der Patient wünscht dies von sich aus ausdrücklich, aus Anlass von Schulungszwecken zur Ersteinweisung oder Nachschulung oder in Notfällen. Die Abgabe von in großem Umfang benötigten Verbrauchsprodukten durch den Arzt sei im Regelfall Ausdruck eines rein geschäftsmäßigen Verhaltens, das die Gefahr einer langfristigen negativen Rückwirkung auf die medizinische Versorgung durch eine Orientierung an ökonomischen Erfolgskriterien in sich berge. Soweit die Abgabe unmittelbar der ärztlichen Therapie diene, sei sie jedoch nicht zu beanstanden.
f) Mittelbare Vorteile und Umgehungsstrategien
167
Ärzten ist es nicht verwehrt, zur Ergänzung oder Unterstützung ihrer Berufstätigkeit Unternehmen im Gesundheitswesen zu betreiben oder sich daran zu beteiligen. Derartige Unternehmen können auch im GKV-Sektor Vertragspartner der Kassen werden. Die Vorgaben des „Kassenarztrechts“ sind in § 124 Abs. 5 SGB V normiert. Danach dürfen Heilmittel in Dienstleistungsform nur von zugelassenen Leistungserbringern „abgegeben“ werden. „Leistungserbringer“ kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts[115] auch eine GmbH sein, wenn in ihr ein zugelassener Leistungserbringer fachlich unabhängig tätig ist. Wer Gesellschafter der GmbH ist, ist für die Zulassung unerheblich. Gesellschafter kann mithin auch ein Arzt sein. Betrachtet man sich