Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
attraktiven Vergütung eingeräumt wird. An dieser Stelle besteht die Gefahr, Elemente der Angemessenheitsprüfung mit der Frage, ob eine Unrechtsvereinbarung vorliegt, zu vermischen.[164] Um diese Diskussion zu vermeiden, ist es letztlich vorzugswürdig, wenn der Arzt für alle Patienten seiner Abteilung zuständig ist, nicht nur für die von ihm selbst eingewiesenen Patienten.
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Die Zulässigkeit sog. Hol- und Bringedienste wurde von den Gerichten unterschiedlich beurteilt.[165] Entscheidend dürfte weniger die tatsächliche Distanz, sondern vielmehr die Gefahr für das zu untersuchende Probengut durch die Dauer des Transports sein. Ist darüber hinaus ein guter Kontakt zwischen Diagnostiker und einsendender Einrichtung gewährleistet, sprechen auch Hol- und Bringedienste über eine längere Distanz nicht gegen eine unerlaubte Vorteilsgewährung, da bei derartigen Untersuchungsleistungen der Kontakt zwischen Arzt und Patient ohnehin nicht im Vordergrund steht und somit das Kriterium für eine örtliche Bezugsgröße entfällt.[166] Wegen § 11 ApoG ist allerdings ein Hol- und Bringedienst zwischen Apotheker und Arzt unzulässig.[167] Neue Versorgungsformen im Rahmen des DVG können hierzu allerdings andere Lösungsansätze anzeigen.
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Die Annahme von Zuwendungen, die sich ein Augenarzt von einem Optiker versprechen lässt, der in demselben Gebäude ein Geschäft führt, sind auch dann standeswidrig, wenn der Arzt sich zu keiner Gegenleistung verpflichtet. Die umsatzabhängige Verzinsung eines von dem Augenarzt dem Optiker gewährten Darlehens erweckt zusätzlich den Verdacht der Gewinnbeteiligung an ärztlichen Verordnungen.[168]
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Inwieweit Patientenvermittlungsagenturen unter § 31 MBO fallen, kann nicht einheitlich bewertet werden. Ist es Aufgabe der Agentur, z.B. im Ausland zahlungskräftige Patienten anzuwerben, dürfte dieses Verhalten eher an § 27 MBO zu messen sein. Werden (ausländischen) Einrichtungen oder Personen des Gesundheitswesens Provisionen für die Zuweisung von Patienten versprochen, kann der Schutzzweck von § 31 MBO verletzt sein. Generell muss beachtet werden, dass Patientenvermittlung eine gewerbliche Tätigkeit darstellen kann. Unzulässig dürften wohl aber solche Vermittlungs- oder Maklerverträge sein, in denen ein bestimmter Prozentsatz vom ärztlichen oder Krankenhaushonorar als Entgelt vereinbart wird.[169] Die verschiedenen Fallkonstellationen sind jedoch vielschichtig, weil auch die Angebotsstruktur sehr unterschiedlich sein kann. Unproblematisch ist in vielen Fällen, wenn der ausländische Patient die Agentur selbst bezahlt. Manche Agenturen organisieren auch die Reise und Dolmetscherdienste. Wenn das hierfür von der Klinik gezahlte Vermittlungshonorar keine Zuweiserprovisionsanteile enthält, mag dies u.U. zulässig sein. Sinnvoll ist jedenfalls, die Vertragsbeziehungen zwischen Klinik und Agentur gegenüber dem Patienten offen zu legen.[170]
dd) Exkurs: Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit bei der Zusammenarbeit mit Dritten[171]
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Auch wenn die Hinweise und Erläuterungen zu § 33 (Muster-)Berufsordnung a.F. beschlossen von den Berufsordnungsgremien der Bundesärztekammer am 2.4.2007 schon über 10 Jahre alt sind, sind ihre Inhalte ein guter Wegweiser (Zitat auszugsweise):[172]
Einleitung
Patientinnen und Patienten sollen darauf vertrauen können, dass bei allen ärztlichen Entscheidungen die Unabhängigkeit des Arztes gewahrt bleibt (§ 30 Abs. 1 (Muster-)Berufsordnung – MBO). Ärztinnen und Ärzte müssen daher unabhängig und unbeeinflusst von wirtschaftlichen Interessen Dritter ihrer Tätigkeit nachgehen. Die Unabhängigkeit ist in Gefahr, wenn der Arzt von einer bestimmten Behandlungsmethode, Verordnung oder Überweisung einen finanziellen Vorteil hat. Solche Praktiken gefährden das Grundvertrauen der Patienten in die ärztliche Tätigkeit, weil sie Zweifel daran wecken, dass die Behandlung einzig und allein am Wohl der Patienten ausgerichtet ist. Im Berufsrecht hat die Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit einen herausragenden Stellenwert. Von Beginn an sind Zuwendungen für das Zuweisen von Patienten oder für das Verordnen von Arznei- oder Heilmitteln missbilligt worden. Zur Wahrung der Unabhängigkeit des Arztes ist auch die grundsätzlich sinnvolle Zusammenarbeit von Ärzten und Industrieunternehmen, z.B. bei der Begutachtung und Prüfung von Arzneimitteln und anderen medizinischen Produkten, unter den Vorbehalt gestellt, dass jeglicher Zuwendung eines Unternehmens an einen Arzt eine äquivalente Gegenleistung des Arztes gegenüberstehen muss. Die Ärzteschaft hat stets darauf geachtet, dass die Bestimmungen der Berufsordnung so wirklichkeitsnah wie möglich sind. Stellten sich bestimmte Regelungen als unzureichend heraus, wurden sie entsprechend nachgebessert oder ergänzt, wie z.B. das generalklauselartige Verbot der Annahme von Geschenken und anderen Vorteilen in § 32 MBO oder auch die Ausdehnung dieser Regelung auf sogenannte Drittvorteile. Dadurch hat das Berufsrecht immer auch denen Grenzen gesetzt, die daran interessiert sind, auf die ärztliche Behandlungstätigkeit im Sinne einer Steigerung des Absatzes eigener Produkte Einfluss zu nehmen. Die seit Jahren zu beobachtende Forcierung des Wettbewerbs zwischen Leistungsanbietern und Kostenträgern hat diesen gewinnorientierten Ansatz im Gesundheitswesen verstärkt. Zugleich versucht der Gesetzgeber – dem Dogma der Beitragssatzstabilität gehorchend – den Kostendruck im Gesundheitswesen an die Leistungsanbieter weiterzugeben. Die in jüngster Zeit eingeführten kostensteuernden Instrumente wie Boni oder Rabatte korrespondieren mit der politischen gewollten Umwandlung des Gesundheitssystems in einen mehr und mehr marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftszweig. Die durch das Vertragsarztrecht ausgeweitete finanzielle Anreizstruktur hebt ab auf die ökonomische Mitverantwortung des Arztes in der Behandlung. Dieser Verantwortung kann und will sich die Ärzteschaft nicht völlig verweigern, auch wenn sie finanzielle Anreize unverändert für problematisch hält. Vor diesem Hintergrund sollen die nachfolgenden Hinweise und Erläuterungen dazu beitragen, die Grenze zwischen den unverzichtbaren Anforderungen an die ärztliche Unabhängigkeit einerseits und zulässigen verhaltenslenkenden Anreizen andererseits zu bestimmen. Die Fragen und Antworten enthalten exemplarische Bewertungen von Einzelfällen. Die daraus abgeleiteten Prüfkriterien sollen der Bewertung anderer Fälle finanzieller Anreize dienen.
1. Inwieweit sind Boni und Rabattanteile, die der Arzt für eine wirtschaftliche Verordnung von Arzneimitteln erhält, mit der ärztlichen Berufsordnung zu vereinbaren?
Das Sozialgesetzbuch enthält inzwischen verschiedene Vorschriften, auf deren Grundlage der Arzt Bonus- oder Rabattanteilszahlungen erhalten kann:
– | Der durch das Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) vom 26. April 2006 in § 84 SGB V neu eingefügte Absatz 7a sieht vor, dass die Krankenkassen an die Kassenärztlichen Vereinigungen einen Bonus zu entrichten haben, der unter den wirtschaftlich verordnenden Vertragsärzten zu verteilen ist, wenn die Ausgaben der von den Vertragsärzten einer Kassenärztlichen Vereinigung insgesamt verordneten Arzneimittel Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit unterschreiten, die vorab auf Bundesebene vereinbart wurden. |
– | Der zum 1.1.2004 in § 84 SGB V neu eingefügte Absatz 4a ermöglicht Bonuszahlungen für das Unterschreiten von Richtgrößenvolumina für Arznei- und Verbandmittelverordnungen. |
– | § 130a Abs. 8 SGB V bietet eine Rechtsgrundlage für Rabattvereinbarungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen. Der durch das AVWG neu angefügte § 130a Abs. 8 S. 5 SGBV ermöglicht es daran anknüpfend, dass die Krankenkassen Vertragsärzte am Abschluss derartiger Verträge beteiligen oder diese mit dem Abschluss solcher Verträge beauftragen. Satz 3 dieses Absatzes sieht zwar vor, dass Rabatte von den pharmazeutischen Unternehmen an die Krankenkassen zu vergüten sind. Es ist jedoch möglich, dass die Rabattvereinbarungen mit Vertragsärzten Regelungen darüber enthalten, dass bzw. wie die Krankenkassen Ärztinnen und Ärzte an den erzielten Rabatten beteiligen. |
Demgegenüber verbietet § 34 Abs. 1 MBO Ärztinnen und Ärzten das Annehmen von Vorteilen für die Verordnung von Arzneimitteln und anderen medizinischen Produkten. Die Vorschrift soll verhindern, dass z.B. Arzneimittelhersteller Ärzten Geld oder sonstige Vorteile mit der Absicht zuwenden, die Verordnungen eigener Präparate