Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
man sie außer Acht, läuft man Gefahr, Werbung nur einseitig unter Selbstdarstellungsaspekten zu bewerten, während das, was eigentlich befördert werden soll, nämlich die zutreffende Information, an Gewicht verliert[178]. Dann würde aber genau das Gegenteil dessen erreicht, was man mit der Teilnahme des Arztes an der Informationsgesellschaft eigentlich bezwecken will. Denn der Arzt hat vor dem Patienten, jedenfalls normalerweise, einen enormen Informationsvorsprung. Nutzt er diesen Informationsanspruch in einer Art und Weise aus, dass er überzeichnend die eigene Person oder das eigene Handeln in den Augen des Patienten so positioniert, dass diesem jede vernünftige Abwägung abgeschnitten und er zu einer Entscheidung verleitet wird, die er bei vernünftiger Abwägung nicht getroffen hätte, ist die Grenze zur unerwünschten Anpreisung überschritten. Kleine-Cosack[179] ist allerdings zuzustimmen, dass es rechtlich nicht darauf ankommen kann, ob etwas „unerwünscht“ ist, sondern nur darauf, ob die Handlung erlaubt oder zu Recht (beruhend auf einer gesetzlichen Norm) untersagt ist. Ob man so weit gehen will, deshalb auch „anpreisendes“ Verhalten nur mehr an den Normen des HWG oder UWG zu messen, scheint hingegen zweifelhaft.
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Mag diese Grenze nämlich in manchen Wirtschaftsbereichen längst nicht mehr zu erkennen sein, spielt sie im Gesundheitswesen nach wie vor und zu Recht eine wichtige Rolle. Einschränkung in der Arzneimittelwerbung, Tabakwerbung und Vorschriften zum Jugendschutz etc. sind weitgehend konsentiert, ohne dass man ernsthaft mit Art. 12 oder 14 GG argumentieren würde. Der Patient ist eben nicht nur „Kunde“ und schon gar nicht „auf Augenhöhe“ mit der Anbieterseite, sondern in den allermeisten Fällen Ratsuchender, oftmals krank und hilfebedürftig und damit keineswegs immer „souveräner“ Entscheider. Längst sind Fehlentwicklungen aufgrund eines falsch verstandenen „Freiheitsbegriffs“ mit Händen zu greifen (Werbung für Schönheitsoperationen bis hin zu obskuren Heilmethoden). Der Gesetzgeber sah sich im Rahmen der 14. AMG-Novelle vom 29.8.2005 zur Handlung gezwungen[180]. Eines wird aber auch deutlich: Wenn in manchen Kreisen immer mehr werbliche Aktivitäten Raum greifen, kann ein Zwang für andere entstehen, ebenfalls zu werben. Längst machen daher Aufwendungen für Werbung in nicht wenigen Praxen einen nicht unerheblichen Kostenblock aus. Das ärztliche „Werbeverbot“ ist seit Jahren Geschichte. Das Abendland ist deshalb nicht untergegangen. Wer aber meint, es gebe jetzt geradezu eine Pflicht zur Werbung und dazu auch noch Bürgerrechte bemüht, hat etwas Grundlegendes missverstanden. Eine „freie“ Bürgergesellschaft lebt von Verantwortung. Jedwede „Beliebigkeit“ ist kein Ausdruck von Freiheit, sondern führt nicht selten zu deren Erosion. Letztlich, wenn auch rechtlich natürlich nicht ausschlaggebend, bleibt es dabei: Ein Wesenszug der Freien Berufe ist ihre hohe Professionalität und ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Eine Förderung anpreisender Fehlvorstellungen auf dem Rücken der Patienten ist das letzte, was das Deutsche Gesundheitswesen benötigt. Dies nützt weder den Patienten und zumindest mittelfristig am wenigsten den Ärzten.
bb) Werbung, Information und Meinungsfreiheit
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Die Beschränkung anpreisenden Verhaltens gilt als Wesenszug Freier Berufe.[181] Im Laufe der Zeit sind die einzelnen Vorschriften immer weiter differenziert worden. Während § 27 MBO das Verbot berufswidriger Selbstdarstellung postuliert, enthielten § 28 MBO a.F. und die Regelungen in Kap. D I Nr. 1–5 Ausnahmeregelungen für Spezialbereiche. Das Verbot der Fremdwerbung (Werbung für Dritte) wird in den §§ 33, 34 und 35 MBO angesprochen.[182] Interkollegiale Werbeaspekte sind außerdem in § 31 MBO von Bedeutung. Damit sind z.B. Anreizsysteme zur „Überweiser- oder Zuweiserbindung“ gemeint (siehe oben Rn. 172). Weitere wichtige werbebeschränkende Vorschriften finden sich im Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens (HWG). Dessen Vorschriften können sich weit einschneidender auf Ärzte auswirken. Wurde früher nämlich die Auffassung vertreten, ein durch ärztliches Berufsrecht gedecktes Verhalten könne per definitionem schon keinen Verstoß gegen das HWG beinhalten,[183] lässt sich dies angesichts der offenen Fassung von § 27 MBO n.F. nur noch schwer begründen.
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Gemäß § 1 Abs. 1 MBO dient der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe (siehe auch § 1 Abs. 2 BÄO). Diese Postulate wurden von der früher h.M. als Rechtfertigung für die Beschränkung ärztlicher Werbung angeführt. Vertreter dieser Auffassung beriefen sich darauf, Werbung schade dem Ansehen des Berufsstandes, Werbung sei immanent irreführend und schließlich sei Werbung der Gesundheit der Bevölkerung abträglich.[184] Nach anderer Auffassung[185] stellen standesrechtliche Werbeverbote ihrer Natur nach eine Marktzutrittsbarriere für neu zugelassene Ärzte dar. Das ärztliche Werbeverbot benachteilige den „Jung-Arzt“, da es ihm auferlege, sich in einer modernen Kommunikationsgesellschaft und allgemeiner Sättigung mit ärztlichen Dienstleistungen gegen bereits fest am Markt etablierte Konkurrenten behaupten zu müssen, ohne auf die Werkzeuge anderer Dienstleister im gewerblichen Bereich zurückgreifen zu können.
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Betrachtet man sich die Rechtsprechung zu § 1 UWG (a.F.), wird dieser Aspekt standesrechtlicher Werbeverbote überdeutlich. Durch die Richtlinie der EU,[186] nach der vergleichende Werbung – auch für Freiberufler – zulässig sein würde, Werbung lediglich nicht irreführend und herabsetzend sein oder Verwechslungen verursachen dürfe, hat sich für Deutschland nichts geändert. Durch Intervention der BRAK wurden die freien Berufe (sofern es in den Mitgliedstaaten entsprechende Regelungen gibt) vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Dieser Vorbehalt ist in Deutschland durch die einzelnen Länder-BO wirksam geworden. § 27 Abs. 1 MBO a.F.[187] untersagte dem Arzt jede Werbung für sich oder andere Ärzte. Der Begriff der Werbung ist vielschichtig. Die unterschiedlichen Bestimmungen der Berufsordnung lassen eine klare Definition vermissen. Vielmehr werden verschiedene Aspekte angesprochen, die jeder für sich Werbung sein können und im Einzelfall dennoch erlaubt sind. Berücksichtigt man ferner, dass Werbung als Wirtschaftswerbung, Reklame, Propaganda, Agitation und Vertrauenswerbung in Erscheinung tritt, wird deutlich, dass es gar nicht einfach ist, zwischen zulässiger Information (Werbung) einerseits und unzulässiger Reklame (Anpreisung) andererseits zu unterscheiden. Diese Unterscheidung wird nicht dadurch einfacher, dass das Bundesverfassungsgericht das generelle Werbeverbot dahingehend relativiert bzw. verfassungskonform ausgelegt hat, dass dem Arzt nur berufswidrige Werbung untersagt werde, nicht hingegen jede Art von werbender Tätigkeit.[188] Neben der arztzentrierten Sicht erfährt die Problematik durch die stärkere Gewichtung des Informationsanspruchs des (potentiellen) Patienten eine gegenüber früher offenere Wertung.[189]
cc) Differenzierung stationär/ambulant?
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Schon die „Sanatoriumsentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts[190] hatte im Bereich der stationären Versorgung deutlich größere Freiheiten ermöglicht. Danach war eine differenzierende Betrachtungsweise zulässig.[191] Während dem normalen niedergelassenen Arzt jegliche berufswidrige Werbung untersagt ist, untersagte § 27 Abs. 2 S. 2 MBO a.F. dem für eine der dort genannte Einrichtung tätigen Arzt lediglich die anpreisende Herausstellung. Tritt die stationäre Einheit/Klinik in Konkurrenz zu anderen niedergelassenen Ärzten, indem sie typischerweise denselben Patientenkreis wie eine herkömmliche Praxis anspricht, wurde früher die Auffassung vertreten, der in dieser Einheit tätige (leitende) Arzt könne sich nicht auf diesen „Vorteil“ berufen. In diesem Fall sollten nicht die Grundsätze zur Unternehmenswerbung (Klinik- und Sanatoriumswerbung, § 27 Abs. 2 S. 2 MBO a.F.), sondern die strengen Regeln der Eigenwerbung (§ 27 Abs. 1 S. 1 MBO a.F.) gelten.[192] Diese frühere Differenzierung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung hat deutlich an Stellenwert verloren. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.7.2000[193] lässt sie sich nicht mehr uneingeschränkt aufrecht erhalten. Eine in der Rechtsform der GmbH eingetragene Zahnklinik hatte mit einem farbigen Faltblatt, das in der Klinik (nicht in der Praxis des Zahnarztes) auslag, für Implantat- und prothetische Behandlungen geworben.