Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Bei der Bonuszahlung gem. § 84 Abs. 7a SGBV an wirtschaftlich verordnende Vertragsärzte und bei der Beteiligung von Vertragsärzten an Rabatten gem. § 130a SGB V verfolgen die Vereinbarungen aber nicht den von den § 34 Abs. 1 MBO missbilligten Zweck, Ärzte zur Verordnung eines ganz bestimmten Arzneimittels zu bewegen. Absicht ist es in diesen Fällen vielmehr, den Arzt gemäß den gesetzlichen Vorgaben zu einem wirtschaftlichen Verordnungsverhalten in dem Sinne zu veranlassen, dass unter mehreren Arzneimitteln, die im Einzelfall für den Patienten in ähnlicher Weise geeignet sind, nach Möglichkeit das preisgünstigste Präparat verordnet wird. In diesem Fall fehlt es am Unrechtsgehalt der Vorteilsgewährung. Auch im Fall einer solchen weitergehenden Zielsetzung muss dem Arzt jedoch ein hinreichender Entscheidungsspielraum verbleiben. Voraussetzung einer berufsrechtlich zulässigen Vorteilsgewährung ist es daher, dass durch die konkrete Ausgestaltung der Durchschnittskosten- oder Rabattvereinbarung oder durch die Form der Ausschüttung eines Bonus oder Rabattanteils kein so starker Anreiz geboten wird, dass der Arzt sich veranlasst sieht, ausschließlich ein ganz bestimmtes Arzneimittel zu verordnen. Dem Arzt muss in jedem Behandlungsfall ein Entscheidungsspielraum zugunsten der Wahl eines von den Vereinbarungen nicht erfassten Arzneimittels verbleiben. Dementsprechend wird das Berufsrecht verletzt, wenn Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit so vereinbart werden, dass preislich über diesen Durchschnittskosten liegende Arzneimittel Patienten auch in begründeten Fällen versagt werden müssten, um das Bonusziel zu erreichen. Kriterien für die Beurteilung von Rabattvereinbarungen können insbesondere die Höhe des Rabattanteils, die Anzahl der Vereinbarungen in Bezug auf konkurrierende Präparate, die Menge der Verordnungsalternativen oder das jeweilige Verordnungsvolumen sein. Unzulässig wäre es aus berufsrechtlicher Sicht auch, wenn Boni nach § 84 Abs. 7a SGB V in der Form unter den wirtschaftlich verordnenden Vertragsärzten verteilt würden, dass der Vertragsarzt bei der Verordnung bereits die Höhe seines Rabattanteils berechnen kann. Damit würde nämlich ein zu großer Anreiz geboten, durch gezieltes Verordnungsverhalten Boni und Rabattanteile in einer gewünschten Höhe zu erlangen. In jedem Fall ist es erforderlich, dass diesbezügliche Vereinbarungen hinreichend bestimmt sind, um eine Handhabung zu verhindern, die berufsrechtlichen Vorgaben zuwiderläuft. Die Vereinbarungen müssen daher offen gelegt werden. Insbesondere bei Rabattverträgen, an denen Vertragsärzte als Vertragspartner beteiligt sind, muss jeder Arzt seiner berufsrechtlichen Verpflichtung gem. § 24 MBO nachkommen, diese Verträge vor Abschluss seiner Ärztekammer zur Prüfung vorzulegen. Werden diese Hinweise zum Umgang mit Boni und Rabattanteilen beachtet, erweckt der Arzt nicht den Eindruck, dass die Unabhängigkeit seiner ärztlichen Entscheidung im Sinne des § 32 MBO beeinflusst wird.
2. Sind Bonuszahlungen an Vertragsärzte, die auf der Grundlage von Verträgen über integrierte Versorgung gemäß den §§ 140a ff. SGB V erfolgen, mit der ärztlichen Berufsordnung zu vereinbaren?
Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 mit den §§ 140a ff. SGB V die integrierte Versorgung in die gesetzliche Krankenversicherung eingeführt. Die Praxis hat die zunächst ausdrücklich im Gesetz enthaltene Anregung aufgegriffen, aus den im Rahmen dieser Versorgungsform erzielten Einsparungen nicht nur den Versicherten, sondern auch den beteiligten Leistungserbringern einen Bonus zu zahlen. So sieht ein Vertrag über hausärztliche Versorgung beispielsweise vor, dass nach einem im Einzelnen vereinbarten Modus Einsparungen bei der Arzneimitteltherapie sowie bei den Ausgaben für häusliche Krankenpflege, Heil- und Hilfsmittel, Fahrtkosten und Krankenhausbehandlung ermittelt werden; die teilnehmenden Hausärzte erhalten davon einen Anteil von 30 % bzw. 60 %. Die Einsparungen im Arzneimittelbereich sollen insbesondere durch Berücksichtigung der von der beteiligten Krankenkasse mit Arzneimittelherstellern geschlossenen Rabattvereinbarungen erzielt werden. Auch die Entgegennahme derartiger Bonuszahlungen verstößt nicht in jedem Fall gegen das Verbot der Annahme von Vorteilen für die Verordnung von Arzneimitteln und sonstigen medizinischen Produkten in § 34 Abs. 1 MBO, das verhindern soll, dass Hersteller durch Zuwendungen an Ärzte Einfluss zugunsten einer Verordnung ihrer Produkte ausüben. Denn der Vorteil bzw. Bonus wird hier nicht vom Hersteller-Unternehmen eines bestimmten Arzneimittels, sondern im Rahmen eines Integrationsvertrages von der Krankenkasse gewährt. Er stellt sich auch nicht insofern als mittelbare Vergütung des Herstellers dar, als dass dieser lediglich den Weg einer Auszahlung über eine Krankenkasse wählt. Es fehlt an einem Vorteil „für die Verordnung“ im Sinne des § 34 Abs. 1 MBO, wenn sich die Initiative der Krankenkasse auf das sozialrechtlich erwünschte Erzielen von Einsparungen durch eine wirtschaftliche Verordnungsweise im Rahmen eines Integrationsvertrages richtet, der für den Patienten und alle Beteiligten in seinen wesentlichen Merkmalen erkennbar ist. Voraussetzung ist, dass dem Arzt durch die Ausgestaltung der Bonus- und Rabattvereinbarungen der notwendige Spielraum verbleibt, aus Gründen des Einzelfalles abweichend von den Vorgaben bzw. Anreizen durch diese Vereinbarungen zu verordnen. Zudem sollten konkrete und insoweit nachprüfbare Verhaltensweisen für das Erzielen von Einsparungen vereinbart werden. Sofern lediglich Teilausschüttungen von ersparten Ausgaben vereinbart werden, zwingt das den Arzt dazu, eigene Einsparstrategien zu entwickeln und verleitet u.U. dazu, medizinisch notwendige Leistungen zu versagen.
§ 34 Abs. 1 MBO: „Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, für die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten eine Vergütung oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern, sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen.“
§ 32 MBO: „Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten oder anderen Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern, sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird. Eine Beeinflussung liegt dann nicht vor, wenn der Wert des Geschenkes oder des anderen Vorteils geringfügig ist.“
Unter diesen Voraussetzungen wird auch nicht der Eindruck erweckt, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird, ein Verstoß gegen § 32 MBO wäre deshalb zu verneinen.
3. Inwieweit ist es berufsrechtlich zulässig, dass Ärzte Patienten mit oder ohne Zahlung einer Prämie z.B. auf eine Versandapotheke aufmerksam machen bzw. diese empfehlen?
Unter dem Eindruck steigender Ausgaben für Arzneimittel, für die die verordnenden Ärzte mit verantwortlich gemacht werden, der Existenz von Richtgrößen für Arzneimittelverordnungen und der Rechtsfolgen bei Überschreiten dieser Richtgrößen werden zunehmend Vereinbarungen zwischen Ärzten und Apothekern geschlossen, die auf eine Reduzierung der Arzneimittelkosten abzielen. In einer solchen Vereinbarung, die ein Ärztenetz unter Beteiligung einer Kassenärztlichen Vereinigung mit einer Versandapotheke geschlossen hat, sind gemeinsam aufgestellte Regeln zur Arzneimittelsubstitution enthalten, die von den vertragschließenden Parteien bei der Verordnung und bei der Abgabe von Arzneimitteln zu beachten sind. Die Ärzteseite verpflichtet sich in dem Vertrag, den Mitgliedern des Ärztenetzes die vereinbarten Substitutionsregeln und deren Handhabung zur Kenntnis zu bringen. Weiterhin verpflichten sich die Ärzte, bei jeder geeigneten Verordnung auf die Bezugsmöglichkeit über die Versandapotheke hinzuweisen und die Bezugsadresse zu benennen. Die Versandapotheke hat nach der Vereinbarung die Substitutionsregeln zu beachten und einen Bonus an das Ärztenetz zu gewähren. Der Bonus soll zur Entwicklung von Strukturen integrierter Versorgung verwendet werden. Erwogen worden war zudem, dass Ärzte ihren Patienten zur Nutzung der Versandapotheke jeweils einen Freiumschlag der Apotheke aushändigen. Bei der ersten Bestellung über diesen Freiumschlag sollte ein Gutschein übersandt werden, der bei künftigen Einkäufen nicht preisgebundener Produkte einlösbar sein sollte. Die Vorschrift des § 34 Abs. 5 MBO beschränkt die Möglichkeit der Verweisung von Patienten an bestimmte Leistungserbringer. Von einer Verweisung, die nach § 34 Abs. 5 MBO nur bei Vorliegen eines hinreichenden Grundes an eine bestimmte Apotheke erfolgen darf, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings nicht schon dann auszugehen, wenn der Patient auf die Möglichkeit des Bezuges über eine bestimmte Apotheke hingewiesen wird. Im Fall einer Verweisung muss der hinreichende Grund nach den Interessen des Patienten beurteilt werden; die Verweisung muss für den Patienten von Vorteil sein. Es reicht nicht aus, wenn sie allein den Interessen des verweisenden Arztes dient. Auch der Rechtsprechung zufolge ist der Arzt aber nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die Wirtschaftlichkeit der Versorgung zu berücksichtigen. Insoweit kann es als hinreichender Grund