Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
202; Orlowski/Wasem Gesundheitsreform 2004, GKV-Modernisierungsgesetz (GMG), 2003; dies. Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG), 2007; Pestalozza Kompetenzielle Fragen des Entwurfs eines Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes, GesR 2006, 389; Pitschas Die Gesundheitsreform 2007 – Verfassungskonformer Einstieg in den Systemwechsel der GKV, GesR 2008, 64; Rolfs/Witschen Reformoptionen zur Modernisierung der vertragsärztlichen Versorgung, NZS 2020, 121; Schirmer Das Kassenarztrecht im 2. GKV-Neuordnungsgesetz, MedR 1997, 431; Sodan Gesundheitsreform 2006/2007 – Systemwechsel mit Zukunft oder Flickschusterei?, NJW 2006, 3617; Wenner Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008; Wille/Koch Gesundheitsreform 2007, Grundriss, 2007.
8. Kapitel Vertragsarztrecht › B. Historische Entwicklung › I. Das Kassenarztrecht vor der RVO
I. Das Kassenarztrecht vor der RVO
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Die Entstehung des Kassenarztrechts geht auf das von Bismarck geschaffene deutsche Sozialversicherungssystem zurück, welches er am 17.11.1881 in der „kaiserlichen Botschaft“ erstmals vorstellte. Das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter von 1883,[1] 1892 neu bekannt gemacht als Krankenversicherungsgesetz,[2] schaffte die erste gesetzliche Grundlage des heute noch bestehenden solidarischen Pflichtversicherungssystems.
8. Kapitel Vertragsarztrecht › B. Historische Entwicklung › II. Die Zeit der RVO
II. Die Zeit der RVO
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Von entscheidender Bedeutung war die Schaffung der Reichsversicherungsordnung (RVO),[3] mit der das gesamte Sozialversicherungsrecht erstmals kodifiziert wurde. Die Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Ärzten wurde allerdings dem bestehenden Einzelvertragssystem überlassen. Unter dem Regime der RVO entstanden in den folgenden Jahren als Gegenpol der Krankenkassen und auf Druck der Ärzteschaft[4] die ersten Strukturen einer gemeinsamen Selbstverwaltung, aus der auf Seiten der Ärzte regionale kassenärztliche Vereinigungen hervorgingen, die während des Dritten Reiches „gleichgeschaltet“ wurden.[5]
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Unter dem Geltungsbereich des Grundgesetzes wurde durch das GKAR[6] zeitgleich mit dem „Gesetz über Verbände der gesetzlichen Krankenkassen und der Ersatzkassen“[7] das Kassenarztrecht und das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung grundlegend im Sinne der heute noch vorhandenen Ausprägungen neu strukturiert. Die im Dritten Reich zentralisierten Kassenärztlichen Vereinigungen wurden wieder föderalistisch ausgerichtet. Des Weiteren wurden die Selbstverwaltungskompetenzen der Beteiligten angelegt und das Vergütungssystem der kollektivvertraglichen Ausgestaltung überantwortet. Für die bisherigen Kassenärzte und Kassenzahnärzte wurde das Zulassungswesen einschließlich einer Bedarfsplanung eingeführt. Es folgten eine Reihe von gesetzlichen Änderungen, die vor allem in den 70er und 80er Jahren in erster Linie Kostendämpfungsmaßnahmen vorsahen.
8. Kapitel Vertragsarztrecht › B. Historische Entwicklung › III. Das SGB V und die Gesundheitsreformen
III. Das SGB V und die Gesundheitsreformen
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Die heutige Struktur des Vertragsarztrechtes wurde durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20.12.1988,[8] mit dem die gesetzliche Krankenversicherung aus der RVO ausgegliedert und das SGB V geschaffen wurde, angelegt. Mit diesem Gesetz wurde inhaltlich der „Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Versorgung“ in allen Bereichen in den Vordergrund gestellt.
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Es folgte das Gesundheitsstrukturgesetz,[9] mit dem die Ersatzkassen vollständig in das System eingegliedert und den Regionalkassen gleichgestellt wurden. Der „Kassenarzt“ wurde durch den „Vertragsarzt“ ersetzt.[10] Die Versicherten erhielten erstmals die Möglichkeit, ihre Krankenkasse selbst auszuwählen. Das machte es notwendig, dadurch eintretende Wettbewerbsverzerrungen durch einen Risikostrukturausgleich abzumildern. Ferner wurden die Grundlagen einer Budgetierung der Ausgaben geschaffen.
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Mit dem Psychotherapeutengesetz (PTG)[11] wurde zum 1.1.1999 das Berufsrecht der Psychotherapeuten kodifiziert. Approbierte Psychotherapeuten konnten erstmals die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung beantragen.
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Nach verschiedentlichen Versuchen, die Finanzierungsgrundlagen der GKV dauerhaft zu stabilisieren und einen Anstieg der Versicherungsbeiträge zu verhindern, sollte zum Jahr 2000 das GKV-Reformgesetz (GRG)[12] die Probleme durch eine umfassende Reform lösen.
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Das GRG brachte einige dauerhafte Neuerungen. Für die kollektivvertraglich zu vereinbarenden Gesamtvergütungen wurde eine jährlich festzustellende Veränderungsrate als Obergrenze eingeführt. Die hausärztliche Versorgung wurde ausgebaut und von der fachärztlichen Versorgung getrennt. Die Vorgaben für die Qualitätssicherung wurden ausgedehnt und das Instrument der integrierten Versorgung (§§ 140a ff. SGB V) erstmals eingeführt.
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Auf diese Reform folgten 2001 die Reform des Risikostrukturausgleichs (RSA)[13] und das Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips im Einzugsbereich der GKV.[14] Im Krankenhausbereich wurden die diagnose-orientierten Fallpauschalen eingeführt.[15]
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Strukturelle Änderungen enthielt dann wieder das GMG,[16] welches zum 1.1.2004 in Kraft trat. Die derzeit geltende Rechtslage beruht noch in vielen Bereichen maßgeblich auf dem GMG. Das GMG hat erstmals eine Patientenbeteiligung in verschiedenen Selbstverwaltungsgremien im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zur Pflicht gemacht. Die gesamte Organisation der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen wurde einer Neuordnung unterzogen. Die Patienten mussten eine Praxisgebühr bei erstmaliger Inanspruchnahme eines Arztes zahlen. Die Versorgungsstrukturen wurden durch die Weiterentwicklung der integrierten Versorgung und Einführung einer hausarztzentrierten Versorgung reformiert. Ergänzend dazu wurde das Medizinische Versorgungszentrum als neuer Zulassungsstatus geschaffen. Im Bereich des Vergütungsrechts wurden die Aufgaben des Bewertungsausschusses ausgeweitet, um einheitliche Vorgaben für die Gesamtvergütungsvereinbarungen und die Honorarverteilung zu schaffen. Neben Neuordnungen bei der Arznei- und Hilfsmittelversorgung wurden im Zahnersatzbereich Festzuschüsse nach §§ 55 ff. SGB V eingeführt.
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Verschiedene Gesetze hatten in erster Linie eine Dämpfung der Arzneimittelausgaben zum Ziel, so z.B. das AABG.[17] Mit dem AABG[18] wurde § 84 SGB V grundlegend umgestaltet. Es folgte das AVWG,[19] mit dem die Festbeträge für Arzneimittel abgesenkt wurden. Für die Vertragsärzteschaft wurde eine Bonus-Malus-Regelung hinsichtlich der verordneten Arzneimittel eingeführt (§ 84 Abs. 7a SGB V), mit der die Ärzte zur Verordnung preisgünstiger Arzneimittel veranlasst werden sollten.
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In Folge der Einführung der neuen Versorgungsformen und insbesondere des Medizinischen Versorgungszentrums durch das GMG zeigte sich die Notwendigkeit, das ärztliche Berufsrecht