Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
in der Europäischen Union – von der Rechtsprechung des EuGH zur neuen Richtlinie 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, EuR 2012, 149; Wunder Zur Vereinbarkeit von Wartelisten mit den Grundfreiheiten, MedR 2007, 21; ders. Zum Vorschlag des Erlasses einer Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung – Was ist neu?, MedR 2009, 324.
3. Kapitel Europäisches Gesundheitsrecht › A. Einführung
A. Einführung
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Bei der Darstellung des europäischen Rechts ist zwischen dem Europarecht im engeren Sinne und dem Europarecht im weiteren Sinne zu unterscheiden. Das Europarecht im engeren Sinne umfasst das Recht der Europäischen Union. Das Gesundheitsrecht in der Europäischen Union findet sich in Abschnitt B. (siehe Rn. 2 ff.). Zum Europarecht im weiteren Sinne zählt unter anderem die Tätigkeit des Europarats. Die Darstellung des Gesundheitsrechts im Rahmen des Europarats folgt in Abschnitt C. (siehe Rn. 100).
3. Kapitel Europäisches Gesundheitsrecht › B. Gesundheitsrecht in der Europäischen Union
B. Gesundheitsrecht in der Europäischen Union
3. Kapitel Europäisches Gesundheitsrecht › B. Gesundheitsrecht in der Europäischen Union › I. Einführung
1. Bedeutung der europäischen Einigung
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Mit Ablauf des 31.1.2020 ist das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausgeschieden („Brexit“). Zuvor hatte die Europäische Union mit dem im Jahr 2004 vollzogenen Beitritt von zehn Staaten aus Ost- und Südeuropa und den Beitritten von Bulgarien und Rumänien im Jahr 2007 und Kroatien im Jahr 2013 innerhalb kurzer Zeit eine erhebliche Ausdehnung erfahren.[1] Strukturelle Veränderungen waren für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union unabdingbar.
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Der Versuch einer Modifikation, der am 29.10.2004 in Rom unterzeichnete Vertrag über eine Verfassung für Europa, scheiterte im Frühjahr 2005 durch die negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden. Nach einer zweijährigen Reflexionsphase einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten am 23.6.2007 auf ein Mandat für eine Regierungskonferenz, die bis Ende 2007 einen Reformvertrag ausarbeiten sollte. Dieser Vertrag wurde am 13.12.2007 in Lissabon unterzeichnet. Die Ratifikation des Vertrages wurde durch das negative Referendum in Irland im Sommer 2008 zunächst gestoppt. Nach einigen Zugeständnissen sprach sich die irische Bevölkerung im Herbst 2009 für den Vertrag aus. Nach letzten Ratifikationen in Polen und Tschechien konnte der Vertrag von Lissabon[2] am 1.12.2009 in Kraft treten.[3]
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Bei aller Kritik an bestehenden Unvollkommenheiten kann die europäische Einigung[4] und die damit verbundene Verwirklichung ihrer maßgeblichen Ziele, die Wahrung und Festigung des Friedens und der Freiheit in Europa, insbesondere auch im historischen Kontext nicht hoch genug bewertet werden.
2. Die Union in Gestalt des Vertrags von Lissabon
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Die mit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht[5] am 1.11.1993 gegründete Europäische Union (EU) wurde durch den Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft neu konstituiert. Grundlage der Europäischen Union sind nunmehr der EU-Vertrag (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).[6] Beide Verträge sind rechtlich gleichrangig (Art. 1 EUV).[7] Hinzu kommt die Charta der Grundrechte.[8] Diese und die Verträge sind ebenfalls rechtlich gleichrangig (Art. 6 Abs. 1 EUV).
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Die Europäische Union ist Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft (Art. 1 EUV) und besitzt Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUV). Die Vorschriften des EG-Vertrags wurden in die neuen Verträge überführt. Die Säulenstruktur der Union[9] wurde aufgegeben, die einstmals separat stehenden Bereiche Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit wurden integriert. Die Europäische Atomgemeinschaft (EAG)[10] blieb neben der Union bestehen.
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Ziel der Europäischen Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern (Art. 3 Abs. 1 EUV). Sie bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist (Art. 3 Abs. 2 EUV). Sie errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas hin und fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz (Art. 3 Abs. 3 EUV). Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 3 Abs. 4 EUV). Diese Ziele sollen durch die Durchführung interner Politiken oder Maßnahmen, unter anderem auch im Bereich des Gesundheitswesens, erreicht werden.
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Der EU-Vertrag beinhaltet neben den Regelungen über die Grundlagen vor allem Bestimmungen über die Organe und das auswärtige Handeln der Union. Der AEU-Vertrag regelt die Arbeitsweise der Union und legt die Bereiche, die Abgrenzung und die Einzelheiten der Ausübung ihrer Zuständigkeiten fest. Die im vorliegenden Kontext relevanten Politiken und Maßnahmen der Union sind im AEUV geregelt.
3. Kapitel Europäisches Gesundheitsrecht › B. Gesundheitsrecht in der Europäischen Union › II. Organisation und Struktur der Union
1. Organe
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Die Europäische Union verfügt über einen institutionellen Rahmen, um ihren Werten Geltung zu verschaffen, ihre Ziele zu verfolgen, ihren Interessen, denen ihrer Bürgerinnen und Bürger und denen der Mitgliedstaaten zu dienen sowie die Kohärenz, Effizienz und Kontinuität ihrer Politik und ihrer Maßnahmen sicherzustellen. Die Organe der Union sind das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat, die Kommission, der Gerichtshof der Europäischen Union, die Europäische Zentralbank sowie der Rechnungshof (Art. 13 Abs. 1 EUV).[11]
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Das Europäische Parlament wird gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber tätig. Es erfüllt Aufgaben der politischen Kontrolle und Beratungsfunktionen. Es wählt den Präsidenten der Kommission (Art. 14 Abs. 1 EUV). Es setzt sich aus Vertretern der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zusammen, die in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt werden (Art. 14 Abs. 2 und 3 EUV).
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Der Europäische Rat gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür fest. Er wird nicht gesetzgeberisch tätig (Art. 15 Abs. 1 EUV). Er setzt sich zusammen aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem Präsidenten der Kommission (Art. 15 Abs. 2 EUV).
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