Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit mit Bezug zum Gesundheitsrecht ist aufgrund der Vielzahl der Entscheidungen nicht möglich. Die folgende Auswahl kann nur eine Übersicht über die Entwicklungslinien der Rechtsprechung geben. Ein Schwerpunkt der Entscheidungen liegt im Bereich des Arzneimittelrechts, das auch Gegenstand mehrerer europäischer Richtlinien ist. Dies betrifft bereits die Einordnung von Präparaten als Arzneimittel.[40]
Legt ein Mitgliedstaat für ein Knoblauchpräparat in Form von Kapseln, das nicht der Definition des Arzneimittels im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel entspricht, das Erfordernis einer Genehmigung des Inverkehrbringens als Arzneimittel fest, so liegt darin eine durch Art. 34 AEUV verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung, die auch nicht durch Gründe des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt werden kann.[41]
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Zum anderen behandeln mehrere Entscheidungen die Frage der Einfuhr von Arzneimitteln aus einem anderen Mitgliedstaat.[42]
Eine nationale Regelung, die dazu führt, Einfuhren von Arzneimitteln in der Weise zu kanalisieren, dass sie nur bestimmten Unternehmen möglich sind, verstößt gegen Art. 34 AEUV, es sei denn, dass sie gemäß Art. 36 AEUV für einen wirksamen Schutz der Gesundheit oder des Lebens notwendig ist, etwa weil jede andere Regelung die von einer funktionierenden Verwaltung vernünftigerweise einzusetzenden Mittel erheblich übersteigen würde (Rs. De Peijper).[43]
Art. 34 AEUV steht einer nationalen Maßnahme entgegen, die die Einfuhr und den Vertrieb eines als kosmetisches Mittel eingestuften und aufgemachten Erzeugnisses mit der Begründung verbietet, dass dieses Erzeugnis die Bezeichnung „Clinique“ trägt. Das Verbot ist nicht notwendig, um den Erfordernissen des Schutzes der Gesundheit gerecht zu werden. Die klinische oder medizinische Konnotation des Begriffs reicht nicht aus, um dieser Bezeichnung eine irreführende Wirkung zuzusprechen, die ihr Verbot rechtfertigen könnte (Rs. Verband Sozialer Wettbewerb, Clinique).[44]
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Hierbei kommt dem Parallelimport von Arzneimitteln aus anderen Mitgliedstaaten eine besondere Bedeutung zu.[45] Parallelimporte sind Produkte, die außerhalb der offiziellen Vertriebsnetze der Hersteller oder zugelassenen Händler aus einem Mitgliedstaat in einen anderen eingeführt oder dort in den Verkehr gebracht werden.[46]
Art. 34 AEUV steht einer nationalen Bestimmung entgegen, die Parallelimporteure verpflichtet, denselben Erfordernissen wie denen zu genügen, die für Unternehmen gelten, die für ein Arzneimittel erstmals eine Zulassung beantragen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn eine solche Ausnahme von den Vorschriften, die normalerweise auf Zulassungen von Arzneimitteln anwendbar sind, nicht den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen beeinträchtigt (Rs. Rhône-Poulenc u.a.).[47]
Eine nationale Regelung, wonach das Erlöschen der Zulassung eines Bezugsarzneimittels auf Antrag des Inhabers dazu führt, dass die Parallelimportzulassung für dieses Arzneimittel automatisch erlischt, verstößt gegen Art. 34 AEUV. Ist jedoch nachgewiesen, dass wegen des gleichzeitigen Nebeneinanders von zwei Formulierungen desselben Arzneimittels auf dem Markt tatsächlich eine Gefahr für die Gesundheit besteht, so kann eine solche Gefahr Beschränkungen der Einfuhr der alten Formulierung des Arzneimittels im Anschluss an das Erlöschen der Bezugszulassung für diesen Markt rechtfertigen (Rs. Ferring).[48]
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Auch zu persönlichen Einfuhren von Arzneimitteln durch Privatpersonen hat der EuGH bereits wiederholt Stellung genommen.[49]
Ein Mitgliedstaat verstößt gegen Art. 34 AEUV, wenn er Privatpersonen die Einfuhr von Arzneimitteln in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge, die in dem Mitgliedstaat verschreibungspflichtig sind und die in einem anderen Mitgliedstaat durch einen Arzt verschrieben und in einer Apotheke gekauft worden sind, untersagt. Der Umstand, dass das Arzneimittel durch einen Arzt verschrieben und in einer Apotheke gekauft wurde, bietet eine Garantie, die derjenigen gleichwertig ist, die auf dem Verkauf des Arzneimittels in dem Mitgliedstaat beruht (Rs. Kommission/Deutschland).[50]
Ein Verstoß gegen Art. 34 AEUV liegt vor, wenn ein Mitgliedstaat bei persönlichen Einfuhren von in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß verschrieben Arzneimitteln, die sowohl in diesem als auch in dem Mitgliedstaat, in dem sie gekauft wurden, zugelassen sind, ein Verfahren der vorherigen Genehmigung anwendet, sofern der Einführende die Arzneimittel nicht persönlich mit sich führt. Ebenso, wenn ein Mitgliedstaat bei persönlichen Einfuhren von in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß verschriebenen Arzneimitteln, die aber nur in jenem Mitgliedstaat zugelassen sind, in dem sie gekauft wurden, ein unverhältnismäßiges Genehmigungsverfahren anwendet, sofern der Einführende die Arzneimittel nicht persönlich mit sich führt (Kommission/Frankreich).[51]
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Ein weiterer, wirtschaftlich sehr bedeutsamer Problemkreis ist der Versandhandel mit Arzneimitteln.
Ein nationales Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln, die in dem betreffenden Mitgliedstaat ausschließlich in Apotheken verkauft werden dürfen, stellt eine gemäß Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit und des Lebens gerechtfertigte Maßnahme gleicher Wirkung dar, soweit dieses Verbot verschreibungspflichtige Arzneimittel betrifft (Rs. Deutscher Apothekerverband).[52]
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Auch die Preisbindung von Arzneimitteln wurde überprüft.
Eine nationale Festsetzung einheitlicher Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel stellt eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art. 34 AEUV dar, weil sie sich auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker auswirkt als auf die Abgabe solcher Arzneimittel durch im Inland ansässige Apotheken. Eine solche Regelung kann mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen im Sinne des Art. 36 AEUV nicht gerechtfertigt werden, weil sie nicht geeignet ist, die angestrebten Ziele zu erreichen (Rs. Deutsche Parkinson Vereinigung).[53]
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Relevant wurde auch die Frage der Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern.
Eine nationale Bestimmung, wonach eine Apotheke, die die Arzneimittelversorgung eines Krankenhauses übernimmt, zur Erbringung sämtlicher mit der Versorgung zusammenhängender Leistungen verpflichtet ist, was dazu führt, dass sich die Auswahl der Apotheker auf diejenigen in der Nähe des Krankenhauses beschränkt, stellt eine gemäß Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigte Maßnahme gleicher Wirkung dar (Rs. Kommission/Deutschland).[54]
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Auch außerhalb des Arzneimittelbereiches stellen sich Fragen zur Warenverkehrsfreiheit, so etwa bei Medizinprodukten[55]
Ein Mitgliedstaat verstößt gegen Art. 34 AEUV, wenn er für steriles medizinisches Zubehör mit Ursprung in anderen Mitgliedstaaten Laborversuche und -analysen vorschreibt, die bereits in diesen Mitgliedstaaten durchgeführt worden sind und deren Ergebnisse den Behörden des Mitgliedstaates mitgeteilt werden können (Rs. Kommission/Belgien).[56]
Art. 34 AEUV und Art. 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach Kontaktlinsen nur in Fachgeschäften für medizinische Hilfsmittel vertrieben werden dürfen (Rs. Ker-Optika).[57]
und bei Blut und Blutbestandteilen.
Art. 34 AEUV in Verbindung mit Art. 36 AEUV steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Einfuhr von Blut oder Blutbestandteilen aus einem anderen Mitgliedstaat nur unter der auch für inländische Produkte geltenden Bedingung zulässig ist, dass die Spender des Blutes, aus dem diese Produkte gewonnen wurden, nicht nur keine Bezahlung,