Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
entsprechende Ausbildung abschließt, gebunden. Treten neue Gesichtspunkte auf, die ernste Zweifel daran begründen, ob das ihnen vorgelegte Diplom echt ist oder den einschlägigen Vorschriften entspricht, so steht es ihnen frei, sich erneut mit einem Ersuchen um Nachprüfung an die Behörden des Mitgliedstaats, der das Diplom erteilt hat, zu wenden (Rs. Tennah-Durez).[111]
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Ein weiterer Problemkreis betrifft die Frage der Anforderungen an den Besitz und den Betrieb von Gesundheitseinrichtungen.[112]
Art. 49 AEUV steht einer nationalen Regelung entgegen, die es einem diplomierten Optiker nicht erlaubt, mehr als ein Optikergeschäft zu betreiben. Ein Verstoß liegt auch vor, wenn die Möglichkeit, dass eine juristische Person ein Optikergeschäft eröffnet, von der Voraussetzung abhängig gemacht wird, dass die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb des Geschäfts auf den Namen eines Optikers ausgestellt wird und dass die Person, die die Erlaubnis für den Betrieb des Geschäfts besitzt, mit mindestens 50 % am Gesellschaftskapital sowie an den Gewinnen und Verlusten der Gesellschaft beteiligt ist (Rs. Kommission/Griechenland).[113]
Anderes gilt bei einer nationalen Regelung, die Personen, die keine Apotheker sind, den Besitz und den Betrieb von Apotheken verwehrt. Eine solche Regelung ist geeignet und erforderlich, um eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung mit Arzneimitteln und somit den Schutz der Gesundheit sicherzustellen. Aufgrund des besonderen Charakters der Arzneimittel und ihres Marktes lässt sich die Rechtsprechung zu Optikerprodukten nicht übertragen. Denn im Unterschied zu Optikerprodukten können sich Arzneimittel als sehr schädlich erweisen, wenn sie ohne Not oder falsch eingenommen werden. Zudem führt ein medizinisch nicht gerechtfertigter Verkauf von Arzneimitteln zu einer ungleich größeren Verschwendung öffentlicher Finanzmittel als der nicht gerechtfertigte Verkauf von Optikerprodukten (Rs. Apothekerkammer des Saarlandes u.a.).[114]
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Relevant wurde auch die Frage des Erfordernisses und der daran zu knüpfenden Voraussetzungen einer krankenhausrechtlichen Bewilligung.
Art. 49 AEUV steht nationalen Vorschriften entgegen, wonach für die Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbstständigen Ambulatoriums eine Bewilligung erforderlich ist und diese Bewilligung, wenn angesichts des bereits bestehenden Versorgungsangebots durch Vertragsärzte kein die Errichtung einer solchen Anstalt rechtfertigender Bedarf besteht, zu versagen ist, sofern nicht auch Gruppenpraxen einem solchen System unterworfen sind und sofern sie nicht auf einer Bedingung beruhen, die geeignet ist, der Ausübung des Ermessens durch die nationalen Behörden hinreichende Grenzen zu setzen (Rs. Hartlauer).[115]
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Ein weiterer Problemkreis eröffnet sich im Zusammenhang mit der Frage einer Pflichtmitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit.
Art. 56 AEUV steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der Unternehmen, die in einem bestimmten Gebiet einem bestimmten Gewerbezweig angehören, verpflichtet sind, einer Einrichtung wie einer Berufsgenossenschaft beizutreten, soweit dieses System nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels der Gewährleistung des finanziellen Gleichgewichts eines Zweigs der sozialen Sicherheit erforderlich ist (Rs. Kattner Stahlbau GmbH).[116]
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Im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit standen auch wiederholt Fragen zu Wohn- und Tätigkeitssitz des Betroffenen im Mittelpunkt.
Ein Mitgliedstaat verstößt gegen Art. 45 und 49 AEUV, wenn er die Ausübung des Zahnarztberufs an einen Wohnsitz in dem zuständigen Bezirk der berufsständischen Vertretung knüpft. Eine Wohnsitzverpflichtung ist weder durch das Erfordernis der Einhaltung der Standesregeln, noch durch die Gewährleistung der Kontinuität ärztlicher Behandlungen gerechtfertigt. Ebenso liegt ein Verstoß vor, wenn der Mitgliedstaat das Recht, im Fall der Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat im Kammerregister eingetragen zu bleiben, Zahnärzten eigener Staatsangehörigkeit vorbehält (Rs. Kommission/Italien).[117]
Auch verstößt ein Mitgliedstaat gegen Art. 45 und 49 AEUV, wenn er Ärzte, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind oder dort einer unselbstständigen Beschäftigung nachgehen, daran hindert, sich unter Beibehaltung ihrer Praxis oder Beschäftigung in diesem Mitgliedstaat niederzulassen oder einer unselbstständigen Beschäftigung nachzugehen. Ein solches Verbot kann nicht unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Sicherung einer ununterbrochenen ärztlichen Versorgung gerechtfertigt werden, da diese mit weniger einschränkenden Mitteln sichergestellt werden kann (Rs. Kommission/Luxemburg).[118]
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Schließlich stand auch die Werbung im Fokus der Entscheidungen.[119]
Art. 49 AEUV und Art. 56 AEUV steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach ein Mitgliedstaat, der die Ausübung der Tätigkeit des Heilpraktikers durch Personen ohne Arztdiplom verbietet, auch die Werbung für solche Ausbildungen verbietet, wenn diese sich auf Modalitäten der Ausbildung bezieht, die als solche in diesem Mitgliedstaat verboten sind. Ein Verstoß liegt hingegen vor, wenn der Mitgliedstaat die Werbung für Ausbildungen, die in einem anderen Mitgliedstaat erteilt werden, verbietet, wenn in dieser Werbung angegeben ist, an welchem Ort die Ausbildung stattfinden soll, und darauf hingewiesen wird, dass der Beruf des Heilpraktikers im erstgenannten Mitgliedstaat nicht ausgeübt werden darf (Rs. Gräbner).[120]
3. Kartellrecht
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Der Binnenmarkt der Union (Art. 3 Abs. 3 EUV) umfasst ein System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt (Protokoll 27 zu den Verträgen[121]). Neben den Bestimmungen über staatliche Beihilfen dienen hierzu die an Unternehmen gerichteten Normen der Art. 101–106 AEUV. Art. 101 AEUV qualifiziert Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken, als mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten. Art. 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
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Gemäß Art. 103 Abs. 1 AEUV ist der Rat ermächtigt, zur Verwirklichung der in den Art. 101 und 102 AEUV niedergelegten Grundsätze zweckdienliche Verordnungen oder Richtlinien zu erlassen. Hierzu wurde schon früh die Verordnung (EWG) Nr. 17/62[122] erlassen, welche im Jahre 2004 durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2003[123] abgelöst wurde.
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Die Mitgliedstaaten werden gemäß Art. 106 Abs. 1 AEUV in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine den Verträgen widersprechenden Maßnahmen treffen oder beibehalten. Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, gelten die Vorschriften der Verträge, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert (Art. 106 Abs. 2 AEUV). Diese Bestimmung, die unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen von den allgemeinen Vorschriften des Vertrages zulässt, soll das Interesse der Mitgliedstaaten am Einsatz bestimmter Unternehmen, insbesondere solcher des öffentlichen Sektors, als Instrument der Wirtschafts- oder Sozialpolitik mit dem Interesse der Union an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der Wahrung der Einheit des Binnenmarktes in Einklang bringen.[124]
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Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff des Unternehmens im Sinne der Wettbewerbsregeln unabhängig von der Rechtsform und der Art der Finanzierung jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende