Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Tätigkeit zu prüfen.[126] Weder das Fehlen eines Gewinnerzielungszwecks, noch die Verfolgung einer sozialen Zielsetzung genügen, um die Unternehmenseigenschaft zu verneinen.[127] Damit wird der Begriff des Unternehmens regelmäßig sehr weit ausgelegt.
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Anders werden hingegen Einrichtungen beurteilt, die mit der Verwaltung der gesetzlichen Kranken-, Unfall- oder Rentenversicherungssysteme betraut sind,[128] wenngleich auch hier auf die Art der konkreten Tätigkeit abzustellen ist.[129]
Krankenkassen haben keine Möglichkeit, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel und die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen. Auch der Spielraum, über den Krankenkassen im Hinblick auf die Beitragssätze verfügen, führt zu keiner anderen Betrachtung, da dies im Interesse des ordnungsgemäßen Funktionierens des Systems der sozialen Sicherheit erfolgt. Maßgeblich ist, dass die Leistungen von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht werden. Damit sind Krankenkassen keine Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln, wenn sie Festbeträge festsetzen, bis zu deren Erreichen sie die Kosten von Arzneimitteln übernehmen (Rs. AOK-Bundesverband u.a.).[130]
Keine andere Bewertung ergibt sich bei einer reinen Einkaufstätigkeit dieser Einrichtungen gegenüber Dritten, sofern die zu erwerbenden Güter oder Dienstleistungen zur Erfüllung dieser Tätigkeit dienen. Der Kauf ist nicht von der späteren Verwendung der Güter oder Dienstleistungen zu trennen. Der wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung bestimmt zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit (Rs. FENIN).[131]
Auch Berufsgenossenschaften, der die Unternehmen, die in einem bestimmten Gebiet einem bestimmten Gewerbezweig angehören, für die Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten beitreten müssen, sind keine Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln, sondern nehmen Aufgaben rein sozialer Natur wahr, soweit sie im Rahmen eines Systems tätig sind, mit dem der Grundsatz der Solidarität umgesetzt wird und der staatlichen Aufsicht unterliegen (Rs. Kattner Stahlbau).[132]
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Hiervon zu unterscheiden sind jedoch Zusatzversicherungssysteme auf freiwilliger Basis.[133]
Eine Einrichtung, die ein zur Ergänzung einer Grundpflichtversicherung durch Gesetz geschaffenes, auf Freiwilligkeit beruhendes Rentenversicherungssystem verwaltet, das insbesondere hinsichtlich der Beitrittsvoraussetzungen, der Beiträge und der Leistungen nach dem Kapitalisierungsprinzip arbeitet, gilt als Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln (Rs. Fédération française des sociétés d'assurance u.a.).[134]
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Auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens haben sich kartellrechtliche Fragestellungen ergeben, insbesondere im Arzneimittelbereich, dort vor allem im Hinblick auf den Parallelhandel.[135] In neuerer Zeit standen vermehrt auch sogenannte Pay-for-delay-Vereinbarungen im Fokus. Dabei bezahlt der Hersteller eines Originalpräparats einen Generikahersteller, damit dieser die Markteinführung eines Generikums einschränkt oder verzögert.[136]
4. Beihilferecht
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Zu dem System, das den Wettbewerb im Binnenmarkt der Union vor Verfälschungen schützt, gehören neben den an Unternehmen gerichteten Vorschriften auch Bestimmungen über staatliche Beihilfen (Art. 107–109 AEUV). Gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV sind, soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV beinhalten einige Legalausnahmen. Art. 108 AEUV regelt das Verfahren, in dem die Vereinbarkeit staatlicher Beihilfen mit dem Binnenmarkt festgestellt wird.
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Gemäß Art. 109 AEUV ist der Rat ermächtigt, alle zweckdienlichen Durchführungsverordnungen zu Art. 107 und 108 AEUV zu erlassen. Aufgrund dieser Bestimmung wurde u.a. die praktisch bedeutsame Verordnung (EG) Nr. 659/99[137] erlassen, die zwischenzeitlich durch die Verordnung (EU) 2015/1589[138] abgelöst wurde. Diese regelt unter anderem das Verfahren bei angemeldeten und bestehenden Beihilfen, die Überwachung sowie das Verfahren bei rechtswidrigen oder einer missbräuchlichen Anwendung von Beihilfen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff der Beihilfen staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Maßnahmen, die die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, weil sie keinen Ausgleich für anderweitige Gegenleistungen des Unternehmens bilden, weshalb das Unternehmen gegenüber den mit ihm im Wettbewerb stehenden Unternehmen in eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangt.[139] Zwischenzeitlich hat die Kommission mit ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe[140] eine eigene Auslegung der Kriterien des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorgenommen, die über die bestehende Rechtsprechung hinausgeht.[141] Unabhängig davon bleiben die Mitgliedstaaten allein an die Auslegung durch den EuGH gebunden.[142]
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Im Gesundheitsbereich stellt sich die Frage der Beihilfe unter anderem bei der Finanzierung von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, dort im Zusammenhang mit der Ausgleichung von Betriebsverlusten öffentlich-rechtlich betriebener Einrichtungen sowie der Gewährung von entsprechenden Garantien durch ihre Träger. Diese Praktiken wurden in der Vergangenheit nach überwiegender Ansicht als verbotene Beihilfen beurteilt.[143] Eine abschließende Klärung steht allerdings noch aus.[144] Auch im Arzneimittelbereich haben sich wiederholt beihilferechtliche Fragestellungen ergeben.[145]
5. Vergaberecht
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Die Vergabe öffentlicher Aufträge in den Mitgliedstaaten ist an die Einhaltung der in den Verträgen niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere an die Grundsätze des freien Waren-, Niederlassungs- und Dienstleistungsverkehrs sowie die davon abgeleiteten Grundsätze wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz. Dementsprechend sollten für öffentliche Aufträge, die einen bestimmten Wert überschreiten, entsprechende Bestimmungen zur Koordinierung der nationalen Verfahren für die Vergabe dieser Aufträge geschaffen werden, um die Wirksamkeit der genannten Grundsätze und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für den Wettbewerb zu garantieren.
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Für Bau- und Lieferaufträge wurden schon früh entsprechende Richtlinien erlassen, die später um weitere Richtlinien, insbesondere auch für Dienstleistungsaufträge ergänzt wurden. Im Jahr 2004 erfolgte eine grundlegende Reform der einzelnen Bestimmungen. Hierbei wurde unter anderem die Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge[146] erlassen. Diese wurde zwischenzeitlich durch die Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe[147] abgelöst.
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Unter den Voraussetzungen der Richtlinie 2014/24/EU haben öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die entsprechenden vergaberechtlichen Anforderungen zu beachten. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass öffentliche Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise behandeln und transparent und verhältnismäßig vorgehen (vgl. Art. 18 Richtlinie 2014/24/EU).
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Im Gesundheitsbereich stellt sich insbesondere die Frage, ob Krankenkassen an das Vergaberecht gebunden sind, d.h. ob diese als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts anzusehen sind. Dies hätte zur Folge, dass Verträge mit Leistungserbringern abhängig von der Art des Auftrags gegebenenfalls als öffentliche Aufträge einzuordnen sind. Maßgebliches Kriterium ist nach Ansicht des EuGH die Art der Finanzierung der Krankenkassen.
Die [ehemalige] Richtlinie 2004/18/EG ist dahingehend