Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
(EGMR) zu. Die Menschenrechtskonvention wurde durch bislang 16 Zusatzprotokolle ergänzt.
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Die EMRK ist nach ihrer Rechtsnatur ein völkerrechtlicher Vertrag, in Deutschland im Range eines einfachen Bundesgesetzes, in Österreich mit Verfassungsrang. Der Menschenrechtskatalog umfasst elementare Menschenrechte, unter anderem das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), das Folterverbot (Art. 3 EMRK), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK), das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK), das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) sowie die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK).
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Der EGMR ist für alle die Auslegung und Anwendung des EMRK und der Protokolle betreffenden Angelegenheiten zuständig (Art. 32 EMRK).[5] Der Gerichtshof kann durch eine Vertragspartei im Wege einer Staatsbeschwerde (Art. 33 EMRK) oder von einer natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder einer Personengruppe im Wege einer Individualbeschwerde (Art. 34 f. EMRK) angerufen werden. Ferner kann der EGMR auf Antrag des Ministerkomitees Gutachten über die Auslegung des EMRK und der Protokolle erstatten (Art. 47 f. EMRK).
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III. Übereinkommen mit Bezug zum Gesundheitsrecht
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Im Rahmen des Gesundheitsrechts wurde der Europarat vor allem in den Bereichen der öffentlichen Gesundheit und Biomedizin tätig. Im Wesentlichen sind folgende Übereinkommen zu nennen:[6]
– | Übereinkommen über den Austausch therapeutischer Substanzen menschlichen Ursprungs,[7] |
– | Übereinkommen über die vorübergehende zollfreie Einfuhr von medizinischem, chirurgischem und Laboratoriumsmaterial zur leihweisen Verwendung für Diagnose- und Behandlungszwecke in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens,[8] |
– | Übereinkommen über den Austausch von Reagenzien zur Blutgruppenbestimmung,[9] |
– | Übereinkommen über die Ausarbeitung eines Europäischen Arzneibuches,[10] |
– | Übereinkommen über den Austausch von Reagenzien zur Gewebstypisierung,[11] |
– | Übereinkommen gegen Doping,[12] |
– | Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin (Biomedizin-Konvention),[13] |
– | Übereinkommen über die Fälschung von Arzneimittelprodukten und ähnlichen Verbrechen, die eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit darstellen,[14] |
– | Übereinkommen gegen den Handel mit menschlichen Organen.[15] |
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Insbesondere die Biomedizin-Konvention ist nicht unumstritten.[16] Die Konvention, die am 1.1.1999 in Kraft getreten ist, legt einen bioethischen Verhaltenskodex in den Bereichen Forschung, Reproduktionsmedizin und Organtransplantationen fest. Deutschland und Österreich haben nach wie vor weder die Konvention, noch die Zusatzprotokolle unterzeichnet.
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IV. Entscheidungen des EGMR mit Bezug zum Gesundheitsrecht
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Eine vollständige Darstellung der Rechtsprechung des EGMR mit Bezug zum Gesundheitsrecht ist an dieser Stelle nicht möglich. Im Folgenden kann nur auf einige der in neueren Entscheidungen des Gerichtshofs erörterten Problemkreise stichwortartig hingewiesen werden.[17]
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In Bezug auf Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) wurden unter anderem der Umfang des Schutzes des ungeborenen Lebens,[18] die Vorenthaltung medizinischer Behandlungen[19] bzw. deren Abbruch[20] sowie die Beihilfe zum Selbstmord[21] geprüft. Darüber hinaus wurden Fragen im Zusammenhang mit den ärztlichen Sorgfaltspflichten[22] sowie im Hinblick auf den Umfang der ärztlichen Schweigepflicht im Spannungsverhältnis zum Schutz des Lebens anderer[23] erörtert.
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Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) umfasst auch das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Herangezogen wurde diese Bestimmung unter anderem bei der zwangsweise erfolgten Verabreichung eines Brechmittels[24] bzw. Urinprobe mittels Katheter,[25] der Durchführung einer Sterilisation,[26] dem Umgang mit psychischen Erkrankungen[27] sowie im Hinblick auf den Umfang bzw. die Verweigerung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen, so etwa im Hinblick auf genetische Tests bzw. eines Schwangerschaftsabbruchs[28] oder im Zusammenhang mit nicht zugelassenen Arzneimitteln.[29] Eine reichhaltige Kasuistik existiert auch bei untergebrachten oder inhaftierten Personen und den diesbezüglichen Umständen[30] so etwa im Zusammenhang mit einer gynäkologischen Untersuchung eines weiblichen Häftlings in Anwesenheit männlicher Sicherheitsbeamter[31] oder im Hinblick auf eine Vorenthaltung einer Drogensubstitutionsbehandlung.[32]
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Im Hinblick auf Art. 5 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) stellten sich im Gesundheitsbereich wiederholt Fragen betreffend einer zwangsweise erfolgten Unterbringung in einem Krankenhaus bzw. einer psychiatrischen Einrichtung und der damit verbundenen Freiheitsentziehung und Behandlung des Betroffenen.[33]
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In Bezug auf Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) wurden zahlreiche innerstaatliche Verfahren vor allem im Hinblick auf ihre Verfahrensdauer, aber auch in Bezug auf die Rechtsanwendung und Beweiswürdigung der jeweiligen Gerichte überprüft. Hiervon waren auch wiederholt Verfahren im Gesundheitsbereich betroffen, neben einschlägigen Haftungs- und Strafverfahren[34] auch Verfahren im vertragsärztlichen Bereich[35] sowie im Hinblick auf die Frage der Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit.[36]
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Die Bestimmung des Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) wurde unter anderem herangezogen bei der Präimplantationsdiagnostik,[37] der künstlichen Fortpflanzung,[38] der Leihmutterschaft,[39] der Durchführung einer Hausgeburt,[40] der Geburt unter Anwesenheit von Studenten,[41] bei einem Schwangerschaftsabbruch[42] bzw. dessen Verweigerung,[43] der Verweigerung zur experimentellen Stammzellentherapie,[44] zur Substitutionstherapie,[45] zur Herausgabe beschlagnahmter eingefrorener Embryonen,[46] zur Durchführung eines Vaterschaftstests,[47] einer Sterilisation,[48] einer geschlechtsverändernden Operation[49] oder sonstigen medizinischen Eingriffen, so etwa an einem behinderten Kind gegen den Willen der Mutter[50] oder bei untergebrachten oder inhaftierten Personen.[51] Wiederholt stellte