Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
„sozialen Charakters“ der Heilbehandlung (Rudolf Virchow), andererseits durch den „Gesundheitsmarkt“, wo medizinisches Handeln als ökonomische Realität auch den Gesetzen der Globalisierung unterliegt.[4] Vielfältige Dienstleistungen, die z.T. ineinander greifen, werden auf diesem „Markt“ angeboten und nachgefragt, vom präventiven Fitnessprogramm und gesunder Ernährung über die kurative Medizin hin zur Rehabilitation, vom „well feeling“ zum ganzheitlich ausgerichteten „well being“. Allerdings lässt diese Entwicklung – ebenso wie die Ausweitung der Leistungsansprüche im Sozialversicherungsrecht bei gleichzeitiger Kostendämpfung – befürchten, dass der Trend zu Deprofessionalisierung,[5] Schematisierung, Verrechtlichung und Fremdsteuerung geht.[6]
6. Kapitel Berufsrecht der Gesundheitsberufe unter Einschluss der Darstellung des Rechts der Selbstverwaltung › B. Geschichte › II. Freie Berufe im Gesundheitswesen
1. Begriff des Freien Berufes
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Lange galt der Begriff des Freien Berufes juristisch als wenig greifbar. Theodor Heuss sprach im Jahr 1906 von einer überlieferten Sprachgewöhnung, „mit der man in concreto nicht viel anfangen kann“.[7] Richtig ist, dass der Typusbegriff als soziologischer Begriff stetem Wandel unterliegt.[8] Die Berufstätigkeit Freier Berufe bezieht sich in besonderem Maße auf sozialkulturelle Werte, wie z.B. Gesundheit, Freiheit, Gerechtigkeit oder humane Umwelt, die von Bedeutung für das Wertesystem des Einzelnen und der Gesellschaft sind.[9]
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Taupitz[10] unterscheidet Freie Berufe anhand typischer Charakteristika. Sie sind geprägt durch wirtschaftliche Selbstständigkeit, qualifizierte Ausbildung oder schöpferische Kreativität, persönliche Erbringung ideeller Leistungen, Wissensgefälle zum Auftraggeber, sowie altruistische und nicht gewinnorientiert-egoistische Motivation.[11] Hommerich ergänzt die Kriterien um die besondere Vertrauensbeziehung und das Berufsgeheimnis sowie um Selbstverwaltung und Selbstkontrolle im Rahmen von Berufskammern.[12] Ihre Abgrenzung zum Staatsdienst einerseits, zum Gewerbe andererseits prägt die Entwicklungsgeschichte dieser Berufsstände.
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Grundlegend hat das BVerfG in seinem „Apotheken-Urteil“[13] im Jahr 1958 entschieden, dass Art. 12 GG „seinem Wesen nach“ auch auf solche Berufe anzuwenden ist, die nach den damaligen Vorstellungen der organisierten Gemeinschaft in erster Linie dem Staat vorbehalten bleiben müssten.[14] Gerade die „Emanzipation von der Beamtung“ stellt im deutschsprachigen Raum einen maßgeblichen Aspekt der freiberuflichen Genese dar.[15]
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Die rechtliche Einordnung der Freien Berufe erfolgt durch ihre gesetzgeberische Verortung im Gesellschaftsrecht als auch durch die Rechtsprechung. Ihre einkommenssteuerrechtliche Einordnung (Katalogberufe nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, darunter Arzt und Zahnarzt) alleine ist hingegen kein Definitionsmerkmal.[16] Die Rechtsprechung zum Freien Beruf erscheint „disparat“.[17]
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Hinweis
Nach der Definition des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB 1995) erbringen Angehörige Freier Berufe Dienstleistungen, die nicht allein dem Individuum, sondern auch der Gesellschaft dienen.[18]
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Die Legaldefinition in § 1 Abs. 2 des Gesetzes über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz – PartGG) lautet:[19] „Die Freien Berufe haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.“ Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich dieser Definition weitestgehend angeschlossen: „Freiberufliche Tätigkeiten haben ausgesprochen intellektuellen Charakter, verlangen eine hohe Qualifikation und unterliegen gewöhnlich einer genauen und strengen berufsständischen Regelung. Bei der Ausübung einer solchen Tätigkeit hat das persönliche Element besondere Bedeutung. Die Ausübung setzt eine große Selbstständigkeit bei der Vornahme der beruflichen Handlungen voraus.“[20]
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Die Richtlinie zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikation[21] enthält in Erwägungsgrund 43 eine europarechtliche Legaldefinition des Freien Berufs:
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Freie Berufe werden gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie auf der Grundlage einschlägiger Berufsqualifikationen persönlich, in verantwortungsbewusster Weise und fachlich unabhängig von Personen ausgeübt, die für ihre Kunden und die Allgemeinheit geistige und planerische Dienstleistungen erbringen.
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In Abgrenzung der typischen Merkmale der Freiberuflichkeit, hier vor allem der sachlich-persönlichen Weisungsfreiheit bei der Berufsausübung, unabhängig davon, ob der Berufsträger selbstständig oder nicht selbstständig tätig ist,[22] entscheidet sich, was als Freier Beruf gilt und was nicht. Zur Definition freiberuflicher Tätigkeit zählen im Bereich der Heilkunde die qualifizierte medizinische Ausbildung, die staatliche Approbation sowie als berufsethischer Kern das besondere Vertrauensverhältnis zum Patienten. Auch wenn das früher herrschende altruistische Postulat, in der freien Berufsausübung nicht nach eigenem Gewinn zu streben,[23] an Stellenwert verloren hat, ist die Sichtweise geblieben, dass gerade Berufsträger der Heilkunde eigene wirtschaftliche Interessen gegenüber der Verantwortung für das Gemeinwohl zurückzustellen haben.[24]
2. Freie Heilberufe: Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Tierärzte, Psychotherapeuten
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Der Begriff des Heilberufs ist gesetzlich nicht definiert. Bei der Auslegung des Kompetenztitels in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zieht das BVerfG das Heilpraktikergesetz mit seiner Begriffsbestimmung der „Heilkunde“ aus dem Jahr 1939 heran, verweist im Übrigen jedoch auch auf den historischen Zusammenhang in der deutschen Gesetzgebung, wobei den Merkmalen des „Traditionellen“ und „Herkömmlichen“ besondere Bedeutung zukomme.[25] Im Rückblick führt der Weg zur eigenen Profession über die nichtärztlichen Heilpersonen des Mittelalters mit Beginn des 19. Jahrhunderts zu den Heilberufen der Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Tierärzte und mit Ende des 20. Jahrhunderts zu den (Psychologischen) Psychotherapeuten (und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit akademischer Ausbildung). Dabei bezeichnete sich der gelehrte Mediziner im 15. Jahrhundert als Doktor. Seit dem 16. Jahrhundert kennen wir die Berufsbezeichnung Arzt.[26]
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Berufsbezeichnungen setzen im Bereich der Gesundheitsberufe staatlich geprüfte Berufsqualifikation voraus.[27] Bereits die Konstitutionen Friedrich II. für das Königreich Sizilien enthielten Verbote, unter der Berufsbezeichnung „Arzt“ den Heilberuf ohne schriftliche Zeugnisse auszuüben.[28] Selbst als 1869 die Kurierfreiheit in der Heilkunde (mit Ausnahme der Apotheker) eingeführt wurde, verlangte § 29 der Preußischen Gewerbeordnung – ab 1872 auch im Deutschen Reich – für „diejenigen Personen, welche sich als Ärzte (Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Tierärzte) oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen oder seitens des Staates oder einer Gemeinde als solche anerkannt oder mit amtlichen Funktionen betraut werden sollen“, einen Befähigungsnachweis für die Approbation.[29] Dennoch wurden z.B. Zahnbehandlungen sowohl von approbierten