Ein gefährliches Alter. Eva Ashinze

Ein gefährliches Alter - Eva Ashinze


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      Eva Ashinze

       Ein gefährliches Alter

      Moira van der Meer ermittelt

      Eva Ashinze

       Ein gefährliches Alter

      Moira van der Meer ermittelt

      Kriminalroman

      orte Verlag

      1. Auflage, 2019

      © by orte Verlag, CH-9103 Schwellbrunn

      Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

      Umschlaggestaltung: Janine Durot

      Umschlagbild: Verlagshaus Schwellbrunn, Carmen Wueest

      Herstellung: Verlagshaus Schwellbrunn

      E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing GmbH, Dortmund, www.readbox.net

      ISBN Buch: 978-3-85830-252-6

      ISBN eBook: 978-3-85830-257-1

       www.orteverlag.ch

      1 Die Pausenklingel schrillt und wenig später füllt sich der Platz vor dem Oberstufenschulhaus St. Georgen mit Stimmengewirr. Jungen und Mädchen stehen in Grüppchen, manche verschwinden um die Ecke, suchen die Abgeschiedenheit. Es ist Anfang Oktober. Mathilda, Alisar und Nina lehnen an der Schulhausmauer und teilen sich eine Packung Süssigkeiten. Alisar erzählt, während sie aus den Augenwinkeln ein paar Jungs beobachtet, lebhaft von ihrer gestrigen Shoppingtour in Zürich. Mathilda isst Gummibärchen und hört zu oder tut jedenfalls als ob. Nina tippt etwas auf ihrem Handy, greift ohne den Blick zu heben wieder nach der Tüte mit Süssigkeiten in Mathildas Hand. Sie langt daneben, streift aus Versehen die Brust von Mathilda. Kevin Lüthi, der gerade vorbeigeht, bleibt stehen.

      «Oh Mann, da würde ich auch gern mal hin fassen.» Kevin Lüthi grinst der errötenden Mathilda zu.

      Kevin sieht ganz gut aus, er ist gross und gut gebaut, aber er hat einen unsympatischen Zug um den Mund und die Hosen sitzen immer etwas zu tief, die Aufschrift auf seinen Shirts ist zu auffällig und das Haar zu gestylt. Trotzdem stehen viele Mädchen auf ihn. Luana ist derart verknallt in ihn, dass sie sich heimlich jeden Tag aufs Neue seinen Namen in die linke Hand – die Herzhand – schreibt. Sie sitzt im Unterricht, starrt verträumt in ihre Hand, den Mund leicht geöffnet und sieht aus wie eine Bekloppte.

      Kevin rechnet offenbar damit, dass Mathilda laut aufkreischt oder sauer wird, was er als Erfolg verbuchen könnte.

      Nina kommt dem zuvor. «Du hast ja echt kleine Hände, Kevin», sagt sie. «Du weisst ja sicher, was man über Jungs mit kleinen Händen sagt.»

      Nina und Alisar prusten los, Mathilda fällt etwas zögerlicher ein. Zwei Mädchen, die in der Nähe stehen und alles mitbekommen haben, beginnen ebenfalls zu lachen. Das Gelächter schallt über den Pausenplatz. Kevin wird rot und hasst Nina noch mehr dafür.

      «Schlampe», knurrt er zwischen zusammengebissenen Zähnen und stampft davon. Das Gelächter folgt ihm.

      Luca Tanner steht etwas weiter vorne bei der Mauer, die den Pausenhof begrenzt, er trägt einen grauen Kapuzenpulli, grau vor grauem Himmel. Er schaut sich nach der Quelle des Gelächters um, seine Augen bleiben einen Moment an Mathilda hängen. Sein glänzendes braunes Haar ist etwas länger und nach vorne gekämmt, wie es gerade angesagt ist, es fällt ihm ständig in die Augen. Mit einer ungeduldigen, aber eingeübten Handbewegung kämmt er es nach hinten. Dann wendet er sich wieder Sebastian zu, mit dem er sich gerade gebalgt hat wie ein junger Hund, den Mund zu einem weiten Lachen geöffnet.

      2 «Was hast du heute bei ihrem Anblick empfunden?» James rückte seine Hornbrille zurecht und sah mich aufmerksam an.

      «Dasselbe wie immer», sagte ich bockig. Irgendwie hatte ich heute keine Lust auf diese Unterhaltung. Ich hatte mehr Lust auf ein Glas Wein. Obwohl – darauf hatte ich immer Lust.

      «Und das wäre?» James liess sich nicht beirren. Er war zu lange als Psychotherapeut tätig, als dass so eine kleine Verstimmung meinerseits ihn aus der Fassung hätte bringen können. Und er war auch schon zu lange mein Therapeut. Wir waren bereits vor einigen Jahren dazu übergegangen, uns zu duzen, so oft hatte ich mich in seinem Therapiezimmer aufgehalten. Eigentlich hatte ich die Sitzungen bei ihm schon längst einstellen wollen, aber jedes Mal, wenn ich mein Leben ohne Stützräder angegangen war, war etwas Folgenschweres passiert: Erinnerungen an meine spurlos verschwundene Schwester suchten mich heim; mein Vater, der meine Mutter, meine Schwester und mich vor einer halben Ewigkeit verlassen hatte und zurück nach Nigeria gegangen war, trat wieder in mein Leben, oder ein einst geliebter Mensch wurde getötet – irgendwas war immer. Im Moment nahm ich James Dienste in Anspruch, weil ich in unregelmässigen Abständen Norah Krüger im Gefängnis besuchte. Besuchen musste.

      Norah hatte Jan Krüger, meine erste Liebe, geheiratet – und einige Jahre später hatte sie ihn ermorden lassen. Dafür hockte sie nun für ziemlich lange Zeit in Hindelbank, dem Frauengefängnis.

      Norah war aber auch die beste Freundin meiner verschwundenen Schwester Maria gewesen. Maria war auf dem Weg zu Norah verschwunden und nie wieder aufgetaucht – weder tot noch lebendig. Das war nun über 25 Jahre her. Hier lag der Hund begraben. Norah behauptete, sie wüsste mehr über das Verschwinden von Maria. Sie hatte es zur Bedingung gemacht, dass ich sie regelmässig besuchte und so ihre Einsamkeit linderte. Im Gegenzug würde sie mir Stück für Stück Informationen zum Verbleib meiner Schwester liefern. Hindelbank, das bedeutete zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück. Ein ganzer Tag fiel diesen Besuchen zum Opfer, die bisher ziemlich ergebnislos verlaufen waren. Das Hauptthema von Norah war sie selber, und auf meine Schwester war sie lediglich am Rand zu sprechen gekommen. Bis heute.

      «Wut. Ungeheure Wut empfinde ich», beantwortete ich James Frage.

      «Nur Wut?», hakte James nach. Erst wollte ich die Frage als überflüssig abtun. Plötzlich hatte ich aber Norah vor Augen, wie sie da sass im Besucherzimmer, die langen, in Jeans gekleideten Beine übereinandergeschlagen, die blonden Haare im Nacken zusammengefasst, ein rosa Angorapullover unterstrich ihre Zartheit, die sich aber nicht in den blauen Augen widerspiegelte. Die waren hart, stählern.

      «Wut. Und Hilflosigkeit», ergänzte ich.

      «Du bist Norah ausgeliefert.»

      Ich nickte und ballte dabei meine Hände unbewusst zu Fäusten.

      «Hat sie dir heute etwas erzählt?»

      Ich liess mein Gespräch mit Norah vor meinem inneren Auge Revue passieren. Die meiste Zeit redete Norah, beklagte ihre Einsamkeit, weinte.

      «Aber jetzt zu dir», sagte Norah plötzlich. «Lenk mich ab, Moira. Erzähl mir etwas von deinem gutaussehenden Bekannten, von diesem Guido Béjart.» Sie zog die Silben genüsslich in die Länge. Ihre Augen waren nicht länger tränenverschleiert, sondern funkelten raubtierartig.

      Ein flaues Gefühl beschlich mich. «Geht dich nichts an.» Meine Stimme war nur mehr ein raues Flüstern.

      «Nein?» Norah musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem derart süssen Lächeln, dass ich ihr am liebsten mit der Faust ins Gesicht geschlagen hätte. «Bist du dir da ganz sicher, Moira?»

      Ich hatte keine Wahl. Wollte ich etwas über den Verbleib meiner Schwester erfahren, musste ich spuren. Ich musste tun, was Norah verlangte. Norah genoss dieses Spiel, sie genoss die Macht, die sie über mich hatte.

      «Du hasst mich, nicht wahr, Moira?», sagte Norah und zuckte neckisch mit den Schultern. «Kein Problem. Wir können gern hier abbrechen. Du brauchst nicht wiederzukommen.»

      Ich lauschte ihren Worten mit gesenkten Augen. Ich brachte es nicht fertig, sie anzuschauen. Norah war eine feingliedrige Schönheit mit grossen blauen Augen. Aber im Innern, da war sie reines Gift. Narzisstisch und gleichzeitig ungemein bedürftig. Ihre Launen konnten


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