Der Fall Maria Okeke. Eva Ashinze

Der Fall Maria Okeke - Eva Ashinze


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bei Suizid, das wissen Sie.»

      Ich konnte ihm sein Befremden nicht verübeln. Mir selbst war es gestern Abend ja ähnlich ergangen. «Der Vater hat mich beauftragt. Er glaubt nicht an Suizid.»

      «Was glaubt er dann? Es war ein Unfall oder was?» Irgendwie erinnerte mich diese Unterhaltung ebenfalls stark an gestern Abend. «Ein Unfall kann aufgrund der Untersuchungsergebnisse so gut wie ausgeschlossen werden», fuhr Eckert fort. «Das Mädchen war sauber, keine Drogen, kein Alkohol und …»

      «Nein», ich unterbrach ihn abrupt. «Mein Mandant glaubt auch nicht an einen Unfall. Er glaubt, es war Mord.»

      «Mord? Sagten Sie Mord?» Eckert lachte laut. Ich schwieg demonstrativ.

      Nach einer Weile riss Eckert sich zusammen. «Hören Sie, ich kann verstehen, dass der Vater nicht gerade glücklich ist über den Selbstmord seiner Tochter.»

      Deswegen mochte ich Eckert nicht. Einen solchen Satz laut auszusprechen – und sei es nur gegenüber der Anwältin – zeugte von einem ausgesprochenen Mangel an Empathie.

      «Aber ich war da. Ich habe das Mädchen gesehen. Ich habe die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Ich habe mit den Autofahrern gesprochen, die, nebenbei gesagt, alle mehr oder minder traumatisiert sind von den Geschehnissen. Ich habe die Untersuchungsergebnisse studiert. Das war eindeutig Suizid.»

      «Der Vater ist anderer Meinung. Er hat mich mandatiert, um entsprechende Abklärungen zu treffen. Und als Anwältin vertrete ich nun mal, wie Sie bestens wissen, die Interessen meiner Auftraggeber», sagte ich.

      «Ist das wieder einmal einer Ihrer hoffnungslosen Fälle? Verdienen Sie eigentlich noch genügend Kohle neben all ihren Wohltätigkeitsmandaten, Sie Mutter Theresa unter der Anwälten?» Eckert lachte verächtlich. Ich ignorierte ihn, obwohl ich innerlich kochte.

      «Geben Sie mir kurz eine Zusammenfassung, was sich in jener Nacht abgespielt hat», sagte ich.

      «Eine Zusammenfassung? Sie wissen doch schon alles», erwiderte er kurzangebunden.

      «Bitte», überwand ich mich zu sagen. «Ich kenne nur die Darstellung des Vaters. Ich brauche Ihre unvoreingenommene und professionelle Sicht auf die Dinge.» Nun schmeichelte ich dem Kerl auch noch! Aber es nützte offensichtlich.

      «Na gut», sagte Eckert widerwillig. «Aber ich mach es kurz. Anfang März – das genaue Datum müsste ich in den Akten nachschauen – ging beim Polizeinotruf eine Meldung ein. Ein Autolenker war auf der A1 verunfallt und sein Auto hatte sich überschlagen. Die Kollegen vor Ort, zu denen ich später stiess, stellten fest, dass der Lenker sowie einige weitere Personenwagen über einen menschlichen Körper gefahren waren, der mitten auf der Autobahn gelegen hatte. Nach der Spurensicherung auf der Autobahn sowie auf der Strasse, die an dieser Stelle über die A1 führt, nach der Legalinspektion vor Ort durch den Bezirksarzt und schliesslich nach der Obduktion durch die Rechtsmedizin konnte Fremdeinwirkung ausgeschlossen werden. Unter anderem fanden sich am Brückengeländer Fingerbadrücke des Opfers an eindeutigen Stellen, und ihre Handtasche hatte neben dem Geländer gelegen. Sie musste von dort oben gesprungen sein. Vielleicht war sie bereits beim Aufprall auf die A1 tot. Vielleicht war sie nur schwer verletzt und endgültig tot erst, nachdem sie von den Fahrzeugen überfahren worden war. Das kann nicht restlos geklärt werden. Es spielt auch keine Rolle. Aufjeden Fall ist es ein eindeutiger Fall von Suizid», schloss er. «Wenn auch mit sehr unangenehmen Nebenwirkungen für die betroffenen Autolenker.»

      Der Bericht des Staatsanwaltes enthielt nicht viel Neues. «Und als Grund für den Suizid vermuten Sie Schuldgefühle, weil Maria sich prostituiert haben soll», sagte ich.

      «Nun ja. Die Ursache für einen Suizid zu ermitteln, gehört nicht zu den Aufgaben der Staatsanwaltschaft. Aber auffällig war schon, dass das Opfer sehr spärlich und aufreizend bekleidet war. So was bekommt man sonst nur in einschlägigen Etablissements zu sehen.»

      Du musst es ja wissen, dachte ich.

      «Ausserdem», fuhr Eckert fort, «ausserdem wurde in ihrer Handtasche eine Karte von einer Beratungsstelle für Prostituierte gefunden. Arbeitende im Sexgewerbe heisst das heutzutage.» Er schnaubte belustigt. «Strada irgendwas heisst die Organisation.»

      «La Strada.»

      «La Strada, genau. Das und die Kleidung, da war der Schluss naheliegend, dass es ich um eine Prostituierte handelte. Und Sie wissen ja, Nigerianerin und Juju-Rituale und so.» Er schwieg bedeutungsvoll. «Sie wissen doch, was Juju ist.»

      Ich seufzte gelangweilt. Ja, ich weiss, was Juju ist. Als Strafverteidigerin komme ich mit den seltsamsten Dingen in Kontakt. Juju ist eines davon. Ich hatte mich vor einigen Jahren in einem meiner Fälle vor Gericht als Strafbefreiungsgrund für meine Mandantin auf ein Juju-Ritual berufen. Und natürlich nicht Recht bekommen.

      Im traditionellen Juju-Glauben, der vor allem in Nigeria praktiziert wird, existieren gute und böse Geister. Wird einem Gott ein Schwur geleistet und gebrochen, strafen die bösen Geister, die dead-dead, die Menschen und treiben sie in Tod und Wahnsinn. Mit diesen als schwarze Magie eingesetzten Juju-Ritualen werden Frauen kontrolliert, die nach Europa geschleust werden, um sich zu prostituieren. Die Frauen verpflichten sich vor der Abreise in einem von einem Juju-Priester durchgeführten Ritual, alle Kosten zurückzuzahlen und alles zu tun, was ihnen aufgetragen wird. Es wird eine starke psychische Abhängigkeit hergestellt.

      Der Richter in meinem Fall damals war noch nicht so weit gewesen. Doch heutzutage sind die Macht des Juju und die psychische Gewalt, die dadurch auf die Frauen ausgeübt wird, auch in der Schweiz bekannt.

      «Maria ist hier zur Welt gekommen», sagte ich zu Eckert. «Sie hat den Schweizer Pass. Nigeria hat sie kein einziges Mal besucht.» Das behauptete ich einfach mal. Tat aber wohl auch nichts zur Sache. «Wo bitte sehen Sie da einen Zusammenhang zwischen ihrer angeblichen Prostitution und Juju? Hat allenfalls ein Voodoo-Priester aus Nigeria an der Langstrasse eine Zweigniederlassung eröffnet?»

      «Hören Sie, ich habe Ihnen aus reinem Goodwill die Auskünfte gegeben, die Sie haben wollten. Der Vater hat keine Parteistellung, das wissen Sie so gut wie ich, also auch keine Rechte im Verfahren. Wär’s das also gewesen?», fragte Eckert gereizt.

      «Nur noch eines: Ich brauche die vollständigen Akten», sagte ich. «Das Recht auf Akteinsicht hat er nämlich, der Vater, auch ohne Parteistellung.»

      «Tja, dafür brauche ich zuerst eine Vollmacht von ihm. Danach erhalten Sie die Akten.»

      «Können Sie keine Ausnahme machen? Ich könnte die Akten jetzt gleich abholen, die Vollmacht reiche ich nach.»

      «Kein Ausnahme. Erst die Vollmacht. War’s das?», fragte er ungeduldig.

      Ich hatte bekommen, was ich hatte bekommen wollen. Mit einer Hand hatte ich bereits begonnen, eine Mail an einen säumigen Mandanten zu schreiben. Dabei stiess ich meinen Kaffeebecher um und der Rest des Espressos tropfte auf meine beige Leinenhose. «Scheisse!», rief ich.

      «Wie bitte?»

      «Verdammt, habe ich das laut gesagt?», flötete ich in den Hörer. «Entschuldigung!! Die Vollmacht lasse ich Ihnen zukommen.» Ich legte auf. Immerhin hatte ich nun doch noch das letzte Wort gehabt.

       6

      Nur Sekunden, nachdem ich aufgelegt hatte, läutete mein Telefon. Ich kannte die Nummer auf dem Display: Es war Asim. Ich war noch immer dabei, meine Hose abzutupfen. Der Fleck war resistent gegen meine Reinigungsversuche.

      «Du hast aber lange telefoniert», sagte Asim vorwurfsvoll.

      «Guten Morgen, Moira. Wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?», meinte ich ironisch.

      «Guten Morgen, Moira. Wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?», wiederholte er.

      «Lass den Quatsch. Was willst du?», blaffte ich ihn an.

      «Kommst du voran?», fragte er.

      «Womit?» Ich spielte die Ahnungslose.

      «Na, mit dem Fall. Mit Henrys Fall.»


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