Der letzte Ball. Konstantin Josuttis
würde und er freute sich ebenso auf die Gespräche auf Spanisch mit den Männern des ansässigen Fußballverbandes wie auf das von Rimet als ausgezeichnet beschriebene kulinarische Erlebnis auf dem Schiff. Fischer sah schon Pfifferlingssteaks und in Rotwein gebratene Wachtelschenkel vor sich, bis ihm klar wurde, dass er sich nun direkt vorm Schlund des Schiffes befand. Zwei schwarze Türen waren aus dem Inneren herausgeklappt worden und Fischer hatte das Gefühl der Unausweichlichkeit, als er einen Schritt über den letzten Teil der Gangway tat, wobei er bemerkte, dass sich in einem kleinen Schlitz zwischen Planke und Schiff das glitzernde Wasser erblicken ließ, das beängstigend weit entfernt schien. Schluckend trat er über die Schwelle und fühlte sich von einem biblischen Tier verspeist, wobei er sich selbst nicht ganz klar darüber war, ob dies nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Schnell dachte er an weitere Köstlichkeiten, die die Kombüse des Dampfers hervorbringen würde: Einen in Armagnac flambierten Ochsenrücken mit Kohl, eine Tarte mit frühen Kartoffeln und feinem italienischem Käse – der erste Anflug von Angst war auf gutem Wege, bekämpft zu werden.
„Signor Fischer?“ Eine hohe, sympathische Stimme riss ihn aus seinen Vorstellungen. Er drehte sich um und sah einem hoch gewachsenen, dürren Maat in die großen Augen. Der Mann stellte sich mit einer tiefen Verbeugung vor und bot sich an, Fischer zu seiner Kabine zu führen. Fischer nahm dankend an und trippelte sofort den militärisch akkuraten Schritten seines Führers hinterher. Der Raum, in den sie getreten waren, wirkte auf den ersten Blick imposant. Der Fußboden und die Wände waren mit glänzendem Holz getäfelt, wobei die Wände immer wieder mit Stuckmustern und putzigen Putten verziert waren. Während sich Fischer das Innere des Wals, in den er eingestiegen war, dunkel vorgestellt hatte, stellte er nun fest, dass auf den oberen Decks größere Fenster in die Außenwände eingebracht waren, sodass die italienische Sonne sich ihren Weg mühelos zu den luxuriösen Reizen des Dampfers bahnen konnte. Fischer und der Maat passierten einen Empfangsschalter in dem großen Vorraum, den sie betreten hatten, und bogen nach links in einen etwas kleineren Gang ein, der nun seinerseits von in die Wände eingelassenen Lüsterlampen erleuchtet wurde. Dann bogen sie wieder nach rechts ab, bis sie an einer Mahagoniholztür ankamen, die der Maat behände aufschloss und mit einer Verbeugung Fischer den Weg hinein wies, wo zu dessen Überraschung bereits sein Koffer und daneben ein breit grinsender Matrose standen. Fischer bestaunte die Größe des Raumes, der über einen massiven Holzschrank, einen Tisch und zwei mit hohen, sich nach außen stülpenden Lehnen und mit Leder bezogene Stühle verfügte. Direkt gegenüber fand sich eine Chaiselongue, die zu einem Nickerchen einlud, doch Fischer wurde vom grinsenden Matrosen noch in das Nebenzimmer zur Linken geführt, in dem sich sein Bett und ein weiterer Schrank befanden. Erst jetzt fiel Fischer auf, dass er keine Schritte mehr vernommen hatte, weder die eigenen, noch die des anderen Mannes. Der Grund war ein dick gewebter Wollteppich mit orientalischem Muster, der jegliches Klappern oder Knarren von Schuhabsätzen oder Kofferrädern verschluckte. Fischer ging wieder in sein Wohnzimmer. Als er sich umdrehte, um aus dem Fenster hinaus auf die Stadt zu schauen, bemerkte er, dass der Matrose immer noch lächelnd in seiner Kabine stand. „Scusi“, sagte er daraufhin eilig, kramte in seiner Jackentasche nach ein paar Lira und schüttete diese dem erfreuten Mann in die ausgestreckte Hand. Erst als der Kerl wieder leise, aber doch mit einer triumphierenden Note, die Tür hinter sich verschlossen hatte, wurde Fischer klar, dass er unsinnig viel Geld in die Hand des Kofferträgers gedrückt hatte. Er huschte zur Tür, blickte hinaus auf den Gang und rief dem Mann hinterher, der sich, immer noch grinsend, umdrehte. „Ich, ähh …“ Ein Mann in einem Mantel mit Hermelinkragen stolzierte mit seiner mit Juwelen behängten Frau das blitzblanke Deck herab. Auf einmal war Fischer sein Protest peinlich und so bestellte er schlicht einen Cognac.
3.
Das Nickerchen war wohltuend gewesen, wenn auch unnötig. Er hatte eigentlich an Deck gehen und sich die Stadt noch einmal von der Seeseite anschauen wollen, war aber dann über dem Cognac ein wenig weggedöst. Dieser Ohrensessel lud aber auch geradezu dazu ein, die Sorgen des Alltags gegen einen sanften Schlummer der Vergessenheit einzutauschen. Dazu hatte ihn ein gedämpftes Brummen in den Schlaf versetzt, ein Brummen, das noch immer zu vernehmen war, und es schien ihm, als würde der Boden unter ihm vibrieren. Er tat dieses Gefühl der ihn stetig umgebenden, zittrigen Bewegung als Einbildung ab, als Überbleibsel seines wohltuenden Schlafes. Nun schloss er seine Kabine von außen ab, um erst einmal das Schiff zu erkunden. Ein kleiner Aperitif später an der Bar konnte nicht schaden und dann hätte er immer noch genügend Zeit, um sich vor dem Ablegen die Genoveser Bucht anzusehen.
Er ging den Gang hinab und beschloss, einfach seiner Lust und Laune zu folgen. Daher ging er nach rechts und fand hinter züchtig von roten Kordeln zurückgehaltenen Samtvorhängen einen Raum, der ihn an die Speisesäle der luxuriösesten Restaurants, in denen er mit Rimet diniert hatte, erinnerte. Säulen verzierten die hohen Wände, der Boden war wieder mit orientalischen Teppichen belegt, die Decke war mit einer Himmelsszene bemalt, in der kleine Engelchen frohlockend umherflatterten und in römischen Gewändern gekleidete Damen und Herren auf Diwanen Trauben verspeisten. Ein Ober deckte die Tische ein und verbeugte sich artig, als er Fischer hineintreten sah. In der Mitte des Saales führte eine breite Marmortreppe auf das nächste Deck hinauf und wie in Trance stieg Fischer nach oben, um festzustellen, dass das nächste Stockwerk mit demselben Pomp ausgestattet war, allerdings hier in diesem oberen Speisesaal die Farbe Grün vorherrschte. Die Tische waren in noch breiteren Abständen verteilt und die jeweiligen Außenwände wurden von einem Kamin verdeckt. Über dem Kamin auf der linken Seite prunkte ein wuchtiges Ölgemälde, welches einen stolzen Reiter in einer wilden Regennacht darstellte. Unter dem goldenen Rahmen befand sich ein Messingschild, auf dem der Name des Mannes stand: Conte Verde – der grüne Graf. Dies war offensichtlich der Saal für die besonders ehrenwerten Gäste, dachte sich Fischer und durchquerte den Raum, um an eine Treppe zu gelangen, die nach ein paar wenigen Stufen in einen weiteren Saal führte. Hier herrschten dezente, matte Farben vor, die schweren Wollteppiche, die auf dem blanken Parkett lagen, waren beige und an der Pforte, wieder hinter einem Vorhang, stand ein Steinengelchen, das eine Harfe spielte. Fischer befand sich im Musiksaal. Ein paar wenige Sitzecken standen an den Außenwänden des großen Saales, an dessen Ende, vor einem roten Vorhang, auf einer Bühne ein großer, schwarz glänzender Flügel prunkte. Am Boden der Bühne, auf Augenhöhe des Zuschauers, stand eine kleine Staffelei, in die ein Foto eines imposanten Mannes eingespannt war. Beim Näherkommen sah Fischer, dass das Plakat die kommenden Abende bewarb, an denen Fjodor Iwanowitsch Schaljapin seine Sangeskünste zum Besten geben sollte. Etwas kleiner darunter fand man noch den Namen von Marthe Nespoulos, ebenfalls eine Opernsängerin. Fischers anfängliche Sorge, dass die 16 Tage der Überfahrt ihm aufs Gemüt schlagen könnten, löste sich nach und nach in Luft auf. Er ging langsam, wie verzaubert, zurück in den Speisesaal, von dort aus wieder deckab in den ersten Speisesaal, den er durchquert hatte. Ihn überkam das Gefühl, dass er nun das ganze Schiff für sich entdecken wollte, wie ein Marco Polo, noch bevor die breite Masse auf das Schiff strömen würde. Beflügelt vom eigenen Unternehmungsgeist verließ er den Saal durch eine der hinteren Türen. Er musste sich, auch das stand auf seiner Agenda, noch unbedingt merken, was an Bord Backbord und was Steuerbord genannt wurde. Für ihn gab es zunächst nur rechts und links, aber bevor er zu lange über die Problematik sinnieren konnte, befand er sich in einem weiteren Flur, der Badezimmer für Damen anzeigte, die er fluchtartig mit einer Treppe nach unten zu umgehen versuchte.
Urplötzlich und unvermittelt überkam ihn eine seltsame Angst, nicht fassbar zunächst, eher wie ein Klumpen in der Magengegend, aber trotz des ihn umgebenen Pomps hatte er das Gefühl, von der samtigen Haut der Wände und Teppiche berührt und im Bauch des Wals erdrückt zu werden. Er musste wieder hoch, und zwar schnell. Er stürzte über die in der Mitte des Schiffes liegende Treppe zwei Stockwerke hoch, bis er, vorbei an weiteren Kabinen der ersten Klasse, eine Tür fand, hinter der ihm milchiges Tageslicht entgegenleuchtete. Dann stürzte er an die Reling und blickte hinaus aufs Mittelmeer, das in beruhigender Beständigkeit vor ihm schaukelte und gleichzeitig absolute Ruhe ausstrahlte. Er atmete tief durch und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Die Schiffsbesichtigung musste verschoben werden, das war ihm klar. So machte er sich auf den Weg zu seiner Kabine, diesmal allerdings an der Reling entlang, bis er am Bug eine Treppe nach unten fand, die ihn auf sein Deck führte. Schnell wollte er noch einen Blick auf die Genoveser Küste werfen, fand aber zu seiner anfänglichen