Der letzte Ball. Konstantin Josuttis
Südamerika eingeladen worden wäre, was den Russen dazu veranlasste, in ausgeschmückter Ausführlichkeit von seiner Mission zu erzählen. Tarnoffs Blick war dabei so intensiv und durchdringend, dass Fischer ganz froh darüber war, dass der Mann eine Augenklappe trug. Zwei Exemplare des Auges, das sich auf ihn heftete, wären schwer erträglich.
„Härr, Fischärr. Sie wissen nicht, was uns alle hiär zusammentreibt. Äs ist aine Sache von außärgewöhnlischär Dringlichkait.“
Fischer nickte demütig und von der kaum verhohlenen Eitelkeit des Mannes fasziniert.
„Äs ist nur aine Fraage där Zait, bis äs zum Zusahmenträffän kommän wird.“
„Zusammentreffen?“
„Där Kulturän.“
„Ahh.“ Fischer tat so, als verstünde er sein Gegenüber.
„Där Kontakt ist noch nicht härgestäält, abär es wird noch in diesäm Jahrzeähnt dazu kommän. Und dann müssän wir vorberaitet sain.“
Wieder nickte Fischer.
„Äs gibt verschiedenste Belegä für außerirdische Kontaktaufnahme. Wir sollten also gewappnät sain.“
„Außerirdisch? Sie meinen wahrscheinlich …“ Ja, was meinte der Mann?
„Außerirdisch. Genau. Himmälssignale. Lichtzaichen. Inskriptionän. Äs gibt einen Haufen Belegä, abär die Wissenschaft schaut immer noch wääg. Unsärä Gesellschaft wird das Zaitalter där Kommunikation ainlaitän.“
„Ihre Gesellschaft.“
Tarnoff zückte eine Karte aus seinem Revers. In weißer, geschwungener Schrift las Fischer: „Gesellschaft für interplanetarischen Frieden und Handel“. Fischer war augenblicklich so verlegen, dass er sich veranlasst sah, dem ihm gegenübersitzenden Mann zuzustimmen, so unsinnig schien ihm die Angelegenheit, der dieser sich verschrieben hatte. Er stammelte etwas von „vorausschauend“ und „weise“, wurde rot, brabbelte weitere Unsinnigkeiten vor sich hin und wurde letztendlich durch das Eintreffen der anderen Tischgäste von seinem Dilemma befreit.
Zu Fischers Erstaunen nahm der Kapitän des Schiffes Platz, ein junger, forscher Mann mit einer energisch wirkenden Stirn und einem Habitus, der auf unbestechliche Zielstrebigkeit hindeutete. Sein Gruß war kurz und militärisch: „Amedeo Pinceti“. Ohne die Hand in einem kräftigen Griff loszulassen, stellte der Kapitän noch seinen ersten Offizier vor, einen gewissen Bruto Cavesi, der trotz seines eher jugendlichen Alters nur wenige Haare auf dem Kopf hatte, die er allerdings kunstvoll mit Haarwichse von steuerbord nach backbord (oder umgekehrt?) gelegt hatte. Der Mann hatte ein etwas unangenehm breites Grinsen, das er anscheinend, selbst wenn er es gewollt hätte, nicht ablegen konnte.
Nachdem man sich (auf Italienisch) begrüßt hatte, bemerkte Fischer, dass er seine normale Fähigkeit, mit anderen Menschen auf angenehme Art und Weise Belanglosigkeiten auszutauschen, kurzzeitig verloren hatte. Er fühlte sich verwirrt, benebelt und fragte sich, woran das wohl liegen konnte, als er die momentane geistige Ermattung an dem Duft festmachte, der ihn betörte. Es duftete in der Tat nach Rosen. Und noch bevor er sich umdrehen konnte, spürte er eine zartgliedrige Hand auf seiner Schulter, die einmal kurz, aber kräftig, als wolle sie eine Begabung konstatieren, zudrückte. Fischer wusste sofort, wer neben ihm stand. Der Kapitän stand auf und rief erfreut: „Ahh, Signorina Cortazar. Bitte setzen Sie sich doch.“ Fischer schluckte. Er wusste, dass er verloren war. Die Person, die sich in den für sie vom ersten Offizier nach hinten gezogenen Stuhl setzte, löste in ihm gleichzeitig Panik und vollkommene Erfüllung aus. Nachdem er sich hustend und stotternd vorgestellt hatte, was, wie er sich vollkommen sicher war, die anderen Herren am Tisch zu einem genüsslichen Lächeln veranlasste, schaute sie ihn mit halbgeschlossenen Lidern an und nickte ihm kurz zu. Fischer bildete sich ein, dass er in diesem Moment ihre Gedanken lesen konnte: „Aber das weiß ich doch, du Dummerchen. Wir kennen uns doch schon.“ Bevor er sich aber weiter in die Auswüchse seiner Anbetung hineinsteigern konnte, wurde er erneut durch den Kapitän gerettet. „Der letzte in unserer Runde. Willkommen, Herr Eisenbeisser.“ Fischer war durchaus erfreut, jemanden am Tisch zu haben, mit dem er sich, was Kommunikation anging, auf sicherem Gebiet bewegen konnte. Der Saal hatte sich inzwischen allgemein gefüllt und die ersten Gläser klirrten.
„Meine lieben Gäste“, so hob Pinceti an, „Lassen Sie mich Sie begrüßen und Ihnen an Bord eine wunderbare Zeit wünschen. Falls Sie sich wundern – als Kapitän dieses Schiffes geselle ich mich gerne zu meinen Passagieren, in abwechselnder Reihenfolge selbstverständlich. Sollten Sie also irgendwelche Fragen an mich haben, zögern Sie bitte nicht, mir umgehend zu sagen, was Ihnen auf dem Herzen liegt. Ich möchte betonen, dass …“ Das plötzliche Innehalten des Schiffsführers ließ auch seine Zuhörer für einen kurzen Moment erstarren. Der Tisch schaute den Kapitän gebannt an, welcher wiederum seinen Blick an die Wand heftete. Sein Gesichtsausdruck hatte eine unschöne Härte angenommen. Alle blickten dorthin, worauf sein Blick gerichtet war: An der Wand hing ein Bildnis Mussolinis, der Kopf mit Tarbusch. Der Duce sah durchaus wohlwollend aus.
Bewegungslos zischte der Kapitän: „Wer hat dieses Bild dort aufgehängt?“ Cavesi schnellte hinauf wie ein braver Schüler und sagte, immer noch grinsend: „Ich, Herr Kapitän. Unser Duce.“ Damit deutete er auf das Bild. Mittlerweile schauten auch die Gäste von den Nachbartischen herüber. „Dort“, sagte der Kapitän sehr langsam, „hängt das Portrait unseres wahren Herrschers“, und nun donnerte jedes einzelne Wort wie eine Kanonenkugel: „Il Principe Vittorio Emanuele Ferdinando Maria Gennaro di Savoia, Principe Ereditario d’Italia.“ Zum ersten und einzigen Male sah Fischer, wie das Lächeln im Gesicht des Offiziers gefror.
„Mit Verlaub, Capitano, aber Herrscher ist unser allseits geliebter Führer, der Duce.“ Nun drehte sich zum ersten Male das Gesicht des Kapitäns zu seinem Untergebenen. „Auf diesem Schiff bestimme immer noch ich, wer oder was an den Wänden hängt. Sie hängen dieses Bild von der Wand, Cavesi! Jetzt! Sofort!“
Cavesi blickte seinem Vorgesetzten nur einen kurzen Augenblick ungläubig in die Augen, dann nahmen seine Gesichtskonturen einen verhärteten Ausdruck an, er stand auf und trottete zur Wand, hob langsam, fast zärtlich seine Hände, um das ihm wertvolle Gemälde abzunehmen. Er war sich einen kurzen Augenblick unsicher, wohin er die Reliquie bringen sollte, blickte an den Tisch, wo ihm Pinceti mit einer Kopfbewegung den Weg nach draußen wies. Ohne sich die Demütigung anmerken zu lassen, trabte der Offizier zum Treppenaufgang, kam geraden Schrittes zurück und setzte sich an den Tisch.
Nachdem sie das Schauspiel schweigend beobachtet hatten, führten die anderen Gäste im Saal ihrerseits ihre Gespräche fort. Um die Stimmung etwas aufzuheitern, sagte Fischer: „Nun, die Welt befindet sich im Wandel. Bolschewisten oder Faschisten. Alle scheinen gute Ideen zu haben, wie der Alltag einer modernen Welt aussehen könnte.“
Pinceti schnaubte verächtlich. Nun meldete sich Eisenbeisser zu Wort: „Ich für meinen Teil muss dem Kapitän zustimmen. Monarchie hat noch nicht ausgedient. Schließlich haben meine Mitreisenden und ich es unserem König zu verdanken, dass wir diese Reise antreten können.“ Fischer wusste, was der Mannschaftskapitän der Rumänen meinte. Er beneidete Eisenbeisser um dessen Fähigkeit, die Wogen zu glätten, ohne jemanden dabei zu verurteilen. „Unsere Majestät, Carol der Zweite, ist seines Zeichens selbst ein großer Fan des Fußballsports. Daher hat er persönlich dafür gesorgt, dass die rumänische Mannschaft an der ersten Weltmeisterschaft teilnehmen kann.“
Cavesi hustete fast dazwischen, offensichtlich nicht in der Lage, sich zurückzuhalten: „Nachdem er gerade aus dem Exil zurückgekehrt ist, weil er sich mit einer jüdischen Metze verlustiert hat.“
Pincetis Gesicht wurde kalkweiß. Doch sein Offizier war noch nicht fertig.
„Jetzt unterwandert der Jude schon die Monarchie. Ist doch unglaublich …“
Pinceti stand auf und legte dabei seine Serviette auf den Tisch.
„Cavesi, was erlauben Sie sich?“
„Selbst auf diesem Schiff hier fuhr diese Negerin mit und hat den Herren