Der Jäger und sein Ziel .... Gerd H. Meyden

Der Jäger und sein Ziel ... - Gerd H. Meyden


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jemals einer Lesung des Autors beiwohnen, seine Gestik beobachten, seine warme Stimme und seinen authentischen bayerischen Akzent auf sich wirken lassen durfte, der wird gespürt haben, dass Meydens Erzählungen nicht nur eine Liebeserklärung an Feld, Wald, Wild und Jagd sind, sondern eine Hommage an seine bayerische Jagdheimat und die Menschen, die hier leben und mit denen er jagen darf. Wann immer Gerd Meyden wieder öffentlich liest, dies Buch lädt dazu ein.

       Jörg Mangold,

      Hof Blumental 2017

       Der Jäger und sein Ziel

      „Jagen ist gesteigertes, jubelnd bejahtes Leben. Wenn man es nimmer so nennen kann, dann wird es kein Jagen mehr sein.“ Dieser Ausspruch des unvergleichbaren Weidmanns und Jagdschriftstellers Baron v. Cramer-Klett klingt immer in mir nach. Das heißt für mich, durch intime Kenntnisse des Geschehens in der Natur sich tiefer in sie hineinfühlen zu können und damit umso reicher belohnt zu werden.

      Cramer-Klett meint damit das Weidwerk, zu dem mehr gehört als ein Jagdschein und die notwendigen Hilfsmittel. Wobei unter dem Namen „Hilfsmittel“ ständig neue hochtechnische „Errungenschaften“ dazukommen, die freudig gekauft und eingesetzt werden. Diese „Hilfen“ sollen dazu dienen, schneller ans „Ziel“ zu kommen. Das „Ziel“ des derart ausgestatteten Jagdscheinbesitzers ist die Erlegung eines Wildes auf möglichst schnelle und mühelose Weise. Wobei er sich um das Schönste und Wertvollste betrügt – um den Weg dorthin, denn „der Weg ist das Ziel“.

      Schon vor Jahrzehnten hat Ortega i Gasset die Gefahr für das Bestehen der Jagd erkannt. Er fand, dass totaler, ungebremster Einsatz aller technischen und rationalen Überlegenheit über das Tier den Reiz des Jagens und folglich die Jagd selber auslöschen könnten. Dann wird es mit Hilfe der Technik nur mehr ein nüchternes Aufspüren und finales Abschießen sein. Ein technisch perfekt vorbereiteter und mehr oder weniger kalt ausgeführter „Kill“.

      Jagd, Weidwerk ist gesteigertes Leben, wenn der Jäger aufgrund seiner Naturkenntnis bewusst in das Geschehen um ihn her eintauchen kann. Wenn er in der Natur mehr sieht, als durch das Zielfernrohr zu erkennen ist. Wenn er in der Natur wie in einem offenen, bunten Buch zu lesen versteht. Dahin muss ihn Interesse, Neugier, ungebremster Wissensdurst führen, und das wird ihn unendlich reich machen. Welche Pflanzen wachsen neben seinem Pirschpfad und warum? Wozu haben beispielsweise manche Tiere länglich-horizontale, -vertikale oder runde Pupillen? Welche Tierlaute hört man, von wem kommen sie und warum? Wo kann je nach Jahreszeit und Wetter das Wild stehen? Alles um ihn her ist voller Hinweise. Zu diesem Wissen verhilft eine ständige Fortbildung, zu der jeder Jagende verpflichtet ist.

      Da von uns wohl keiner mehr Zeit und Werdegang eines Waldläufers hat, der von klein auf jede Minute ausschließlich in der Natur – sei es jagenderweise oder nur beobachtend – verbracht hat, muss er sein Wissen anderweitig ergänzen. Es genügt nicht, die Vereinsnachrichten im Mitteilungsblatt zu lesen, denn die Forschung eröffnet uns stets neue Blickwinkel und Erkenntnisse der Zusammenhänge, über die uns die gute Jagdpresse informiert. Alles ist im Wandel. Die „Altvorderen“, die noch aus dem Vollen schöpfen konnten, wussten es nicht besser. Doch die Zeit ist rasant vorangestürmt, und zum Glück stehen uns Unmengen von neuen Informationen zur Verfügung, die wir kennen müssen. Wer mit einer Waffe in die Natur hinausgeht, trägt eine andere Verpflichtung und Verantwortung als der normale Naturfreund. Letztendlich endet die Tätigkeit des Jägers mit dem Tod eines Mitgeschöpfes. Und deshalb muss er genau wissen, was er da tut. Und warum es er tut. Die uns zur Verfügung stehenden technischen Hilfen sind nur dazu da, um dem bejagten Wild jegliches Leid zu ersparen.

      Manche vergleichen die Jagd mit der Waffe mit der Fotojagd. Zwar gibt es da gewisse Parallelen, doch hinkt der Vergleich auf einem Bein. Der Fotojäger kann mit seiner Beute – dem Bild – mehr oder weniger zufrieden heimgehen, während beim Jäger nach dem Erfolg – dem Erlegen der Beute – oftmals die Mühen erst so recht beginnen. Ich denke da an die Bergung in unwegsamem Gelände oder die Nachsuchen-Arbeit. Vor allem darf man den Urgrund der Jagd – den Gewinn des überaus gesunden und wertvollen Nahrungsmittels Wildbret nicht vergessen. Auch der Jäger mit der Büchse kehrt oft mit blanken Läufen, manchmal auch mit nicht so blanken Läufen, aber ohne Beute heim. Doch was er im Herzen mit offenen Sinnen heimträgt, das macht ihn reich.

      Das ist jenes gesteigerte Leben, das mich stets aufs Neue fordert, beglückt und mir jubelnd bejahend bestätigt – dass ich lebe.

       Wilderer

      „Halt! Stehen bleiben! Gewehr weg! Hände hoch!“

      Dieser Ausruf gehört einfach in eine richtige Wilderergeschichte. In meinem Fall hätte es aber heißen müssen: „Hände hoch! Steinschleuder weg!“ Das war mein Werkzeug, bis später das Luftgewehr dazukam.

      Doch nun der Reihe nach. In den ersten Nachkriegsjahren war ich mit knapp elf Jahren ein Meister der Steinschleuder. Die war nicht so einfach herzustellen, denn der Gummi dazu musste wegen seiner Zugkraft aus Schläuchen von Autoreifen stammen. Heutzutage haben Autos schlauchlose Reifen, die waren damals noch nicht einmal Zukunftsmusik. Neue Autoreifenschläuche waren kaum zu bekommen, die alten wurden deshalb geflickt und geflickt, bis sie regelrecht bunt vor lauter Flickstellen waren. Solche Schlauchfragmente wurden unter uns Buben hoch gehandelt und wir, das heißt mein Bruder und ich, hatten einen Freund, dessen Eltern ein Fuhrunternehmen besaßen. Ein Fuhrunternehmen zwar ohne Autos, doch es fanden sich in der Garage Gummireste einstiger Herrlichkeit.

      Man brauchte obendrein für die Schleuder eine hölzerne Gabel, die im richtigen Wuchs vornehmlich in Fliedersträuchern zu finden ist. Das Lederstück für die Geschoße zwischen den beiden Gummienden war zwar auch Mangelware, doch nicht ganz so rar wie der Gummi.

      Mit der Zeit gewann ich an Treffsicherheit. Geübt wurde ja genug in der reichlichen Freizeit. Die oft taumelnde Flugbahn der geschleuderten Steine lag an deren unregelmäßiger Oberfläche. Rund waren die Steine nie, und so wurde die Ballistik mit wachsender Entfernung unberechenbar.

      Spatzen oder Amseln konnte man nur auf nahe Entfernung beschießen und treffen. Eichkatzeln, Ringeltauben oder gar Häher und Krähen – kein Gedanke, die waren zu weit weg, und die Durchschlagskraft hätte auch nicht ausgereicht.

      Ich jagte nach meiner Ansicht streng weidgerecht. Mein Wissen darüber hatte ich aus einem uralten Buch von Ludwig Ernst Hartig: „Lehrbuch für Jäger und die es werden wollen“. Da wurde noch klar unterschieden zwischen „schädlichem“ und „nützlichem“ Jagdwild. So rangierten Meisen, Spechte, Rotkehlchen und andere Singvögel unter „nützlich“ und wurden geschont. Dieses über zweihundert Jahre alte Buch bereichert meine Jagdbibliothek und trägt immer noch die verschandelnden Vermerke, die ich als Bub damals zu den einzelnen Kapiteln glaubte hineinschmieren zu müssen.

      Da kam mir zur Perfektionierung meiner Treffsicherheit das Kriegsende zur Hilfe. In der Nähe unseres Wohnorts führte eine, nun stillgelegte, Bahnstrecke vorbei. Auf den leise vor sich hin rostenden Gleisen standen von Tieffliegern der Amerikaner zerschossene, ausgebrannte Waggons. In einer dieser brandgeschwärzten Ruinen fand ich, was ich dringend brauchte. Es muss wohl seinerzeit ein Munitionszug gewesen sein, denn ich fand eine Unmenge von Projektilen für die 08-Wehrmachtspistole. Diese Stahlmantelgeschoße hatten einen Bleikern. Das war’s! Obwohl auch die Bleikerne nicht rund waren, war ihre Flugbahn durch das hohe Gewicht bei geringem Volumen gestreckt wie bei einer Hochrasanzpatrone. Natürlich immer in den Grenzen der Schleuder-Reichweite. Das eröffnete mir neue, in jener jagdgesetzlosen Zeit nun nicht mehr ganz so harmlose Jagd-(sprich: Wilderer)möglichkeiten.

      Die Treffsicherheit war so hoch, dass „fast“ jeder Spatz, der auf der Strom- oder Telegrafenleitung saß, steintot herunterfiel. Wobei „steintot“ mit der neuen Munition besser „bleitot“ hätte heißen müssen. Jetzt ging’s auf die Tauben und Eichkatzeln los.

      Gleich das erste Opfer, ein schönes rotbraunes Eichkatzel, fiel voll getroffen aus einer Kiefer vor meine Füße. Mit


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