Der Jäger und sein Ziel .... Gerd H. Meyden
das seinerzeit aufs alte Innenfutter gestickte Monogramm mit Jahreszahl der Anfertigung aus und nähte es im neuen Futter wieder ein. Die abgewetzten Ellbogen bekamen Lederherzerln drauf, und auch die Löcher, die einst ein junger Schweißhund hineingenagt hatte, wurden mit gleichartigem Stoff geflickt. Der kleine Hund wollte zu den Belohnungsbrocken in der Tasche gelangen. Er schaffte es sogar.
Ein Freund hatte mir damals, als ich dessen Joppe bewunderte, zu einem renommierten Schneider am Tegernsee geraten. Doch seinerzeit war jener Meister dermaßen mit Aufträgen ausgelastet, dass ich über eineinhalb Jahre hätte warten müssen. Da er der Haus- und Hofschneider der Wittelsbacher war, also sozusagen königlich-bayerischer Lieferant, drängten sich zu viele „Gernegrafen“ danach, ebenfalls ein so „geadeltes“ G’wand zu besitzen.
So kam ich zum gleichfalls am Tegernsee beheimateten „Eisenburg Bene“. Hier dauerte die Maßanfertigung nur ein paar Wochen, und zwischen Kunde und Meister entstand bald ein kleines Freundschaftsverhältnis. Ungezählte Hosen, Joppen und Janker fertigte er im Laufe der Jahre auf seinem Schneidertisch – da saß er tatsächlich mit gekreuzten Haxen drauf – für meinen Luxuskörper. Doch mit besagter Lieblingsjoppe gab es ein kleines Anfangsproblem.
Nachdem der Bene meine Maße genommen hatte, wählte ich dürrlaubfarbenen Lodenstoff, tannengrünes Passepoil, kariertes Wollfutter, besonders schöne Hirschhornknöpfe und besprach mit ihm meine Sonderwünsche. Dabei hat er, der ein guter Beobachter war, mich als Linkshänder erkannt. So platzierte er die Patronentasche, wo man fünf Stück zum schnellen Zugriff hineinsteckt, auf die rechte Brustseite. Er dachte, dass ein Linkshänder auch ein Linksschütze sein müsse. Der muss, um schnell seine Kipplaufbüchse nachladen zu können, mit der linken Hand aus der rechten Brusttasche eine Patrone greifen können.
Weil ich jedoch ein Rechtsschütze bin, ließ die Folge dieses Irrtums nicht lange auf sich warten. Stolz, neu gewandet, war ich beim Kahlwildjagern. Ich schoss ein Kalb. Es brach im Feuer zusammen, während das Stuck, irritiert durch das Schussecho, noch kurzzeitig verhoffte. Schnell nachladen, bevor es abspringt! Mit der Rechten griff ich nach links, um eine neue Patrone aus der Brusttasche herauszuziehen. Doch da war keine Tasche! Bis ich merkte, dass nun die Patronen rechts stecken, waren nur ein, zwei Sekunden verstrichen. Die genügten, um dem Stuck Klarheit zu verschaffen und abzuspringen. Verflixt nochmal! Da hatte der gute Bene die Tasche an der falschen Körperseite angebracht. Im guten Glauben, das sei dem Bewegungsablauf eines Linkshänders angepasst.
Als ich ihm die Joppe wieder brachte, um die andere Brustseite ebenfalls mit einer Tasche zu versehen, staunte der Meister. Er hätte etliche Kunden, die Linkshänder seien, sagte er, doch würden diese auch brav links anschlagen und schnell mit der linken Hand zur rechten Patronentasche finden. Dumm gelaufen!
Die Belohnung für den Seitenwechsel der Patronentasche bekam ich im Herbst desselben Jahres. Auf der Drückjagd meines Freundes Helmut Wölfel im Pfälzer Wald schoss ich mit meiner Kipplaufbüchse aus einer Rotte Sauen vier Frischlinge heraus. Nach jedem Schuss die Büchse mit der rechten Hand aufgeklappt, der Ejektor warf die leere Hülse aus, in derselben Sekunde holte die Rechte aus der linken Brusttasche eine neue Patrone, schob sie in den Lauf, zugeklappt, und schon war ich wieder feuerbereit. Mein Nachbarschütze, der mir zugeschaut hatte, stellte nach dem Trieb verwundert fest, dass ich mit meiner Kipplaufbüchse so schnell wie mit einem Repetierer geschossen hätte.
Neben dieser fast nebensächlichen Eigenschaft der Jagdjoppe sind es zu ihrer Funktionalität die ungezählten gemeinsamen Erlebnisse. Stunden, Tage, Wochen im Berg und im Wald; bei Regen, Schnee und Sonnenschein, stets waren wir beisammen. Sie wärmt in ihren weich gefütterten Mufftaschen meine Hände und beherbergt in ihren vielen Außen- und Innentaschen die kleinen, notwendigen Dinge griffbereit für den Jäger.
Weil ich gerade die vielen Taschen erwähne, fällt mir eine kleine Geschichte ein, die zwar nicht im direkten Zusammenhang mit der Jagd steht, aber dennoch ihren Ursprung auf einer Jagd hat, bei der meine Mutter mich begleitete. Unter einem alten Kastanienbaum machten wir Rast. Dabei hob sie eine der zu Boden gefallenen, frisch und glänzend aus der Schale geplatzten Kastanien auf.
„Da“, sagte sie schmunzelnd, „steck sie in Tasche, das ist gut gegen Rheuma! Als Jäger bist du ja gefährdet.“
Selber glaubte sie zwar auch nicht so recht an den alten Aberglauben – aber man kann ja nie wissen. So steckte ich die glatte braune Kugel in eine Tasche der Joppe und – vergaß sie. Nach vielen Jahren, meine Mutter lebte längst nicht mehr, drückte mich etwas im Futter der Jacke. Irgendwas war irgendwann durch ein winziges Loch in der Tasche in den unteren Saum des Innenfutters geschlupft. Durch einen kleinen Trennschnitt herausgeholt, hielt ich die lang vergessene Kastanie in der Hand. Gleich wieder war mir die Szene unter dem alten Baum gegenwärtig. Die Kastanie nun einfach wegzuwerfen, brachte ich nicht übers Herz. Stattdessen steckte ich sie in einer Ecke des heimischen Gartens in die Erde – und vergaß sie abermals. Eines Tages, es mochten vielleicht zwei, drei Jahre vergangen sein, entdeckte ich dort einen kleinen Kastanienschössling. Er war bereits einen halben Meter hoch gewachsen. Wieder stand mir die Erinnerung an meine Mutter und die Rheumavorsorge vor Augen. Inzwischen ist daraus ein stattlicher Baum mit einem Stammdurchmesser von gut dreißig Zentimetern geworden, der nun selber Früchte trägt. Und ganz nebenbei – Rheuma habe ich immer noch nicht.
Das Glück unzähliger Erlebnisse ist so sehr mit der alten Joppe verknüpft, und wenn ich in sie hineinschlupfe, wird’s mir nicht nur von außen warm. Kurz gesagt, sie ist der greifbare Inbegriff glücklicher Jagdtage.
Ich weiß, lieber Leser, auch Sie sind nicht der jedem Besitz abholde Asket. Sie haben genau wie ich einen glücklich machenden Gegenstand. Es muss ja nicht unbedingt eine japanische Kloschüssel oder gar ein Rechenschieber sein.
Eine unrühmliche Geschichte oder Was zu viel ist, geht zu weit
Es war in der Zeit, als Ungarn sich der Unfreiheit unter dem Kommunismus beugen musste. Ein lieber ungarischer Freund, Géza Graf Adorjányi, der 1945 als adeliger, enteigneter Großgrundbesitzer vor den, wie er sagte, „Blutsäugäärrn“ hatte fliehen müssen, machte mit seinen bunten Erzählungen meine Frau und mich auf das Land seiner Väter neugierig.
Während des blutigen Ungarn-Aufstands 1956 hatte ich über alle Maßen Anteil an den Geschicken des tapferen Volks genommen. Wohl weil meine eigene Familie vor den Schikanen der deutschen Kommunisten noch in letzter Minute hatte fliehen können. Daher ging mir das Märtyrerschicksal der Helden des Aufstands, wie des Imre Nagy und Pál Maléter, sehr nahe. Ich musste mich ein wenig überwinden, in den finsteren Machtbereich der Sowjets zurückzukehren.
Freund Géza empfahl uns schwärmerisch eine Rehbockjagd mit der Pferdekutsche in den Weiten der pannonischen Ebene und einen anschließenden Besuch Budapests, auch „Paris des Ostens“ genannt. Ein wenig wehmütig schwärmte er, dass es seinerzeit dort „herrliche Püffe“ gegeben habe. Das war aber nicht unser erklärtes Reiseziel. In für uns weitaus verlockenderen Farben beschrieb er die Pirsch mit der Kutsche, die starken Trophäen, die man erbeuten könne und vor allem müsste der krönende Abschluss ein Wochenende in Budapest sein. Wir sollten unbedingt auf der Margareteninsel wohnen, der „Márgit-Sziget“. Ein Abendessen im Matthiaskeller („Mátiás Pince“) sei obligatorisch. Dort würde sein alter Freund, der Zigeunerprimas Sándor Lákátos mit seiner Banda spielen. Als Gruß aus der Freiheit drückte er mir einen Fünfzigmarkschein in die Hand, den ich dort, wie’s Tradition sei, dem Primas in den Fiedelbogen klemmen sollte. „Mit vielen Grüßen von Géza Graf von Adorjányi.“
Voller Vorfreude buchten wir bei einem Jagdreisenanbieter eine Rehbockjagd sowie übers Reisebüro die Flüge und zum Wochenende ein Zimmer im Grand Hotel auf der Margareteninsel.
Ein wenig bedrückend war die Passkontrolle bei unserer Ankunft im Flughafen. Finster blickende Männer in schwarzen Ledermänteln beschäftigten sich verdächtig lange mit meinem Reisepass. Lag doch mein Geburtsort Königsberg im damaligen Sowjetreich. Wortlos verschwanden sie mit dem Dokument in ihrem Büro. Banges Warten. Aber bald durften wir einreisen; der Verdacht, ich sei ein Republik-Flüchtling aus dem „Arbeiter- und Bauernparadies“