Der Jäger und sein Ziel .... Gerd H. Meyden
Schullehrer“, doch der Höhenrauch wollte nicht weichen. Der Trick taugte wohl auch nichts. Also ab in die Heia.
Nach nur wenigen Stunden Schlaf wurden wir vom Zimmerservice geweckt. Die Türe öffnete sich und herein rollte ein Servierwagen, noch einer und noch einer. Jeder war übervoll bestückt: Rührei mit Schinken, Omelette mit Schinken, knusprig gebratener Speck, Croissants, Semmeln, aufgeschnittenes Brot, Butter, Honig, Marmeladen, Käse, Aufschnitt, Müsli, Orangensaft, Grapefruitsaft, Milch, Kakao, Kaffee, Tee – halt die ganze Palette eines üppigen Buffets.
Verwundert schauten sich die Service-Damen um. Sie sahen aber nur zwei Personen. Oder bewunderten sie uns ob des großen Appetits?
Kein Wunder, dass mein Hunger nicht im Entferntesten der Frühstücksmenge entsprach. Im Gegenteil, es war mir gar nicht so recht wohl. Mir war kreuzelend zumute. Ich wünschte, ich wäre nie geboren. Doch wem passiert das schon. Kaum einem unter Millionen. Zum Glück hatte sich meine Frau mit dem Trinken mehr zurückgehalten. Auch war sie erstaunlicherweise trinkfester als ich.
Es gelang mir dennoch unter Aufbietung aller Restenergie, wenn auch mit glasigem Blick, meine Frau zu einem abschließenden Einkaufsbummel in die Stadt zu begleiten. Wieder fuhr uns die Hotelkarosse zu unserem Ziel, und der Fahrer begleitete uns zum Herend-Porzellanladen. Teilnahmslos trabte ich hinter meiner Frau drein, hinter uns der Chauffeur. Sie kaufte etwas aus Porzellan, ich zog wie eine Marionette die Kreditkarte und der Fahrer trug die Pakete. Es war wie im Film.
Zwei Stunden in frischer Luft mit einem Spaziergang durch den Park der Margareteninsel brachten mein Inneres langsam wieder ins Lot. Meine Sorge war verflogen, wie ich es schaffen würde, in zwei Stunden den Heimflug anzutreten. Bis zum Flughafen ging alles gut, meine rotgeränderten Säuferaugen hatte ich mit einer Sonnenbrille bedeckt.
Dann kam die Passkontrolle. Wieder unheimliche Kerle in schwarzen Ledermänteln, die misstrauisch in meinem Pass blätterten. Dann ein prüfender Blick in mein Gesicht: „Brillä ab!“, herrschte mich einer von ihnen an. Sicher glich in dieser Stunde das Foto nicht so ganz dem Original.
Seitdem bin ich noch des Öfteren in Ungarn gewesen – nur eines habe ich nie wieder getrunken: Balatonfüredi rizling.
Der Bär vom Kitzbüheler Horn
In meinem ehemaligen, weitläufigen Revier in den Allgäuer Bergen hausen viele Murmele. Sie heißen hier so, anderwärts sind es Mankei, Munggen oder Marmotta. Aus letzterem Namen entstand das Wort „Murmeltier“. In jenem Revier findet man sie fast nur auf der östlich und südlich gelegenen Seite des Stillach-Rappenalptals. Sicher liegt das an den ansonsten zu steilen Hängen. Die für ihren Lebensraum notwendigen Bergwiesen sind geländebedingt rar. An einem besonderen, fast ebenen Platz inmitten der schroffen Bergwelt waren sie zahlreich daheim. Ausgerechnet vor einer bewirtschafteten Hütte, der „Enzianhütte“ unterhalb des Linkerskopfs. Sie waren deshalb die Menschen gewohnt, keinesfalls mehr scheu und pfiffen nur, wenn ein Hund auftauchte.
So erging es mir mit meinem jungen Schweißhund, der zum ersten Mal in seinem Leben mit diesen Gesellen zusammenkam. Nach einer Pirsch in der Höhe gönnten wir uns eine Rast vor der Hütte. Bald darauf schlupften die ersten neugierigen Murmele wieder aus ihren Bauen und beäugten, Mannderl machend, uns Neuankömmlinge. Die junge Hündin vermutete, es wären die ihr verhassten Katzen und sauste los, um denen eine gehörige Lektion zu erteilen. Aber – wie sonderbar, die vermeintlichen Gegner waren sofort vom Erdboden verschluckt. Und sie rochen ganz anders, gar nicht nach den Stubentigern. Ratlos stand Silva vor dem Bau. Das war offenbar nicht ihr Wild. Seit diesem ersten, prägenden Erlebnis stand für sie fest, diese Höhlenbewohner sind genauso uninteressant wie Nachbars schwarze Hühner.
Ein ähnlich enttäuschendes Erlebnis hatte sie im gleichen Jahr bei einem Urlaub an der Nordsee. An einem breiten, endlos langen und menschenleeren Strand robbte vom höher gelegenen Dünenkamm eiligst ein Seehund dem Meer zu. Er hatte wohl dort oben verschlafen. Die Silva startete los, um den sonderbaren Hasen oder Fuchs anzuschauen. Neben dem wunderlichen Tier herlaufend ging’s den Wellen zu. Als dann die Robbe spur- und geruchlos darin verschwand, war die junge Hündin fassungslos. Es fehlte nur, dass sie kopfschüttelnd zurückkam. Dies war wohl das einzige Mal, dass jemals ein Schweißhund mit einem Seehund um die Wette gerannt ist.
Doch zurück ins Allgäu. Seit Jahren haben die Murmele hier keine Jagdzeit mehr, und nur der Adler darf sie sich erjagen. Wie es jedoch dazu kam, dass unser Berufsjäger mich mit Murmelöl zum Schmieren der Gelenke bedienen konnte, ist wohl sein Geheimnis geblieben.
Meine Schwiegermutter, die aus einem Gasthof im Hintersteiner Tal stammte, wusste von einer anderen Verwendung des Murmelfetts. Im elterlichen Gasthof kehrten zur Winterzeit nach getaner Arbeit immer die Wegmacher ein. Was heutzutage der Straßenräumdienst mit Motorkraft bewältigt, erledigten die Älpler früher mühevoll mit der Schaufel. Das macht Hunger und Durst. Der Wirt spendierte dazu die entsprechende Stärkung. Zur Erhöhung der Bekömmlichkeit von Speis, Bier und Enzianschnaps setzte jeder der Mannsbilder hernach die eigene Flasche mit Murmeleschmalz an und nahm einen kräftigen Schluck. Für diesen Genuss muss man allerdings in hochalpiner Wolle gefärbt sein.
Am südlichen Ende unseres ehemaligen Jagdreviers, welches zugleich der südlichste Punkt Deutschlands ist – man blickt von dort hinunter nach Warth im Vorarlberger Lechtal – liegt eine kleine Hochebene, wo sommers das Vieh hinaufgetrieben wird. Mehrere Hütten bieten Unterkunft für Hirten und Sennen. Hier ist ebenfalls der ideale Lebensraum für die Murmele. Doch überall, wo der Mensch die Umwelt für sich allein beansprucht, kommt es zu Kollisionen. Die Hirten beschwerten sich, dass die Kühe mit ihren Haxen in die Bau-Einfahrten einbrechen und so zu Schaden kämen. Fazit: Die Murmele müssen weg!
Um die aufgebrachten Bauern zu beschwichtigen, wurde eine Eingabe an die Behörde gemacht und um Abschussgenehmigung für ein paar Murmele angesucht. Wie wir hörten, stand die Genehmigung kurz bevor. Als aber eine grün orientierte Beamtin davon Wind bekam, landete das Gesuch im Papierkorb.
Da griffen die Hirten zur Selbsthilfe. Irgendwie hatte sich eine Gruppe der kleinen Höhlenbewohner unter einer der Hütten in eine Kellergrube verirrt, wo sie nicht mehr herauskonnten. Die Bauern erschlugen sie alle. Dem Jäger war die Ernte und Erlegerfreude genommen, die „Schädlinge“ waren erledigt und der bäuerliche Zorn verraucht. Der Amtsschimmel wieherte siegesfreudig.
Die Verwandtschaft dieser Langschläfer ist über die nördlichen Regionen des Globus beinahe weltweit mit etwa vierzehn verschiedenen Unterarten verbreitet. Einige dieser Verwandten konnte ich auf der Steinbockjagd im mongolischen Altai kennenlernen.
Zusammen mit meinem Guide Darmaa pirschte ich in den Gipfelregionen des Hochaltai. Bei einer Rast sahen wir unterhalb unseres Ausgucks eine große Murmelefamilie beim eifrigen Äsen. Nur ein einzelner großer Bär hielt nahe beim Felsenbau aufrecht stehend Wache. Auffallend waren seine Größe und sein fast steingrauer Balg. Auch der Warnpfiff unterscheidet sich von dem unserer Alpenmurmeltiere. Wir hatten bereits auf der Herfahrt bei diversen Rasten den sich ganz anders anzuhörenden Pfiff vernommen. Er klingt eher wie ein Kreischen, halt „Murmelisch“ auf Mongolisch.
Mit dem Spektiv konnte ich dem Sippenchef lange zuschauen, bis er plötzlich mit gellendem Pfiff die ganze Bande in den Bau scheuchte. Was war da los? Da sah ich auch schon einen prächtigen, großen Fuchs – auch er hatte einen mehr steingrauen als roten Balg – heranschnüren. Der Wächter ließ ihn nicht aus den Augen und tauchte auch nicht ab, selbst als der Graue – der „Rote“ kann man in diesem Fall ja nicht sagen – nur wenige Meter an ihm vorbeischnürte. „Reineke mongolicus“ schenkte ihm nicht einmal einen Seitenblick, so als wollte er dokumentieren: „Du interessierst mich gar nicht, wohl bist du auch schon recht zäh!“ Man kennt das ja aus der Fabel, wo dem Fuchs die ohnehin unerreichbaren Trauben sowieso viel zu sauer sind.
Darmaa erzählte mir, dass er es bedauere, dass noch keine Jagdzeit auf Murmele sei. Diese Delikatesse darf erst in einigen Wochen bejagt werden. Dann aber wird Mitte Juli zum Naadam Fest auch „Chorlog“ bereitet.
Auf meine Frage, was das denn wohl Köstliches sei, gab mir der