Der Jäger und sein Ziel .... Gerd H. Meyden

Der Jäger und sein Ziel ... - Gerd H. Meyden


Скачать книгу
Daumen und Zeigefinger. Und zwar absolut durch, mit allen vier Nagezähnen. Es schweißte höllisch, das war mein Glück. Denn nachdem ich die Bissstelle ausgesaugt, das Blut ausgespuckt und die Hand eine Zeit lang hochgehalten hatte, kam auch die Blutung zum Stillstand. Von Tetanus und Wundinfektion hatte ich keine Ahnung. Kinder und Narren haben Glück, es geschah nichts dergleichen, nur die Narbe ist mir bis heute geblieben.

      Beute zu machen und sie nicht zu verwerten war absurd. So balgte ich das Tierlein ab und es wurde, wie schon die Amseln und Spatzen vorher, in unserem Garten am offenen Feuer gebraten. Sicher schmeckte es ein wenig bitter, denn wie unsere „Brathühner“ war auch das Nagetier schwarz verbrannt. Wir Buben kamen uns vor wie Indianer oder Urmenschen, die waren auch nicht so zimperlich. Und wir fanden, dass es toll schmeckte.

      Nach diesem Anfangserfolg wollte ich etwas für die „echte“ Küche beitragen. Das waren vorerst Ringeltauben. Doch die waren in unserem Garten selten, bis auf eine, die dann, stolz erlegt, den Geschmack der Familie geweckt und die Nachfrage angekurbelt hatte.

      Bei meinen Streifzügen ins nahe Dachauer Moos und in die Amper Auen (die Gegend heißt heute – noch nicht zu Unrecht – „Himmelreich“) war mir ein einsam im weiten Moos stehender kleiner Fichtenhain aufgefallen. Nur einzelne Birken und neben Torfstichen stehende windschiefe Hütten unterbrachen das eintönige Landschaftsbild. Dorthin strichen am Abend die Tauben auf ihre Schlafbäume. Bei uns hieß es darum das „Taubenhölzl“. Dort wollte ich mein Weidmannsheil probieren. Mit meinem abenteuerlichen, aus lauter Schrottteilen zusammengebastelten Fahrrad schob ich mich dort in den Schatten ein.

      Bei all meinen meist erfolglosen Beutezügen war unser Dackel „Strolchi“ dabei. Da die Entfernung bis zu den Amper Auen für die kleinen Dackelbeine zu groß war, um neben dem Radl herzulaufen, kam er in einen Rucksack. Dies war ein khakifarbener Beuterucksack eines fremden Heeres in Form eines Schulranzens. Der war ideal für den kleinen Insassen, da konnte er aus einer Seitenklappe den Kopf rausstrecken und schauen, wohin es ging.

      Zuvor möchte ich Ihnen erzählen, wie er zu mir kam. Mein Mathe-Nachhilfelehrer (leider mussten meine lieben Eltern wegen meiner Lernfaulheit immer neue „Pädagogen“ finanzieren) hatte einen Wurf garantiert rassereiner Rauhaardackel. Da blieb es nicht aus, dass ich die geplagten Eltern, die in dieser Zeit ganz andere Sorgen hatten, so lange quälte, bis sie 50 nigelnagelneue D-Mark für den Welpen locker machten. Bald stellte sich heraus, dass es ein „mopsgedackelter Windhund“ mit einem prachtvoll geringelten Posthornschwanz – oder richtiger „Jagdhornschwanz“ – werden würde. Alle Versuche, die Rute mit einer Schiene gerade zu kriegen, scheiterten kläglich. Das tat jedoch meiner Liebe keinen Abbruch, und so wurde der Kleine zum Jagdhund ausgebildet – was das genau war, davon hatte ich allerdings noch wenig Ahnung. Fährten- oder besser Schleppenarbeit und Apportieren meisterte er bald vortrefflich.

      So war er auch auf dieser Jagdfahrt mit dabei. Schon am Mittag fielen einige Tauben auf den Randbäumen ein. Aber selbst wenn ich mich auf Schussentfernung hätte anpirschen können, waren die vielen hinderlichen Äste vor dem Ziel ein Problem. Für einen Schrotschuss wären sie kein Hindernis gewesen, doch so eine Pistolenkugel, von der Schleuder abgeschnalzt, käme niemals durch das Gitterwerk.

      Ich setzte mich dennoch an. Klatschenden Flügelschlags fielen immer wieder einige der rosenbrüstigen, zartblau gefiederten Köstlichkeiten ein. Für mich jedoch immer unerreichbar. Ich hörte, wie sie sich mit dem typischen, leise wiehernden Laut des Taubenflügelschlags immer wieder im Geäst umstellten. Dann aber zahlte sich meine Geduld – des Jägers wichtigste Eigenschaft, an der es mir oft mangelt – aus. Ein balzendes Taubenpaar flatterte plötzlich bis auf eine kaum beastete Stelle knapp vor mir herab. Dumpf schlug die Kugel auf und getroffen taumelte mein Opfer zu Boden. Schnell sauste mein kleiner Helfer los, und bevor der benommene Vogel wieder zu sich kommen konnte, war er unser.

      Doch leider blieb dies ein Einzelfall. Sooft ich es probierte, diese Chance wiederholte sich nie mehr. Aber etwas anderes erweckte meine Neugier. Es waren nämlich mehrere Schüsse zu hören.

      Dem Schall nach musste in etwa fünfhundert Meter Entfernung an der Amper jemand geschossen haben. Ich radelte hin. Da stand ein offener Ami-Militärjeep. Wo war der Jäger? Ein deutscher Jäger konnte es in diesen Endvierzigerjahren niemals sein, denn es herrschte durch das Jagdverbot jagdliche Anarchie. Amerikaner und auch manchmal sogenannte „DPs“ (Displaced Persons, also entlassene Gefangene, die sich das holten, was, wie sie glaubten, ihnen zustand) machten die Wälder unsicher. Wer da in „meinen Jagdgründen“ damals wirklicher Jagdberechtigter war, interessierte nicht, denn der konnte und durfte ja nicht jagen, geschweige denn eine Waffe besitzen.

      Bald sah ich auch den Schützen. Er trug eine frisch erlegte Stockente in der Hand und kam auf mich zu, der ich neben seinem Jeep stand. Er sagte irgendetwas, was ich nur bruchstückweise verstand. Zwar hatte ich, gerade im ersten Gymnasiumsjahr, auch Englisch als Schulfach, doch was dieser Mann sprach, war ein dieser Kultursprache nur entfernt ähnliches Kauderwelsch – halt Amerikanisch.

      Mühevoll machte er mir klar, dass er einen Helfer bräuchte, er hätte noch zwei weitere Enten geschossen, die er aber nicht finden konnte. Da sah ich meine Chance. „Dir werde ich helfen“, dachte ich mir, „aber nichts ist umsonst.“

      Um es kurz zu machen: Eine Ente fand der brave Strolchi, die lieferte ich dem Soldaten ab, die zweite versteckte ich und verstaute sie, nachdem der Ami fort war, stolz in meinem Rucksack.

      Das Zusammentreffen mit dem Major – als solcher gab er sich zu erkennen – wiederholte sich noch ein paar Male. Jedes Mal gelang es mir zwar nicht, Beute für mich abzuzweigen, doch wir verabredeten uns immer auf das nächste Zusammentreffen.

      Eines Tages musste er lange auf mich warten, denn mein Radl war auf den letzten Kilometern regelrecht zusammengebrochen. Es waren halt irgendwelche Ersatzteile, die gar nicht in ihrer Norm zusammengehörten.

      So hatte sich beispielsweise mein Bruder einen sportlichen Vorbaulenker für sein Rad eingehandelt. Der übliche Gesundheitslenker galt als „flaschig“ und war nur was für Opas. Doch, o weh, der Stiel des Lenkers, der in den Rahmen eingesteckt werden sollte, war zu dünn. So hatte mein Bruder den mangelnden Umfang mit einer Blechmanschette ausgeglichen. Er fuhr wie immer rasant dahin, doch irgendwann rutschte die Manschette herunter, der Lenker steckte nun kontaktlos und leer im Rahmen, und mein Bruder sauste in voller Fahrt gegen einen Strommasten. Kopfüber flog er – zum Glück – am Mast vorbei, doch der Rahmen des Radls wurde durch den Aufprall so gestaucht, dass das Rad um etliche Zentimeter kürzer und nun unbrauchbar geworden war.

      Als ich an jenem Tag am Treffpunkt eintraf, wartete der Major bereits auf seinen Jagdhelfer. Ich machte ihm klar, dass ich sofort meinen Heimweg antreten müsse, denn mit dem Rest-Radl wäre es zu Fuß doch ein zu weiter Weg, um noch bis abends mitzujagen.

      „Don’t worry!“, meinte er. Er würde mich samt Fahrrad mit seinem Jeep nach Hause bringen. Und so geschah es auch. Als er mich daheim ablieferte, kam er noch mit ins Haus und brachte als Gastgeschenk einen frisch geschossenen Hasen mit.

      Mein Vater war zufällig daheim und kam aus dem Staunen über seinen Sprössling und dessen Umgang nicht mehr heraus. Allerdings war mein Staunen ebenfalls riesengroß, denn mein Erzeuger unterhielt sich mit dem Ami in fließendem Englisch.

      Als unser Gast wieder fort war, fragte ich ihn verwundert, warum ich von seiner Sprachkenntnis bisher nichts gewusst hatte und forderte ihn auf, nochmals Englisch zu reden. Da sagte er, ich werde es nie vergessen: „I never saw such an idle boy as you.“

      „Bitte, was heißt das?“

      „Ich habe noch nie einen so faulen Burschen wie dich gesehen.“

      Da hatte ich’s! Und zwar deutlich und zweisprachig.

      Der Amerikaner tauchte nach ein paar Tagen wieder auf, und zwar in tadelloser Uniform mit allen Ordensspangen und in Begleitung seiner erzengelhaft blonden Gattin.

      Verwundert ob dieser Förmlichkeit baten meine Eltern die zwei, Platz zu nehmen. Bald jedoch rückten sie mit dem Grund ihres Besuchs heraus: Sie wollten mich adoptieren und nach Amerika mitnehmen.

      Ich sehe noch, wie meine Eltern


Скачать книгу