Der Jäger und sein Ziel .... Gerd H. Meyden

Der Jäger und sein Ziel ... - Gerd H. Meyden


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Gastgebern im Jagdhaus. Bei Nachtigallengesang und Mondschein wäre es draußen sicher weit romantischer gewesen, doch das Gesirre der „Blutsäugäär“ wäre nicht zu ertragen gewesen.

      Am Morgen, bevor der Fahrer des Jagdbüros uns abholen kam, überreichte mir Istvàn das bereits sauber hergerichtete Gwichtl des alten Bocks. Eine seltene Trophäe als Lohn für meine „Bodenjagd“.

      Nach einem herzlichen Abschied von unseren lieben Jägersleuten trafen wir am späten Vormittag in unserem Hotel in Budapest ein. Ein kleiner Bummel durch die Stadt wurde gemacht, und bevor der Abend im Matthiaskeller heranrückte, wollten wir noch einigen von Géza empfohlenen Programmpunkten folgen.

      Zuerst zog es uns zum Hüvösvölgy. Dieser Ausflugsort liegt auf den sich jenseits der Donau auf etwa 160 Meter erhebenden Hügeln. Mit einer von Kindern und jugendlichen Pionieren bedienten Kleinbahn gelangten wir nach einer romantischen Fahrt durch Laubwald im frischen Maigrün zu einer Ausflugsgaststätte. Wie in einer Biedermeier-Szene luden gedeckte Tische unter Schatten spendenden Kastanien zum Verweilen bei Speis und Trank. Einer der Tische erschien uns noch frei, und so ließen wir uns nieder. Nach einiger Zeit stellte sich mit fragender Miene ein Mann vor unseren Tisch, wie ich glaubte, der Ober. Da wir Wein trinken wollten, brachte ich aus meinem „ungeheuren“ ungarischen Wortschatz – es sind nur ein Dutzend Worte – an den Mann: „Bor szivesen! Wein bitte!“ Der Mensch schaute uns nur verdutzt an und setzte sich wortlos an unseren Tisch. Nach mühevollem Radebrechen mit Händen und Füßen stellte sich heraus, dass er – ebenfalls ein Gast – nur kurz seinen Platz verlassen hatte, um am Buffet etwas zu bestellen. Zudem war er Russe. Nun kramte ich aus meiner „profunden Halbbildung“ noch meine russischen Rest-Vokabeln hervor und das Gelächter über meinen Irrtum war beiderseits. Den Wein musste ich selber beim Buffet abholen, es war, wie man noch sehen wird, das Getränk des Tages beziehungsweise des Abends: „Balatonfüredi rizling“.

      Es war ein heißer Tag, der Wein schmeckte gut, und so blieb es nicht bei der einen Flasche, wobei uns der Russe tapfer mithalf.

      Froh beschwingt ging es nach dem Mittagessen zu einer der berühmtesten Konditoreien Europas, dem Café Gerbeaud. Dort, so hatte uns Géza ans Herz gelegt, war es obligatorisch, die legendäre Dobostorte zu genießen. Es war wirklich ein Erlebnis.

      Abends brachte uns der Chauffeur mit der hoteleigenen, russischen Luxuslimousine noch auf die Fischerbastei hoch über dem Stadtteil Pest. Der Anblick des abendlich erleuchteten Budapest, der Parlamentsgebäude vor der majestätisch dahinströmenden Donau, die hier schon so viel gesehen hatte, war wirklich eine Reise wert. Wir mussten uns fast gewaltsam von diesem Anblick losreißen. Doch der Fahrer mahnte, unser Tisch im Matthiaskeller sei für 20 Uhr reserviert. Und heute Abend würde Sándor Lákátos spielen. Das durften wir keinesfalls versäumen.

      Eine Treppe führte uns hinab in das riesige Kellergewölbe. Alle Tische waren voll besetzt. Im Hintergrund hörten wir schon die Zigeuner fiedeln und die ersehnten Cymbalklänge. Sofort stand ein Ober an unserem Tisch – diesmal war’s wirklich ein Ober. Seine Frage „Aperitif?“ sollten wir auf Anraten von Freund Géza mit „nein danke“ beantworten, denn was dann käme, würde einem die Füße wegziehen. Also sagten wir brav „nein danke!“ Kurz darauf stellte uns die Bedienung aber trotzdem den Aperitif auf den Tisch. Ein Wasserglas randvoll mit Schnaps. Barack oder Kirsch, ich weiß es nicht mehr. Brav schoben wir ihn beiseite. Zum Essen bestellten wir als Getränk natürlich „Balatonfüredi rizling“. An den Nebentischen prunkten viele russische Uniformen. Gesprächsfetzen in deutscher und russischer Sprache übertönten die Zigeunerklänge. Wir waren umgeben von kommunistischen „Genossen“. Das ungute Ostblock-Gefühl, das mich schon bei der Einreise wie ein böser Alb bedrückt hatte, war wieder präsent. Ich kippte den Aperitif hinunter.

      Während des Essens kam die Kapelle, die an jedem Tisch ein wenig verweilte, immer näher, um die jeweiligen Musikwünsche zu erfüllen. Bald standen die Zsigans in ihren prächtigen Kostümen ein paar Tische weiter bei einer Gruppe von offenbar hohen kommunistischen Figuren. Ordengepanzerte, blechverklebte Brüste der Russen, servil lachende, sächselnde Zivilisten.

      Und dann zogen sie weiter, an unseren Tisch. Mit einer Verbeugung fragte der Primás „Was wollen hören, bittä?“ Ich stand auf, holte den Fünfzigmarkschein hervor, klemmte ihn Sándor Lákátos in den Fiedelbogen: „Einen schönen Gruß von Graf Géza von Adorjányi!“

      Ein Aufschrei! „Joi, Géza, meiner bester, alter Freund, joi, welcher Freudä!“ Er fiel mir um den Hals, busselte mich auf beide Backen.

      Die Banda blieb nun bei uns, spielte ein Stück nach dem anderen. Natürlich auch jeden Schmachtfetzen wie „Die Lerche“ und „Szomorú vasárnap“ – den „Traurigen Sonntag“. Sie blieben und blieben, spielten und spielten – nur für uns. Die Sachsen und die Russen an den Nebentischen winkten und riefen, doch die Zigeuner standen wie gemauert. Uns wurde es langsam unheimlich. Die Leute tuschelten, deuteten auf uns und sicher wurde vermutet, wir seien ganz geheime Promis. In einer Musik- und Atempause fragte ich den Ober, wo man denn sonst noch Zigeunermusik hören könne – möglichst in einem Lokal, wo nur Einheimische seien und die Zigeuner ohne Kostümierung? Er riet uns zum „Fröhlichen Matrosen“ („Víg mátros“), einem Lokal am Hafen.

      Beim Verlassen des Kellers begleiteten uns unsere neu gewonnenen Musikantenfreunde mit schwungvollen Czardasklängen noch bis zur steil nach oben führenden Treppe. Bei jedem Schritt in die Höhe, bei jedem Atemzug der frischen Nachtluft verlieh mir der Ungarwein die gerade besungenen Flügel einer Lerche. In ein bereits wartendes Taxi verfrachtet, brausten wir los zum „Fröhlichen Matrosen“.

      Auch hier ging es in einen Keller hinab. Auch hier waren alle Tische besetzt, doch irgendein Mensch mit Übersicht – war es meine Frau oder der Ober – hatte zwei Plätze reservieren lassen. Die Zigeuner, diesmal ganz normal gekleidet, spielten, und ich war selig. Hier war kein Russe zu sehen.

      Meine Bestellung konnte ich nun schon recht flott loswerden. „Balatonfüredi rizling!“ Ich weiß nicht mehr, ob mich nach der ersten oder zweiten Flasche das Bedürfnis überkam, den lieben Ungarn etwas Schönes zuzurufen.

      Die Frau eines guten Jagdfreundes, die aus Siebenbürgen stammte, hatte mir viel von der Ungarischen Revolution erzählt. Der damalige historische Schlachtruf „Éljen a Magyar szabadság! – Es lebe die ungarische Freiheit!“ erschien mir gerade recht, um den Menschen hier eine Freude zu bereiten. Also stand ich auf, hielt mich schon ein wenig schwankend am Tisch fest, reckte die rechte Faust in die Höhe und rief in die Menge: „Éljen a Magyar szabadság!“

      Erschrockenes Schweigen! Eisige Stille! Keine Hochrufe! Sofort sprangen vom Nebentisch zwei junge Männer auf, packten mich unter den Armen. „Schnell, Herr! Zahlen Sie! Sie müssen sofort hier weg! Schnell, schnell!“

      Meine Frau schaltete fixer als ich, warf ein paar Scheine auf den Tisch, und schon schleppten mich die Männer die Treppe hoch, warfen mich förmlich in ein bereits wartendes Taxi und wir brausten los.

      Was war da geschehen? Ich besäuselter Narr hatte mit diesem Schlachtruf erneut zur Revolution aufgerufen. Die beiden jungen Männer waren Angestellte unseres Hotels, hatten uns gleich erkannt und gerettet. Ja, wahrhaftig gerettet. Denn, so sagten sie, wenn jemand die Geheimpolizei informiert hätte, dann wäre ich oder wir beide ganz sicher verhaftet und eingesperrt worden. Und wer weiß, ob da nicht irgendwelche Spitzel im Lokal waren.

      Unsere Retter meinten, dass wir nach diesem Schrecken zur Abkühlung noch einen Ausflug auf die Burg machen sollten. Die Sonne würde bald aufgehen und den jungen Tag von der Höhe aus zu begrüßen – das wäre doch ein schöner Abschluss.

      Droben auf der Burg war zum Glück das Lokal längst geschlossen, sodass wir den Sonnenaufgang nun wirklich im Freien und in Freiheit erleben konnten.

      Endlich waren wir dann wieder im Hotel und begaben uns auf unser Zimmer. Dort lag eine Liste mit den verschiedenen Vorschlägen fürs Frühstück. Das Lesen wollte mir nicht mehr so recht gelingen, ich sah alles doppelt und verschwommen. Also kreuzte ich einfachheitshalber sämtliche Gerichte an und legte den Zettel vors Zimmer. Da wir beide merkten, dass wir viel zu viel Alkohol im Blut hatten (bei mir war eher viel zu wenig Blut


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