Der Jäger und sein Ziel .... Gerd H. Meyden

Der Jäger und sein Ziel ... - Gerd H. Meyden


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der Ankunftshalle wurden wir von einem Fahrer des Jagdvermittlers erwartet. Ich holte die Reisebestätigung hervor und versuchte, ihm den Namen des Zielorts vorzulesen, es klang wie „Hodmeszöwasarhelikutasipusztaszarvasicsikoshalott“. Der Mann lachte nur und sagte: „Jo, ich weiß, nach Ligeti-Puszta!“

      Nach zweistündiger Reise setzte er uns am Jagdhaus mit dem langen und dem kurzen Namen ab. Der Empfang durch das Jagd- und Hauspersonal war herzlich und so voll warmer Freundlichkeit, dass wir uns bei diesen Menschen und in dem gemütlichen Haus schnell sehr wohl fühlten. Ein mit Schilfrohr gedecktes Dach breitete sich über das einstöckige, weiß getünchte Gebäude. Es erinnerte mich an Bilder, die ich in Jagdbüchern von Ungarn- und Karpatenjägern gesehen hatte. Ein kleiner Hain von Akazien und Pappeln umgab das Anwesen, das mitten in den unendlich weiten, baumlosen Feldern lag.

      Schon früh an diesem Maienabend begannen überall die Nachtigallen zu singen. Leider konnten wir dem Gesang nicht die ganze Nacht lauschen, denn wir sollten die Zimmerfenster geschlossen halten. Es gäbe hier, wie man sagte, viele „Gälsöön“, also Mücken. Da hatten wir wieder die „Blutsäugäär“. Doch die waren im Gegensatz zu den eingangs erwähnten wesentlich harmloser.

      Unsere Vorfreude auf eine Kutschfahrt durch die Ebene wurde bitter enttäuscht. Keine „schnaubenden Rosse“ erwarteten uns, sondern ein rostiger Russen-Kleintransporter stand ratternd und dieselqualmend vor dem Haus. Der Berufsjäger István erklärte uns, dass die Rehe in den weiten Getreidefeldern stünden. Zu Fuß käme man bei der fehlenden Deckung gar nicht an sie heran. Auch könnte man vom Boden aus wegen des flachen Winkels wenn überhaupt, dann vielleicht gerade nur das Haupt eines Bockes sehen. An einen Schuss wäre da nicht zu denken. Nur von erhöhter Position aus wäre das möglich. Im Klartext hieß das, entweder vom Kutschbock aus – was wohl ein Märchen aus lang vergangenen Tagen war – oder aus dem Auto. Damit man während der Fahrt schießen konnte, hatte man den hinteren Teil des Daches wie eine Sardinendose aufgeschnitten. Von so hoher Warte aus sind Sicht und Schussposition optimal. Auf andere Weise könnte man in diesem Gelände wohl kaum einen Bock erlegen. Doch Autojagd ist überhaupt nicht mein Ding und war auch nie meine Art zu jagen. Vom Kutschbock aus, wo die Silhouette des Jägers erkennbar ist und dadurch dem Wild noch eine kleine Chance zur Flucht bleibt, das war mir akzeptabel erschienen. Aber aus dem als harmlos erachteten Fahrzeug heraus? In dem der Mensch, der Feind, nicht erkennbar ist? Wie ein Panzerfahrer aus der Luke das Feuer eröffnen? Worauf hatte ich mich da eingelassen? Jetzt aber war es zu spät, diese Art von Jagd abzubrechen. Wir rollten los.

      Das Getreide stand in jenem Jahr – es ging auf Ende Mai zu und es hatte im Frühjahr viel geregnet – schon ziemlich hoch, sodass es schwer war, überhaupt Wild in Anblick zu bekommen. Nach vielen Kilometern Fahrt hatten wir immer noch nichts gesehen. Da hupte der Fahrer laut und weithin vernehmlich. Sogleich schnellten aus dem Korn ein paar Häupter hoch. Aha, also so geht das hier! Bis zum Träger waren die Rehe aber im Grün verdeckt. Ich konnte mich nur an den teilweise sehr starken Gehörnen erfreuen und staunte, was hier alles so wächst. Ein Schuss, meist auf über 200 bis 300 Meter auf ein so kleines Ziel wie den Träger, gerade einmal handflächengroß, noch dazu mit einem fremden Gewehr – kein Gedanke. So ging unsere Pirschfahrt ergebnislos über zwei Tage. Frühmorgens los, Mittagspause, dann am Nachmittag dasselbe Spiel. Es war ohne jede Romantik, ohne jede Stimmung, ohne Reiz. István war todunglücklich, dass es bei all seinen Anstrengungen nicht klappen wollte.

      Trotz allem Zureden blieb ich bei meinem Vorsatz, nicht aus dem Auto heraus zu schießen. Wie ein Schädlingsbekämpfer so kunstlos einen Bock zu erlegen, das war und ist für mich nicht Jagd, sondern nur Abschießen und ähnelt verteufelt einem Killerkommando. So schlug ich dem braven Istvàn vor, dass ich es vom Boden aus, auf einer Gasse zwischen den Getreidefeldern versuchen wollte. Da, wo wir auf der „Gummipirsch“ vorbeigekommen waren, gab es mehrere Stellen, wo vier Felder am Kreuzungspunkt aneinanderstießen. Dort hätte ich, so sagte ich dem Jäger, Ausblick auf vier etwa drei Meter breite Schneisen. Wie auch immer der Wind gehen würde, einige von ihnen würden frei von meiner Witterung bleiben. Das Korn war ja schon recht hoch, sodass ich, am Boden hockend, mit einigen Zweigen getarnt, relativ unentdeckt bleiben könnte.

      Istvàn kratzte sich am Kopf: „Aber die Gälsöön!“

      Das, sagte ich, wäre mein Risiko. Und außerdem hätte ich ein ganz vorzügliches Mückenmittel. Nachdem er merkte, dass mit mir sonst nichts zu machen war, stimmte er zu.

      Noch war’s dunkle Nacht, als er mich an einer Kreuzung im Getreidemeer absetzte. Getarnt durch ein paar belaubte Akazienzweige hockte ich mich mit einem Zielstock ein wenig in den Rand eines Weizenfeldes. Sofort war ich in eine Wolke blutgieriger Gelsen gehüllt. Doch gut und reichlich eingesprüht wie ich war, mussten sie mich ohnmächtig umschwirren.

      Der nachtgraue Osthimmel begann allmählich rosig zu erglühen, die Farben des Tages erwachten. Die ersten Lerchen begrüßten jubilierend den jungen Morgen. Ein Fasanenhahn nach dem anderen marschierte mit „gook-gock“ und Flattersprüngen auf dem grasbewachsenen Weg. Hasen hoppelten um mich herum, und die Wachteln schlugen im Korn. Von fern das Locken eines Rebhahns. Sonst kein anderer Laut außer dem stechendfeinen Sirren der Gelsen um mein edles Haupt. Das war die Grundmelodie der nächsten Stunden. Auf der Autopirsch gehen die Stimmen der Natur im Motorengeratter verloren.

      Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich eine Geiß auf der rechten Schneise. Sie naschte links und rechts des Weges an den verschiedenen Kräutlein und zog zum Glück langsam von mir weg.

      Meine Rechnung schien aufzugehen. Die Rehe konnten doch in der Getreidemonokultur niemals genug Äsung finden. Sie mussten ja irgendwann auf einen der Wege ziehen. Zumal hier begrünte Raine mit vielerlei Äsung lockten.

      Unvermittelt stand auf der gleichen Schneise noch ein Reh. Ein Bock. Da brauchte ich kein Glas. Bereits vollkommen verfärbt, prahlte er mit enorm hohem Sechsergehörn auf seinem jugendlichen Haupt. Na also. Wo ein Bock kommt, da kommen auch andere. Jedoch der Morgen verging ohne weiteren Anblick.

      Nach diesem Anfangserfolg wollte ich mich hier am Abend abermals ansetzen. Istvàn jedoch riet zu einem anderen Kreuzungspunkt. Er meinte, dass meine Witterung noch zu sehr am Boden stünde. Da er seine Böcke besser kennt, sagte ich gern zu und saß am Abend an einem anderen Viererstern.

      Wieder die bunten Gockel, wieder Hasen über Hasen. Hier musste ja bei den Herbstjagden ganz schön was los sein. Die Sonne war in meinem Rücken längst untergegangen, die Mücken wurden nun bei einfallender Dunkelheit immer aggressiver. Da stand, diesmal recht weit entfernt, auf dem linken Weg ein Bock. Im Wildbret ein starker Bock. Der hatte eine ganz andere Figur als der Jüngling vom Morgen. Auf jeden Fall war der alt. Es war bereits recht finster, sodass ich nicht mehr recht erkennen konnte, was er aufhatte. Verzweifelt suchte ich mit dem trüben Zielfernrohr das Abkommen. Verdammtes Gependel mit dem Zielstock. Endlich, als ich glaubte, wieder ins Ziel hineingewackelt zu sein, krachte der Schuss. Vom Mündungsblitz überblendet, sah ich den Bock gerade noch nach rechts wegtauchen. Vorerst half nur eins, sitzenbleiben und warten. Meine Beine waren eingeschlafen. Ich bin halt kein Yogi. Also aufstehen und die Blutzirkulation wieder in Gang bringen. Nach zehn Minuten hörte ich Motorengebrumm, und bald sah ich den Lichtschein unserer Knatterkiste.

      Istvàn hatte den Schuss gehört. Neugierig kam er heran: „Räbock halott - tott?“

      Zu Fuß gingen wir zum Anschuss. Der Hund des Jägers fiel sofort die Wundfährte an. Nach ein paar Metern hörten wir ihn knurrend den Bock beuteln. Der war nicht mehr weit gekommen. Im Schein der Taschenlampe konnte ich mir nun endlich das Gwichtl anschauen. Noch selten habe ich, ohne ganz genau zu wissen, was hernach daliegen wird, geschossen. Aber hier, nur nach der Figur angesprochen, bestätigte sich, dass ich mich nicht verschätzt hatte. Mein tastender Finger glitt im Unterkiefer über eine total glatt heruntergekaute Zahnreihe.

      Ein uralter Spießer war’s, mit nur knapp luserhohen, aber starken, enorm gut geperlten Stangen. Wie Stachelgewächse ragten sie über sein Greisenhäuptl.

      Der Jäger schaute mich fragend an. Er dachte wohl, ich sei enttäuscht, weil es kein Medaillenbock war.

      „Wunderbar, Istvàn, das ist genau das, was mir Freude macht. Solch ein Bock ist seltener als


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