Macht und Wort. Angela Steinmüller

Macht und Wort - Angela Steinmüller


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Erinnerung«, drang Dimitris Wispern wie aus weiter Ferne zu mir.

      »Danke«, sagte ich.

      Stille antwortete mir.

       4.

      Ich ging zurück in mein wohnliches Büro, um über das alles nachzudenken, nach der Pappe vor dem Fenster zu sehen und mir ein Sandwich zu machen.

      Mir war gerade mal ein Bissen vergönnt, als die Wohnungstür aufflog und zwei Kerle in schwarzen Anzügen eintraten.

      Sie mussten sich nicht extra als Agenten des Ministeriums für Synchronisation und Ordnung ausweisen.

      Es gab auch kein Vorspiel. Einer der beiden beugte sich über meinen Schreibtisch und schlug mir das Sandwich aus der Hand, als würde er mir eine beiläufige Ohrfeige geben.

      »Sie sollten keine weiteren Fragen über Bücher stellen«, sagte er außerdem.

      »Sonst wird es sehr unangenehm«, fügte der andere hinzu.

      »Noch unangenehmer als zwei Clowns in meinem Büro?«, fragte ich unbeeindruckt, obwohl mein Herz raste.

      »Netter Pappkarton«, sagte derjenige, der mein Sandwich angegriffen hatte, mein geflicktes Fenster betrachtend. »Aber ist das sicher? Da könnte man leicht rausfallen.«

      Damit zogen sie wieder Leine.

      Ich hob mein Sandwich vom Boden auf, pustete es ab, aß weiter und dachte noch etwas angestrengter nach.

       5.

      Nun wusste ich, was die Nummer bedeutete, jedoch nicht, worum es sich bei diesem Hort der letzten Erinnerung handelte. Einen geheimen Treffpunkt? Einen Schwarzmarkt? Eine Underground-Kultstätte? Eine Serverfarm? Ein Restaurant? Einen Club? Einen Bunker? Ein Museum, das nicht vom Ministerium mit Wissen und Wahrheit bestückt wurde?

      Ich hätte gern Leo gefragt, doch sein Stammplatz am Tresen war verwaist. »Leo gesehen?«, fragte ich Daniel, der gerade Schicht hinter der Bar hatte.

      »Nur kurz«, antwortete er, ohne damit aufzuhören, den Kühlschrank mit Bierflaschen und Energy-Drink-Dosen zu bestücken. »Zwei Kerle in Anzügen haben sich mit ihm unterhalten. Danach hat er sich flugs vom Acker gemacht.«

      Das war ungünstig.

      Möglicherweise hatte ich übertrieben, als ich die vielen Experten erwähnte, die mir zur Verfügung standen.

      Mit Leo aus dem Spiel, blieb im Grunde nur noch Giselle.

      Auf dem Weg zu Gis Laden hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden, aber wer konnte das bei all den surrenden Drohnen über unseren Köpfen schon sicher sagen?

      Gi betrieb einen kleinen Gebrauchtwarenhandel und Reparaturservice für Alltags-Tech aller Marken. Sie hatte Connections zum Schwarzmarkt und bekam ihre Teile zu entsprechend guten Konditionen.

      »Sagt dir der Hort der letzten Erinnerung was?«, fragte ich nach ein bisschen Smalltalk. Der enge Verkaufsraum, hinter dem nur noch eine längliche Werkstatt lag, war bis auf uns leer. Er quoll über vor Geräten und Kisten mit Komponenten, Ersatzteilen, Kabeln und Akkus.

      Gi schüttelte den Kopf, was ihre Locken tanzen ließ. »Nie gehört. Mir reichen aber auch die Erinnerungen, die ich an dich hab und nicht loswerde.«

      Hatte ich erwähnt, dass Gi und ich mal zusammen waren?

      Spoiler-Alarm: Es gab kein Happy End, obwohl wir inzwischen wieder halbwegs zivilisiert miteinander redeten.

      »Ich arbeite an einem Fall, Gi.«

      »Führt der dich wieder ins Schlafzimmer einer Stripperin?«

      »Sie war Go-go-Tänzerin.«

      »Oh, entschuldige bitte vielmals!«

      Wie gesagt: halbwegs zivilisiert.

      Wir sahen einander an.

      »Sorry«, sagten wir beinahe gleichzeitig; Gi wegen ihrer Aggressivität, ich zum x-ten Mal, weil ich ein Idiot war.

      »Ich hab eine Nummer zu einem Buch, das ich finden soll«, führte ich aus. »Jemand sagte mir, ich soll es an einem Ort versuchen, den man den Hort der letzten Erinnerung nennt.«

      »Nummer zu einem was

      »Einem Buch. Vorkriegskrempel.«

      »Also verboten.« Sie überlegte kurz. »Einer meiner Geschäftspartner« – ihre Betonung und ihre Körpersprache gaben mir genügend Hinweise auf die Natur ihrer Geschäftsbeziehung, und etwas in mir knurrte ungehört – »hat mal einen Ort voller Erinnerungen erwähnt, der einen reich machen könnte, an dem man sich aber die Finger verbrennen würde.« Sie nannte mir die Adresse ihres Bekannten und wirkte nachdenklich. »In was bist du da diesmal reingeraten?«

      »Schwer zu sagen. Ich hatte jedenfalls bereits Besuch von Ministerium.«

      Gi verzog das Gesicht. »Sei vorsichtig, ja?«

      Ich tippte mir an die Hutkrempe. »Du kennst mich doch.«

      »Eben deswegen.«

       6.

      Sie stürzten sich in einer Gasse auf mich.

      Ich musste ordentlich einstecken. Selbst nachdem ich zu Boden gegangen war, hagelte es noch Prügel und Tritte.

      »Letzte Warnung«, sagte einer der Kerle, der wie jemand klang, der Leuten grundlos ihr Sandwich aus den Händen schlug oder ihnen drohte, sie aus einem Fenster zu werfen.

      Sie ließen mich wie Abfall in der Gosse liegen, wo ich den rissigen Teer vollblutete und das Bewusstsein verlor.

       7.

      Ich erwachte und stellte fest, dass man mir meine Würde und meinen Geldbeutel geklaut hatte – gut, dass ein Großteil meines Honorars zu Hause neben dem Brief meiner anonymen Auftraggeber unter der losen Bodendiele deponiert war.

      Mit einiger Mühe kam ich auf die Beine, setzte meinen zerbeulten Hut auf und schleppte mich durch die Dunkelheit zurück in meine Bude, wo ich mich wimmernd aufs Sofa hievte und rasch wieder wegdämmerte.

      Mitten in der Nacht schreckte ich von einem Knall hoch, doch es war nur der Wind, der die Pappe von meinem Fenster abgerissen hatte, die daraufhin nach innen gefallen war.

      Ich setzte mich auf, stöhnte und ermahnte meine Selbstheilungskräfte, ein bisschen Gas zu geben. Zur Sicherheit unterstützte ich sie mit ein paar Pflastern, etwas Salbe, einer Handvoll Schmerztabletten, einem Bier und einer Zigarette.

      Jeder Zug und jeder Schluck taten weh, als ich dalag, qualmte, süffelte, grübelte und immer müder wurde.

      Ich wusste, dass es Wahnsinn war, weiterzumachen.

      Doch Stolz und Trotz waren seit jeher mein Treibstoff.

      Mehr denn je wollte ich diesen ominösen Hort der letzten Erinnerung finden und rauskriegen, wieso das Ministerium plötzlich solch ein Interesse an einem mickrigen Privatdetektiv hatte.

       8.

      Am nächsten Tag ging ich zu Gis Lieferanten, der nicht allzu begeistert darüber war, dass ich in seiner Werkstatt – seiner Ausschlachterei von gestohlenen Küchengeräten – aufkreuzte.

      »Hort der letzten Erinnerung? Das sind nur Gerüchte«, wiegelte er ab. »Und wie ich Gi schon sagte: Da verbrennt man sich eh die Finger dran, wenn nicht. Ich würd’s lassen.«

      »Alles klar. Ich weiß eh Bescheid. Wollte nur noch eine zweite Meinung einholen, ob es


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