Macht und Wort. Angela Steinmüller

Macht und Wort - Angela Steinmüller


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zu – und verpasste ihm einen ansatzlosen Kinnhaken, der ihn von den Beinen holte.

      Er sah wie ein getretener Hund zu mir auf. »Wofür war das denn, Mann? Ich hab dir alles gesagt, was ich weiß!«

      Ich sah ihn an. »Gi? Ich würd’s lassen …«

      Und Gi mich umbringen, wenn sie hiervon erfuhr.

       9.

      Gis Bekannter sollte mein Köder sein.

      Das Ministerium überwachte mich garantiert noch. Wenn sie beobachteten, dass ich mit dem Kerl sprach, würden sie ihn ausquetschen und sehen, was er wusste – und ihnen würde er alles sagen. Auch, dass ich ihm erzählt hatte, längst im Bilde und unterwegs zu sein. Sie würden daraufhin hoffentlich nachsehen gehen, ob im Hort der letzten Erinnerung alles in Ordnung war.

      Ich musste nur in einem Versteck mit Blick auf die Werkstatt Posten beziehen, mich still verhalten und geduldig sein.

      Lange warten musste ich nicht.

      Als sie mit dem Knilch fertig waren, folgte ich ihnen in einem Taxi, dessen Fahrer auf meine Anweisung hin gebührenden Abstand hielt.

      So führten mich die Typen vom Ministerium zu dem Ort, von dem sie mich unbedingt fernhalten wollten.

       10.

      Der Hort der letzten Erinnerung war eine schnöde, dreckige Lagerhalle unter vielen, direkt am übel riechenden Fluss, so nichtssagend und uninteressant wie es nur ging.

      Sowie die beiden Scheißkerle nach ihrem berufsbedingt-paranoiden Kontrollgang wieder herauskamen und davonfuhren, wartete ich noch etwas, ehe ich mir zwischen zwei vorbeikommenden Überwachungsdrohnen an einer Hintertür Zugang zu der Halle verschaffte, deren Grundfläche der Größe eines Sportplatzes entsprach. Wände und Boden bestanden aus Metall. Zu meiner Überraschung war die Lagerhalle über und über mit unterschiedlich dicken, bunten Vierecken aus Papier und Karton gefüllt, die sich auf wüsten Stapeln, abenteuerlichen Pyramiden und wilden Haufen türmten. Sie sahen ziemlich lädiert aus.

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      Das mussten dann wohl diese Bücher sein.

      Und sie alle hatten Nummern wie die, nach der ich suchte.

      »Interessant«, sagte ich zu niemand anderem als mir selbst – und machte mich in Anbetracht der Gelegenheit auf die Suche nach dem Buch, das zu meiner Nummer passte, wofür ich massig Buchaußen- und Innenseiten sichten musste. Bei meinem archäologischen Vorwärtsdrängen brachte ich ein paar wackelige Türme des Bücherschrottplatzes zum Einstürzen, sorgte für noch mehr Knicke, Risse und Knautschen.

      Ich wühlte mich mehrere Stunden durch die Bücherhaufen. Hielt mich an die Stapel und Berge, die ich ohne größere Schwierigkeiten freiräumen und untersuchen konnte.

      Auch wenn ich nicht genau fand, was ich suchte, fand ich doch genug. Irgendwann gab ich die Suche nach meiner Nummer auf, klaubte einfach einen der zerfledderten Bände heraus, schlug ihn auf und begann, neugierig darin zu blättern und schließlich richtig zu lesen.

      Es standen ein paar spannende Sachen in diesem Buch.

      Mehr Gedanken und Ideen, als eine E-Mail, ein Posting oder ein altmodisches Flugblatt je fassen könnten, bevor das Ministerium sie fand und schnell aus der Welt schaffte.

      Ich hob den Kopf, musterte diese Grabkammer. Wenn in den anderen Büchern Ähnliches wartete, wunderte es mich kein Stück, dass das Ministerium nicht scharf darauf war, dass jemand Fragen stellte oder diesen Ort durchstöberte.

      Wieso entsorgten sie die verfänglichen Bücher aber nicht einfach? Arroganz und Hybris, nehme ich an. Wie immer.

      Ich versuchte mir vorzustellen, wie viele dieser Hallen es in der Gegend, der Stadt, in anderen Städten gab.

      Wie viele Bücher noch existierten.

      Ein durchdringender Signalton wie ein Nebelhorn riss mich aus meinen Gedanken. »Verbrennungsvorgang gestartet«, sagte eine geschlechtsneutrale Computerstimme obendrein feierlich.

      Ein Knistern in einem unsichtbaren Lautsprecher, und eine nicht mechanische und mir sogar vertraute, aber deshalb keineswegs menschlichere Stimme sagte: »Raten Sie, wer noch mal zurückgekommen ist, um dem Fuchs im Hühnerstall Hallo zu sagen. Die Hunde. Sie hätten auf uns hören sollen, Sie Schlaumeier.«

      Die Sprinkleranlage an der Decke ging an und verteilte einen beißendchemischen Regenschauer über mir und den Bücher-Gebirgszügen. Der Schauer versiegte, und sogleich schossen aus mehreren Düsen in den Metallwänden fauchende Feuerstöße.

      Die Bücher ringsum brannten sofort lichterloh.

      Ich ließ meine Lektüre fallen, riss mir meinen mit Brandbeschleuniger durchnässten Mantel vom Körper und schleuderte den Hut hinterher. Dann rannte ich los, aber es war zu spät: Feuer, Rauch, Hitze und Papierfetzen waren überall – ein Albtraum aus brennenden Büchern und lodernden Flammen, und ich mittendrin. Ich hustete mir die Seele aus dem Leib, was meine angeknacksten Rippen aufschreien ließ, und ging auf alle viere, um es dem Rauch wenigstens ein klein wenig zu erschweren, mich umzubringen.

      Meine Hände strichen panisch über den Metallboden, den ich vor Qualm nicht mehr sah. Etwas Scharfkantiges schnitt mir in die Finger, und ich zuckte würgend zurück.

      Scherben bringen Glück, schoss es mir plötzlich durch den Kopf, und ich zwang meine Hände, weiterzutasten, den Schmerz geradewegs zu suchen. Krabbelnd und mit tränenden Augen folgte ich der beißenden Spur aus Scherben.

      So erreichte ich ein Abflussgitter, das ich anheben und durch das ich mich in die herrlich stinkende und nasse Umarmung der Kanalisation werfen konnte.

       11.

      Meine Kleidung war versengt, ich hatte Verbrennungen und Brandblasen am Körper, im Gesicht und an den zerschnittenen Händen, ich war erschöpft, mein Lieblingshut war fort, ich war am Ende meiner Kräfte - aber ich lebte.

      Die Lust aufs Rauchen war mir allerdings vergangen.

      Ich wankte aus einem tunnelartigen Abflussrohr dem schwindenden Abendlicht entgegen. Den Ruinen aus Beton und Rost, den abgemagerten Hunden, der Abwesenheit von Drohnen und den in den Schatten umherhuschenden Gestalten nach zu urteilen, befand ich mich jenseits des Stadtrands.

      Und jetzt?

      Das Ministerium hielt mich für tot. Wenn ich mich von meiner Wohnung, der Kneipe, Gi und den Kameras in Drohnen und Tablets fernhielt, mochte das eine Weile so bleiben, was mir gewisse Freiheiten brachte.

      Die Bücher waren verbrannt. Ich hatte jedoch genug gelesen – und mir vieles gemerkt.

      Das Fegefeuer des Ministeriums war für mich zu einer Ideenschmiede der Wahrheit geworden; einer Feuertaufe, aus der ich verändert hervorgegangen, in der etwas in meinem Geist entfacht worden war. Jetzt wollte ich dafür sorgen, dass es anderen ebenso erging und gewisse Dinge niemals mehr in Vergessenheit gerieten.

      Aber ein Schritt nach dem anderen.

      Zuerst musste ich meine Auftraggeber finden, die den Stein ins Rollen gebracht hatten, indem sie ihn durch mein Fenster warfen.

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      REDEN IST MACHT

      von Nicole Rensmann

      »Reden ist Macht«, prangte in großen Buchstaben über dem Bogentor des Rathauses, protzige Lettern aus purem Gold, die


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