MUSIK-KONZEPTE Sonderband - Josquin des Prez. Группа авторов

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um die Zuschreibungen kommt dem Beitrag von Josquin dabei eine besondere Rolle zu. Im Mittelpunkt steht ein Ausschnitt aus der Klage der verlassenen Dido (Dulces exuviae) aus dem vierten Buch der Metamorphosen des Ovid (IV, 651–654). Es ist ein Schlüsselmoment der Episode, denn es geht um Didos Entschluss zum Selbstmord.25 Josquins Vertonung ist außergewöhnlich, es handelt sich um eine cantus-firmus-lose vierstimmige Komposition, die formal, satztechnisch und tonal experimentell wirkt – allerdings ohne den normativen Rahmen des vierstimmigen polyphonen Satzes infrage zu stellen, im Gegenteil. Der Satz unterscheidet sich nicht von dem einer Motette.26

      Das musikalische Verhältnis zur antiken Vorlage, das hier gesucht wird, ist also gerade nicht das einer strukturellen Anpassung – wie es die Tritonius-Oden auszeichnet. Im Gegenteil, auf den ersten Blick wirkt es sogar so, dass im musikalischen Satz jeglicher Bezug zur Antike vorsätzlich gemieden wird. Auch in diesem Fall steht folglich, wie bei den groß besetzten Liedern, kein nachahmendes, sondern ein distantes Verhältnis zum Text im Vordergrund, offenbar allerdings in einem abweichenden Begründungszusammenhang. Es geht, anders als in den Liedern, nicht um musikalisch-poetische Evidenz durch die Erzeugung eines ästhetischen Eigenwertes, sondern um die musikalische ›Beschreibung‹ eines antiken Textes. In einem solchen Verfahren wird der historische Abstand also gerade nicht aufgehoben, sondern willentlich betont. Die Klage der Dido wird mit jenen kompositorischen Mitteln dargestellt, welche die Zeit um 1500 bereithielt, sie wird ›beschrieben‹.

      VI

      Gerade an diesem Punkt, also der experimentellen Ausreizung, ist aber auch das Gegenteil zu beobachten, der demonstrative Wille, den Gattungsgedanken normativ zu definieren. Wenn Cortesi 1510 Josquin als Messenkomponisten rühmte, gab es dafür bereits eine bemerkenswerte Grundlage. Denn der venezianische Drucker Ottaviano Petrucci hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Bücher mit Messen nur von Josquin herausgebracht, die 1502 und 1505 erschienen waren, gezählt wurden – und offenbar kommerziell so erfolgreich blieben, dass es zu Nachdrucken und 1514 sogar zur Herausgabe eines dritten Buches kam. Die Zahl der publizierten Messen war damit keineswegs besonders groß, die handschriftliche Überlieferung bei anderen Komponisten wie Pierre de La Rue oder Isaac blieb deutlich gewichtiger. Aber sie war, geschuldet der publizistischen Offensive, offenbar gesteigert wirksam (womit es primär nicht um Verbreitung, sondern um autoritative Normsetzungen geht).

      Ob von vornherein eine Serie von Messbüchern geplant war, lässt sich nicht sicher sagen, erscheint aber keineswegs unwahrscheinlich. Das riesenhafte Projekt vereint eine denkbar große Vielfalt von Möglichkeiten, dies aber offenkundig in normierender Absicht. Nach einem Jahrhundert intensiver, in den Werken ausgetragener Gattungsüberlegungen wäre dies dann der Versuch eines Komponisten, so etwas wie die Deutungshoheit zu erringen. Das


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