Das Gift an Amors Pfeil. Marnia Robinson
Ich habe jetzt einen anderen Job, in dem ich nicht so viel verdiene, doch der Stress ist minimal, und meine Frau und ich haben sogar zusammen ein kleines Geschäft begonnen. Alles in allem habe ich den Eindruck, dass wir auf dem Weg in eine wesentlich erfüllendere Ehe und ein erfüllenderes Leben sind.“
Lawrence
Im gleichen löchrigen Boot sitzen
Meine Suche nahm offensichtlich einige unerwartete Wendungen. Eines war allerdings klar: Für Männer und Frauen galt das Gleiche. Die Evolution hatte Männer so geformt, dass sie gern zeugen, doch sie hat auch die Frauen so geformt, dass sie die Spermien mit einem machtvollen Magnetismus zu ihrem Ziel hinziehen. Doch sowohl Männer als auch Frauen profitieren davon, Amors Giftpfeil zu entkommen, indem sie lernen, sich zu lieben, ohne an den Punkt zu kommen, wo es nur noch heißt: „Danke, es ist genug.“ Das bedeutete, dass Männer sexuelle Selbstdisziplin erlernen mussten, wenn sie „sichere Piloten“ werden wollten, um die taoistische Terminologie zu benutzen. Und Frauen mussten ihre innere Verführerin an der Schlafzimmertür zurücklassen und andere befriedigende Wege finden, ihren Partner zu nähren. Beide Geschlechter würden über ihre automatischen Reaktionen hinauswachsen müssen, wenn sie mit dem Geheimnis von bindungsstärkendem Sex experimentieren wollten.
„Liebe bedeutet so viel mehr als Sex – es bedeutet, sich mit der ganzen weiten Palette von angenehmen, unangenehmen, sexy und weniger sexy Aspekten wohlzufühlen, die das Leben mit einem echten Menschen, Mann oder Frau, mit sich bringt. Wenn man diesen Punkt einmal erreicht hat, wo man einander nicht zum Objekt macht, dann ist es nahezu unmöglich, in konventionelles Rollenverhalten zu verfallen, ohne sich dabei nicht sofort schlecht zu fühlen.“
Niki
Ich hatte soviel Mitgefühl für jeden von uns. Was für ein Pech, dass ein effektives Werkzeug für Harmonie und eine ausgewogenere Wahrnehmung von unserem zwingendsten Drang versteckt wird: dem Drang, unseren sexuellen Durst zu löschen. Wie traurig, dass genau die Versuche, einander zu lieben, diese Gefühle von Leere, Bedürftigkeit und Groll hervorrufen können – woraus wiederum Gedanken des Mangels und die Überzeugung, sich verteidigen zu müssen, entstehen.
Doch denken Sie andererseits einmal an das Potential! Wenn wir uns dies alles kollektiv selbst antun, dann können wir es auch selbst ändern. Wenn wir verstehen könnten, dass der Orgasmus nur die Spitze von einem länger andauernden Selbstverteidigungszyklus ist, dann könnten wir unsere Art, Liebe zu machen, dahin gehend ändern, dass sie stattdessen anhaltende Gefühle der Befriedigung und einen Überschuss an Energie erzeugt. Intimität würde dann von unserem Unterbewusstsein als eine Quelle anhaltenden Wohlbefindens gesehen und nicht mehr als ein Opfer, das uns erschöpft und zu Groll und Abneigung führt.
Verräterische Zeichen?
In seinem Buch Sex, Time and Power weist Leonhard Shlain darauf hin, dass Menschen im Vergleich zu anderen Gattungen einige überraschende Charakteristika an den Tag legen. Männer masturbieren viel häufiger und intensiver als andere Gattungen.44 Frauen werden durch ihre Monatsblutungen viel mehr erschöpft als andere Gattungen. Und Menschen finden sich auch häufiger in ausschließlich gleichgeschlechtlichen Beziehungen wieder als irgendeine andere Spezies.
Stehen diese Verhaltensweisen im Zusammenhang zu der Tatsache, dass wir Sex zu jeder Zeit haben können, anders als Spezies mit klaren Paarungsperioden? Wie wir noch sehen werden, haben unsere Gene scheinbar einen anderen Weg gewählt, um sicherzugehen, dass emotionale zwischenmenschliche Bindungen ihr Potential für größeren Erfolg nicht in Gefahr bringen: wiederkehrende Gefühle des Ausgelaugtseins, der Unruhe und der Verärgerung. Diese machen uns wiederum anfällig für grundlose Irritation, eine Hypersensibilität für sexuelle Anspielungen, Entmutigung und eine schwächer werdende emotionale Bindung. Könnte es sein, dass unsere postorgastischen Gefühle sich in unserem Leben auch als Erschöpfungszustände widerspiegeln, so wie Menstruationsprobleme und zwanghaftes Masturbieren?
Weise chinesische Taoisten lehrten, dass beide Geschlechter die Macht haben, sich selbst immer wieder neu mit Energie zu versorgen, indem sie ihre sexuelle Energie kultivieren und so einen Vitalitätsverlust vermeiden. Um ihren Standpunkt etwas dramatischer darzustellen, verglichen sie den Verlust von einem Tropfen Samen mit dem Verlust von 100 Tropfen Blut.45 Männern wurde „sexuelles Kung-Fu“ beigebracht, damit sie die im Sperma vorhandene sexuelle Energie verfeinern konnten, anstatt zu ejakulieren. Frauen wurde empfohlen, ihre Periode mit einer ähnlichen Übung zu lindern, die als „das Erlegen des roten Drachen“ bekannt ist. Heutzutage legen viele von uns ein sexuelles Verhalten an den Tag, das das genaue Gegenteil zu solch umsichtiger Kultivierung ist.
Die alten Taoisten, die behaupteten, dass der Verlust von Samen oder Blut der Grund für die Erschöpfung sei, hatten möglicherweise Unrecht. Denn es hat sich herausgestellt, dass neurochemisch induzierte Gefühle von Erschöpfung die Hauptschuld bei beiden Geschlechtern tragen, wie wir in Kapitel fünf noch sehen werden. Die taoistische Methode der Vermeidung dieser selbstsabotierenden Gefühle war hingegen sehr weise.
Die Fallen der Selbstgenügsamkeit
Inzwischen hatte ich eine noch dringendere Frage auf dem Herzen. Was passiert, wenn man ohne Partner ist? Denn sexuelle Energie ist einfach zu dynamisch, als dass man sie unendlich lange aushalten könnte, und ich hatte nicht gerade den Wunsch, eine leidenschaftslose leere Hülle zu werden. Ich fühlte, dass es meine Bestimmung war, zu lernen, lebendiger zu werden, nicht weniger lebendig.
In den Texten, die ich las, hieß es, die sexuelle Energie könne vorsichtig verfeinert und auf ein erhöhtes spirituelles Bewusstsein gelenkt werden, auch ohne einen Partner. Die Weisen waren der Ansicht, dass der Orgasmus die Sexualenergie erschöpft, noch bevor sie zu diesem höheren Zweck genutzt werden kann.
„Meiner Erfahrung nach gibt es zwei Wege, zölibatär zu leben, während wir auf den richtigen Partner warten, und ich kenne beide. Der eine besteht darin, die Sexualenergie zu unterdrücken. Wenn wir unsere sexuelle Energie aus Angst unterdrücken, kann dies physische und emotionale Komplikationen zur Folge haben, sexuelle Phantasien und sogar Perversion (wie wir es aus den Medien im Zusammenhang mit katholischen Priestern und Kindesmissbrauch kennen). Der andere Weg besteht darin, die Sexualenergie zu transformieren. Dieser Weg tut mir sehr gut. Es ist am Anfang nicht leicht, beide Wege voneinander zu unterscheiden, und ich glaube, dass die meisten Menschen, die versuchen, das Masturbieren aufzugeben, zumindest anfänglich mit Unbehagen konfrontiert werden.
Sexuelle Energie zu transformieren bedeutet im Grunde, sie für höhere Zwecke zu nutzen, wie z. B. das persönliche Wachstum, spirituelle Praxis, Dienst am Nächsten usw. In meinem Fall war es so, dass ich noch mal zur Schule ging und mich selbst mit meiner akademischen Leistung überraschte. Ich kann ehrlich sagen, dass meine physische und emotionale Gesundheit wesentlich besser ist als zu den Zeiten, in denen ich häufig masturbierte, und ich habe immer noch einen gesunden sexuellen Drang, so wie ich das sehe! Doch ich lernte, dass ich nicht einfach aufhören konnte, zu masturbieren und gleichzeitig mit allem anderen einfach so weitermachen wie früher, wie z. B. mich abzuschotten oder mich mit Fernsehen wegzubeamen. Ich musste die Energie für ein höheres Ziel nutzen. Es kommt mir so vor, als würde der Partner ganz von allein kommen. Ich fange jetzt erst gerade wieder an, mich zu verabreden, nach zwei Jahren. Puh!“
Caitlin
Natürlich nahm ich den Rat der Weisen nicht einfach so als bare Münze. Ich machte meine eigenen Experimente. Sie zeigten mir, dass Masturbation jedes Mal Stimmungsschwankungen in den darauffolgenden zwei Wochen mit sich brachte. Ich zog den Schluss, dass wenige Sekunden intensiven Vergnügens ein hoher Preis für zwei Wochen waren, die mit unberechenbaren Perspektivwechseln durchsetzt waren. Ich stellte außerdem fest, dass mein Gefühl von Verbundensein und Klarheit während meiner spirituellen Praxis in diesen Phasen immer mal wegging oder insgesamt schwächer wurde. Ich fing langsam an zu verstehen, warum die tibetischen Buddhisten den Orgasmus als „das Töten des inneren Buddha“ bezeichneten.46 Als