Eisschwimmen. Conny Bischofberger
ihre Richtung änderten, wenn man sie in einer ungewohnten Umgebung spielen ließ, vorzugsweise am Meer. Er hatte sich um die Flüge gekümmert (nicht Ryanair), sie das Hotel gebucht. Zwei getrennte Suiten im fürstlichen Avenida Palace, Dachterrasse mit Pool und 360-Grad-Blick über Barça inklusive. An einem der Abende waren sie einander nach vielen Tapas und noch mehr Cavas zum ersten Mal nähergekommen. Es war keine zärtliche Geste gewesen, sondern eher Isabellas Alkoholspiegel geschuldet, dass sie sich im Taxi zum Hotel an seiner Schulter angelehnt hatte. Prinz jedoch hatte sie auf den Mund geküsst.
Isabella war so überrascht gewesen, dass sie den Kuss gar nicht erwidern oder gar genießen konnte. Sie war sich damals nicht sicher, ob ihr das leidtat.
Am nächsten Morgen stand etwas zwischen ihnen.
»Weißt du noch, was du gestern gemacht hast?«, hatte Isabella gefragt und seinen Blick gesucht.
»Was denn?« Entweder spielte er das Unschuldslamm, oder er hatte wirklich keine Ahnung.
»Du hast mich geküsst.«
»Really?«, fragte er. Seine grünen Augen blieben ernst. »Es ist mir peinlich, aber ich kann mich wirklich nicht mehr erinnern. Sorry.«
Okay, dachte Isabella, so leicht sollte er jedenfalls nicht davonkommen.
»Schade, dass du dich entschuldigst«, lächelte sie treuherzig, »und es offenbar nur ein Versehen war.«
Da stellte Prinz seine Espressotasse ab. »Du musst wissen, dass ich keine Beziehung anstrebe. Mir reichen schon zwei kaputte Ehen und die Sache mit Jay. Ich möchte, dass zwischen uns alles so bleibt, wie es ist. Easy going.«
Das wollte Isabella jetzt genauer wissen. »Ich strebe auch nichts an, was landläufig Beziehung genannt wird«, erklärte sie, »aber das Küssen fand ich eigentlich ganz schön.«
Prinz wurde deutlicher. »Küssen führt unabdingbar zu Sex. Sex macht alles kompliziert. Vor allem aber macht Sex süchtig.«
Isabella überlegte, ob er mit These Nummer zwei recht haben könnte. »Blödsinn«, lachte sie dann, »ich glaube das nicht.« Sie ließ offen, was sie genau meinte. Der Hinweis auf die Sucht aber hatte sie neugierig gemacht.
Kurz versuchte sie sich vorzustellen, wie es wäre, Sex mit Prinz oder überhaupt je wieder Sex zu haben. Sie fühlte nichts, jedenfalls nicht für Prinz. Deshalb sagte sie: »Also ich hab nichts dagegen, wenn wir das mit dem Sex bleiben lassen.«
»Great«, erwiderte Prinz.
Inzwischen stand ein Holzteller mit Speck, Braten, Pfefferoni und Kren zwischen ihnen. Isabella hatte Hunger, aber keinen Appetit.
»Wie geht’s dir eigentlich mit Jay?«, fragte sie.
»Hab sie lange nicht mehr gesehen«, antwortete Prinz. »Vielleicht ist sie schon verheiratet und erwartet ein Kind.«
Er biss in einen Pfefferoni und machte dabei eine abweisende Handbewegung.
»Und bei dir? Denkst du noch an diesen Regner?«
»Öfter als mir lieb ist«, antwortete Isabella ehrlich. »Obwohl es schon über ein Jahr her ist, dass er mich einfach abgedreht hat.« Die Kränkung, die sein plötzliches Schweigen bei ihr ausgelöst hatte, saß noch immer tief. »Ganz ehrlich. Verstehst du, warum er mir das nicht persönlich sagen konnte?«
»Schon«, nickte Prinz. »Er hätte sich selbst eingestehen müssen, dass er ein Gefangener seiner kleinen, biederen Welt ist. Deshalb hat er geschwiegen.« In seinen Augen lag jetzt etwas Spöttisches. »Dieser Mann verbringt ein Leben im Fegefeuer.«
Zögerlich aß Isabella ein paar Scheiben Speck. Er schmeckte nicht so, wie sie sich erhofft hatte. Das passierte ihr beim Essen immer öfter. Der Alkohol entfaltete auch nicht mehr die aufpeitschende Wirkung.
»Ich wünsche mir nur eines«, sagte sie schließlich. »Er soll sich noch ein letztes Mal bei mir melden, damit ich ihm nicht mehr antworten kann.«
Prinz lachte. »Vielleicht bekommst du diese einmalige Chance ja noch.«
Es war inzwischen dunkel geworden. Der Kellner war schon zum zweiten Mal an ihren Tisch gekommen, um anzumerken, dass der Heurige gleich schließen würde. Sie waren die letzten Gäste. »Du bist natürlich eingeladen«, erklärte Prinz. »Ich würde jetzt noch liebend gern einen japanischen Whisky in der Bristol Bar ausgeben, aber ich glaube, du solltest wirklich schlafen gehen.« Wieder einmal war er sich seiner Sache hundertprozentig sicher. Sie widersprach nicht. Dann bestellte Prinz ein Taxi, mit dem er sie bis vor ihre Haustür brachte.
»Have fun, Dearest!«, wünschte er Isabella zum Abschied und schickte ihr einen Kuss. Müde winkte sie ihm nach. Sie ahnte, dass seine Nacht noch nicht zu Ende war.
3
Als Isabella aufwachte, sah sie nur weiß. Weiße Vorhänge, weiße Möbel, weißes Licht. Wo bin ich, dachte sie, schloss noch einmal die Augen und zog sich die Decke über ihre eiskalten Schultern. Sie hatte geträumt, dass eine schwarze Raupe alle Pins, Mails, Fotos und Apps aufgefressen hatte. Reservierungen, Boardingpässe, Coronatests: verschlungen. Isabella stand schreiend daneben und flehte die Raupe an, wenigstens die Telefonnummern wieder auszuspucken. Die Raupe schmatzte und grinste. Dann verwandelte sie sich in einen violetten Schmetterling und flog davon.
Das Gefühl, vollkommen verloren zu sein, saß Isabella noch in den Knochen, als sie sich ins Bad schleppte. Jeder Muskel tat ihr weh. Aus dem Spiegel blickten sie zwei ernste Augen an, ihre Haut sah wie zerknittertes Pergamentpapier aus, blass und mit feinen Linien überzogen. Sie klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Die Hyaluron-Creme, die sie in die Falten klopfte, hatte die Wirkung einer Träne im Ozean.
In der Küche fand sie zwar Kaffee, aber keine Milch und keinen Zucker. Sie schlüpfte in ihre weißen Jeans und die rosa Bluse vom Vorabend, duschen konnte sie auch später noch.
Was mach ich bloß hier, dachte Isabella, als sie aus dem Haus trat. Vor ihren Augen breitete sich die schwedische Insel wie ein Arrangement aus weißen Puppenhäusern aus. In den Vorgärten thronten Relikte aus der Wikingerzeit. Rostige Anker, zu Gartenpavillons umfunktionierte Schiffskabinen. Manchmal glaubte sie, an den Fenstern Umrisse von Bewohnern zu erkennen. Stille. War sie der einzige Mensch auf Vrångö an diesem Montagmorgen? Nur Vogelgezwitscher hörte sie und ein monotones Summen, das Isabella nicht zuordnen konnte. Dann erblickte sie die kleinen, grauen Roboter. Überall krochen sie über die stoppelkurz geschorenen Rasen, kletterten an Steinen vorbei hinter Büsche, fraßen sich munter weiter, summten unaufhörlich dabei.
Isabella lief Richtung Hafen. Auf den Wiesen hatte der Wind die Brombeer- und Hagebuttenstauden niedergepeitscht. Riesige Felsen, die in der Sonne glitzerten, umsäumten das Dorf zum Meer hin, in den Feuchtwiesen blühte der Dost. Bei der Schiffsanlegestelle hörte sie endlich Stimmen. An einem Tisch auf der Terrasse des einzigen Cafés bissen fünf Männer von ihren Käsebroten ab und tranken Cola. »Closed!«, riefen sie, als Isabella sich näherte. Sie musste schon von weitem als Touristin erkennbar sein. »I need milk for my coffee«, rief sie zurück. Der Mattaffär öffne in einer Stunde, wurde ihr gedeutet, der Supermarkt liege am anderen Ende der Insel. Isabella bereute jetzt, hierhergekommen zu sein.
In diesem Moment klingelte ihr Handy. Eine junge Kollegin aus Wien entschuldigte sich für die Störung, aber es sei dringend. »Ich bin grad auf einer Schäreninsel vor Göteborg«, erklärte Isabella, aber das schien die Anruferin nicht zu stören. Auch ihren Hinweis, dass sie erst in zwei Wochen wieder in der Redaktion sein werde, ignorierte sie geflissentlich. »Der Chef vom Dienst lässt fragen, ob du vielleicht Birgit Lauda interviewen könntest?« Die Ehefrau des verstorbenen Formel-1-Weltmeisters und Airline-Gründers war bei den Salzburger Festspielen erstmals wieder mit einem Mann an ihrer Seite erschienen, Isabella hatte es im Flieger nach Göteborg gelesen. »Neue Liebe!«, titelten die österreichischen Zeitungen, und die Society-Reporter lieferten sich ein Wettrennen, wer von ihnen dem frischen Paar als Erstes ein Interview oder zumindest einen Stehsatz entlocken würde. Offenbar erfolglos. Isabella Mahler hatte Niki Laudas Biografie geschrieben, sie