Die Schneckeninsel. Urs Schaub

Die Schneckeninsel - Urs Schaub


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Haar.

      Madame de Klerk. Können Sie mich hören? Ich bin der neue Koch. Tanner ist mein Name, und ich habe Sie zufällig furchtbar husten gehört. Brauchen Sie Hilfe?

      Sie rührte sich nicht, sondern rang offenbar verzweifelt nach Atem. Tanner rannte ins Treppenhaus.

      Ljuli! Ljuli! Komm! Madame de Klerk ist am Ersticken. Komm. Oder hol Hilfe.

      Tanner schrie aus Leibeskräften und hoffte, dass Ljuli ihn gehört hatte. Er eilte zurück ins Zimmer.

      Die Frau hatte sich mittlerweile im Bett umgedreht und reckte ihren Arm in die Höhe, dann auf die Seite, als ob sie etwas nehmen oder etwas zeigen wollte. Ihre Augen waren stark geweitet und sie konnte kaum atmen.

      Jetzt entdeckte er auf einem Tisch, was sie verzweifelt verlangte. Einen Inhalator. In zwei Schritten war er beim Tisch, packte ihn und drückte ihn ihr in die Hand. Sie steckte sich ihn sofort in den Mund und pumpte. Kurz darauf beruhigte sie sich, und sie konnte wieder atmen. In diesem Moment kam Ljuli atemlos ins Zimmer gerannt. Sie ging sofort zum Bett.

      Madame, ist gut so? Sollen wir Doktor rufen?

      Sie schüttelte den Kopf, bedeckte mit einer Hand ihr Gesicht und deutete auf Tanner. Sprechen konnte sie offenbar noch nicht. Ljuli drehte sich zu Tanner um.

      Das ist neuer Koch, Madame. Simon Tanner. Er hat sie gehört. Haben Sie Hilfe gerufen?

      Sie schüttelte den Kopf und winkte mit einem Arm.

      Es bedeutete offenbar, dass die Krise vorbei war und dass sie beide das Zimmer verlassen sollten.

      Ljuli drehte sich um und zuckte resigniert mit den Achseln.

      Gehen wir. Sie wünscht so.

      Sie gingen beide aus dem Zimmer. Tanner schloss leise die Tür und nahm den Ordner vom Boden, wo er ihn hingelegt hatte.

      Also, wie gesagt.

      Er deutete auf den Ordner.

      Danke, dass du gekommen bist, Ljuli, ich wusste ja nicht …

      Sie hat immer wieder, äh … Anfälle. Sagt man so?

      Tanner nickte.

      Ich melde es Frau Wunder.

      Sie ging eilig die Treppe runter. Tanner lauschte noch ein Weilchen und wandte sich zur Treppe, die in den Dachstock führte.

      In seinem Rücken hörte er ein Geräusch und drehte sich um. Der Gang war leer, aber bei einem der hinteren Zimmer hatte sich die Tür einen Spalt geöffnet. Jetzt erschien ein sehr junges Gesicht mit dunkelblonden Stirnfransen.

      Pst. Herr Tanner, kommen Sie.

      Tanner ging näher.

      Woher kennst du meinen Namen?

      Er schätzte das Mädchen auf höchstens dreizehn Jahre.

      He, wir werden hier nicht geduzt.

      Oh. Verzeihen Sie, Madame. Mit wem habe ich die Ehre?

      Kommen Sie in mein Zimmer, dann sage ich es ihnen.

      Tanner schüttelte den Kopf.

      Nein, junge Dame. Ich komme sicher nicht in Ihr Zimmer. Was wollten Sie mir sagen?

      Sie verschränkte ihre Arme und flüsterte.

      Warum haben Sie sie nicht verrecken lassen? Sie ist der Teufel.

      Oh, das wusste ich nicht. Abgesehen davon, dass ich nicht an den Teufel glaube, ist es nicht meine Art, Menschen in Not meine Hilfe zu versagen.

      So, so. Sie glauben also nicht an den Teufel. Mh, hm. Werden Sie mich auch retten, wenn ich in Not bin?

      Tanner seufzte.

      Ja, sicher. Wie heißt …

      Das Mädchen zog sich zurück und schloss leise und ohne weiteren Kommentar die Tür. Neben der Tür war ein kleines Schild angebracht. Tanner ging näher.

      L. Dürr stand da.

      Lina? Lea? Lana? Lucy?

      Tanner gab auf und ging endlich die Treppe hoch in sein winziges Zimmer mit Aussicht.

      1. Tag — Sonntagnacht

      Mitternacht war längst vorbei, als Tanner erschöpft ins Bett fiel.

      Pünktlich um vier Uhr hatte er sich in das kleine Küchenreich des Weißen Schlosses begeben. Den Ordner hatte er studiert, vielmehr überflogen, denn er hatte schnell gemerkt, dass nichts besonders Aufregendes in den Menüvorschlägen der nächsten vier Wochen stand. Ein bisschen Hausmannskost, ein bisschen typisches Kantinenessen – wenn auch etwas gehoben –, ein bisschen international. Im Angebot standen zu jeder Mahlzeit ein vegetarisches Menü und eines mit Fleisch, gelegentlich Fisch. Es stand auch jeweils die Anzahl der verschiedenen Varianten fest. Natürlich war ein geschriebenes Menü das eine und das gekochte etwas anderes. Beim Kochen gab es zum Glück eine schier unendliche Vielzahl von Möglichkeiten. Insofern würde ihm sehr viel Spielraum bleiben, auch wenn er sich an die Vorgaben hielt, was noch lange nicht gesagt war. Für den heutigen Sonntagabend (eigentlich an jedem Sonntagabend) war ein klassisches Nationalgericht geplant, das hier Ländliches Abendessen hieß und landläufig Gschwellti genannt wurde; ganze, ungeschälte Kartoffeln mit einer Auswahl an Käsen und Salaten.

      Also, viel Arbeit würde es heute Abend nicht geben.

      Die zwei angelernten Hilfsköche – wie Keller sie genannt hatte – entpuppten sich als zwei Frauen aus dem Dorf. Etwas zurückhaltend, aber mit kräftigem Händedruck begrüßten sie ihren neuen Küchenchef und wünschten ihm einen erfolgreichen Arbeitsmonat und versprachen eine tatkräftige Zusammenarbeit. Das glaubte ihnen Tanner aufs Wort. Wahrscheinlich hätten die beiden Frauen – sie stellten sich als Lydia und Annerös vor – den Laden auch ganz allein schmeißen können, wenigstens auf dem bisher gewohnten Niveau. Das Frühstück machten sie übrigens allein, mit zusätzlicher Unterstützung aus dem Dorf. Tanner musste sich also ums Frühstück überhaupt nicht kümmern.

      Der Stumme war ein schmaler, sympathischer Mann unbestimmbaren Alters aus Sri Lanka. Er verbeugte sich mit sehr ernster Miene. Tanner verbeugte sich kurzerhand auch, übertrieben theatralisch, was zu einem ersten Heiterkeitsausbruch in der Küche führte. Die Folge war, dass sich kurzerhand alle ein paar Mal gegenseitig verbeugten. Das Eis war gebrochen und alle machten sich an die Arbeit. Tanner entzündete rituell die Gasflammen des zentralen Kochherds, so wie er es von Stocker gelernt hatte. Die beiden Frauen begannen einen Berg von Salaten zu rüsten. Anandan, der Stumme, wusch Unmengen von Kartoffeln. Keller inspizierte derweil mit Tanner die Kühlräume und den Vorratskeller.

      Es handelte sich, wie Tanner es aufgrund der Menüs geahnt hatte, durchs Band um lauter gängige Produkte, wie er sie in Großeinkaufsstätten für Hotels und Restaurants bereits kennengelernt hatte. In der Mehrheit waren es Fertig- und Halbfertigprodukte. Zur gleichen Zeit brachten sie all die diversen Käsesorten in die Küche, die dann von Tanner und Keller in kleinere Portionen geschnitten und auf großen Holzplatten dekorativ angerichtet werden sollten. Eine Platte pro Tisch. Tanner packte seine Messer aus und Keller begutachtete sie fachmännisch.

      Aha, sieh an: Keine Produkte aus dem fernen Japan?

      Nein, die sind von einem Freund von mir, der ein begnadeter Messerschmied ist. Du siehst, es gibt auch bei uns höchste Qualität. Und wunderschön sind sie obendrein. Jeder Griff eine Liebeserklärung an das geschmiedete Eisen.

      Keller nickte und begann dann übergangslos einen ewig währenden Monolog über seine Kocherfolge und vor allem über seine künftigen Großtaten als Fischer in den reißenden Gebirgsbächen Kanadas zu halten. Tanner sah, dass sich der Rest der Küchenbesatzung schon ein ziemlich dickes Fell gegen dieses Monologisieren ihres Küchenchefs zugelegt hatte.

      Er atmete tief durch und machte sich an die Arbeit.

      Gegen sechs Uhr traf nach und nach auch das Servicepersonal ein: Ausschließlich jüngere Frauen aus dem nahen Ausland. Am Getrampel im Treppenhaus


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