Der Salamander. Urs Schaub

Der Salamander - Urs Schaub


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zur Regel gemacht, so lange wie möglich zu verhandeln und dann die Einsatztruppe zu bestellen, wenns denn unumgänglich war.

      Nach diesem verlorenen Morgen – und auch ein bisschen zur Belohnung – leistete er sich ein saftiges und kunstvoll arrangiertes Wildmenu beim Stocker auf der anderen Seite des Sees.

      Das Restaurant war wie immer ziemlich voll, trotzdem fand der Chef Zeit, sich zu Michel an den Tisch zu setzen.

      Ich habe gehört, dass Tanner wieder in der Gegend ist. Der hohe Norden soll ihm nicht so gut bekommen sein!

      Michel grunzte.

      Wer behauptet denn so was? Stimmt doch alles nicht. Wer erzählt denn so einen Bockmist?

      Ach, die Spatzen, die Spatzen. Du weißt ja, wer alles bei mir isst. So was spricht sich schnell herum, zumal im Winter, wo sich die ganze Welt zu Tode langweilt. Weißt du denn, wie es unserer lieben Solveig geht?

      Ich weiß nur, dass sie ihre kranke Mutter pflegt, den Rest musst du Tanner fragen. Früher oder später wird er hier ja wieder auftauchen.

      Mein Gott, bist du schlecht gelaunt! Schmeckt dir mein Essen nicht?

      Doch, doch, Stocker. Nimms nicht persönlich. Ich hatte heute mein persönliches Schießprogramm zu absolvieren. Ist nicht gerade mein Tag.

      Aha. Ich verstehe. Wenn du beim Kaffee bist, komme ich noch einmal zu dir. Ich spendier dir, wenn du willst, auch gerne ein Dessert. Ich muss dich nämlich dringend etwas fragen.

      Als Stocker wieder in seine Küche verschwunden war, stocherte Michel lustlos in seinem Teller. Musste dieser Scheißkerl auch noch Solveig erwähnen? Mein Gott, war er damals in sie verknallt gewesen! Und dann diese kalte Abfuhr. Es gab ihm immer noch ein Stich, und zwar an der Stelle, wo es empfindlich wehtat.

      Das Ego – das unsichtbarste, aber zugleich empfindsamste Organ vor allem der Männer –, wie es die neue Polizeipsychologin nannte, die letzthin, auf Anordnung von ganz oben, einen ewig langen Vortrag vor der ganzen Mannschaft gehalten hatte.

      Na, wenn schon, dann hats mich halt am Ego getroffen. Wen geht das etwas an! Ist ja schließlich mein Ego!

      Irgendwie mochte er es Tanner gönnen, dass es offenbar nicht ganz so geklappt hatte mit ihr. Wenn es denn so war. Aber warum sonst wäre Tanner freiwillig zurückgekommen? Er wollte es ihm ja partout nicht erzählen. So eine Frau lässt man doch nicht allein. Keine Stunde. Schon gar keinen ganzen Tag. Na ja, wenn schon.

      Gleichzeitig schämte er sich für diese kleinen hämischen Ge fühle. Ging es ihm denn besser? Um diese aufkommenden Gedanken zu verdrängen, trank er den Rest des Bieres in einem Zuge aus und bestellte sich per Handzeichen kurzerhand ein neues, obwohl er mit sich ausgemacht hatte, dass er am Mittag nur noch ein einziges Bier trinken wollte. Aber heute war sowieso ein Ausnahmetag – Schießtag eben –, und zudem wartete im Büro nichts Dringendes auf ihn. Im Gegenteil: seit ein paar Wochen dümpelte das Kommissariat vor sich hin, als habe sich auf einen Schlag die Menschheit gebessert – zumindest im Bereich seiner Abteilung Leib und Leben. Er konnte sich nicht erinnern, dass es während seiner ganzen Dienstzeit jemals über so lange Zeit so ruhig gewesen wäre. Sämtliche Schreibtische waren aufgeräumt wie nie. Die Aktenberge verschwunden. Die Bleistifte gespitzt. Er fragte sich allen Ernstes, ob es so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm gab? Er versuchte ein wenig zu ergründen, wie denn so ein Sturm aussehen könnte, kam aber auf keine besonders einfallsreiche Idee. Vielleicht finden demnächst schreckliche Terrorakte statt mit Dutzenden von Geiseldramen oder weiß der Teufel was.

      Freudig nahm er das frisch gezapfte Bier entgegen, das die Bedienung ihm brachte, und er gönnte sich einen tiefen ersten Schluck. Er war der Meinung, dass er sich den redlich verdient hatte. Seine Laune hellte zunehmend auf.

      Das einzige Geschäft, das er sich für heute Nachmittag vorgenommen hatte, war die Akte Wille. Sie war letzthin bei ihm vorstellig geworden, denn sie wollte partout weg von der Straße, aus der Uniform raus und in seine Abteilung. Sein Chef hatte ihm erstaunlicherweise freie Hand gelassen – auch so ein Wunder. Immerhin war seine Abteilung unterbesetzt, was in dieser ruhigen Zeit kein Schaden war, aber sobald die Abteilung wieder auf gewohnten Hochtouren laufen würde – und dieser Tag würde kommen –, fehlte mindestens ein Mitarbeiter oder eben eine Mitarbeiterin. Die Wille hatte genug Dienstzeit auf Streife und Innendienst und wohl auch sämtliche notwendigen Kurse absolviert – mit Bravour, wie man munkelte. In der Akte würde ja dann alles zu finden sein.

      Ja! Und sie war ziemlich attraktiv. Nicht unbedingt schön, es war eher ihre Art sich zu bewegen. Und sie hatte dieses aufreizende Lachen.

      Saufrech ist sie. So ist es.

      Seine Miene verfinsterte sich.

      Wenn er mit ihr sprach, hatte er immer das Gefühl, sie nehme ihn nicht besonders ernst. Er war irgendwie sauer auf sie, ohne genau zu wissen, warum.

      Sie ist eine eingebildete Kuh.

      Plötzlich erschien Stocker und setzte sich ihm schwungvoll gegenüber.

      Wolltest du was bestellen oder führst du schon Selbstgespräche?

      Michel winkte ab. Stocker ließ sich nicht beirren.

      Na, Gott sei Dank. Ich sehe, die Laune hat sich mächtig gebessert. Kann wirklich mein Essen so etwas bewirken, oder denkst du gerade an etwas Schönes? An etwas, was man weniger essen als vielleicht abschlecken kann? Du hattest gerade so einen verzückten Glanz in deinen Augen …

      Ach wo. Du bist und bleibst ein Spinner, Stocker. Aber dein Essen ist Spitze, das muss dir der Feind lassen.

      Gut. Dann gebe ich dir noch meine neueste Kreation mit Feigen in Vanille und Schokolade zum Kosten.

      Er machte ein Zeichen zu seiner Frau, die an der Theke stand und formulierte mit den Lippen lautlos seinen Wunsch. Sie nickte und verdrehte die Augen. Stocker schickte ihr einen Kuss per Flugpost.

      Michel verzog seinen Mund zu einem Grinsen.

      Schön zu sehen, wie auch ältere Ehepaar noch miteinander schnäbeln.

      Ach Michel, du bist ja nur neidisch, gib es zu. Und was heißt hier älter? Ich bin sicher mindestens eine Generation jünger als du.

      Ja, aber seit mindestens zwanzig Jahren verheiratet. Damit seid ihr ein älteres Ehepaar.

      Michel lachte dröhnend. Er war ziemlich stolz auf seine Schlagfertigkeit.

      Ja, lach nur. Wenn du wüsstest …

      Wenn ich was wüsste?

      Was unser Geheimnis ist. Na ja, wahrscheinlich jeder guten, langjährigen Beziehung.

      Und was wäre das Geheimnis?

      Kennt das die Polizei nicht? Das magische Dreieck!

      Wie bitte.

      Michel beugte sich vor. Sein Interesse war nicht geheuchelt.

      Was ist denn das magische Dreieck?

      Stocker lehnte sich zurück.

      Ich verrate dir das Geheimnis, wenn du mir versprichst, dass du dir nachher in Ruhe meine Geschichte anhörst.

      Michel hob indianermässig die Hand.

      Versprochen! Was ist denn jetzt dieses Geheimnis?

      Stocker beugte sich vor und dämpfte seine Stimme.

      Es sind die berühmten drei Gs.

      Michel runzelte die Stirn.

      G wie Guter Sex. G wie Großzügigkeit. G wie gemeinsames Geschäft. Verstehst du? Die Reihenfolge ist wurscht. Aber alle drei müssen stimmen.

      Michel konnte seine Enttäuschung nicht verhehlen.

      Ist das alles?

      Stocker lachte.

      Ja, bist du noch bei Trost, Michel? Was hast du denn erwartet? Irgendwas mit Hokuspokus?

      Stocker stippte mit seinem Finger


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