Der Salamander. Urs Schaub
Ja. So ist es. Wir fänden es besser, wenn Sie dabei sind, wenn wir die Tür aufbrechen, Frau äh …
Wille. Mein Kollege Stoffel sitzt im Auto und telefoniert. Aber ich denke, wir schaffen das auch ohne ihn. Wo ist denn das Zimmer? Und wie heisst Ihr Gast?
D’Arcy. Jean D’Arcy. Das Zimmer liegt im oberen Stock. Ich gehe mal voraus.
Bodmer ging zur Treppe und nahm zwei Stufen aufs Mal.
Tanner und die Beamtin folgten. Bei der Treppe angekommen, wollte er ihr den Vortritt lassen.
Sie lächelte.
Bitte nach Ihnen. Sie wissen ja, bei Treppen und Restaurants geht der Mann vor.
Ach, ich wusste nicht, dass diese Regeln auch für Beamtinnen im Dienst gelten.
Er ging an ihr vorbei.
Jetzt lachte sie.
Darüber weiß ich nichts, aber Michel hat mich gewarnt.
Tanner blieb auf der Treppe stehen und wandte sich um.
Gewarnt. Vor was hat er Sie denn gewarnt?
Vor Ihnen, Tanner.
Er stutzte.
Machen Sie nicht so ein Gesicht. Gehen Sie bitte weiter. Wir werden erwartet.
Tanner seufzte und ging voraus, die Treppe hoch.
Tatsächlich – sie wurden erwartet. Bodmer stand mit hochrotem Kopf vor Jean D’Arcy, der sich verschlafen die Augen rieb – nur mit Leibchen und kurzer Hose bekleidet – und offenbar die Welt nicht verstand. Bodmer verstand sie offensichtlich auch nicht mehr und versuchte, sich wortreich zu entschuldigen, brachte aber nur unverständliche Laute zum Ausdruck. Erleichtert wandte er sich um, als er die Beamtin und Tanner bemerkte.
Schauen Sie! Das ist äh … Herr D’Arcy.
Ach ja? Was ist denn überhaupt passiert?
Die Beamtin fragte halb belustigt, halb verärgert.
Jetzt mischte sich Tanner ein.
Guten Tag, Herr D’Arcy. Verzeihen Sie die Störung, aber Herr Bodmer hat sich große Sorgen gemacht, da er Sie um halb sechs Uhr wecken sollte. Jetzt ist ja bereits acht Uhr vorbei, und bis vor kurzem haben Sie kein äh … also, auf unser Klopfen und Rufen nicht reagiert.
Tanner wollte zuerst Lebenszeichen sagen, vermied aber im letzten Augenblick das Wort.
Es tut mir leid, wenn ich Ihnen so viele Umstände mache. Aber schauen Sie, äh …
Er öffnete seine linke Hand. Da lagen zwei kleine, gelbe Wattebällchen.
Aus alter Gewohnheit hatte ich die in den Ohren. Sie müssen wissen, wo ich, äh … herkomme, konnte man ohne dieses Zeugs nicht schlafen.
Die letzten Worte sprach er zu Tanner und lächelte hilflos. Jetzt war auch sein Gesicht rot angelaufen.
Oh je, oh je. Und es ist bereits nach acht Uhr, sagen Sie?
Tanner nickte. Der junge Mann machte ein unglückliches Gesicht und hob hilflos die Schultern.
Na, dann werde ich mal …
Tanner drehte sich zu den anderen um.
Gut, ich schlage vor, wir ziehen uns zurück und lassen Herrn D’Arcy in Ruhe aufstehen.
Bodmer zog sich noch so gerne zurück, und die Beamtin nickte seufzend.
Als sie alle drei wieder in der Wirtsstube standen, ging Bodmer in Richtung Küche.
Ich muss mal kurz zu meiner Frau, sie wartet natürlich auf Bescheid. Sie entschuldigen mich.
Tanner nickte und wandte sich an die Polizistin.
Frau Wille, trinken Sie einen Kaffee?
Sie lachte und strich sich erneut schwungvoll eine Strähne aus dem Gesicht.
Wille genügt. Ich bin hier in offizieller Funktion. Egal ob Frau oder Mann, oder?
Dann trat sie an eines der Fenster.
Mein Kollege telefoniert immer noch. Also bitte, einen Kaffee.
Sie verdrehte die Augen und setzte sich an einen der Tische.
Seine Frau ist schwanger. Stoffel hat das Gefühl, das Kind könne jeden Moment auf die Welt kommen, obwohl es noch mindestens ein Monat bis zum Termin ist.
Tanner ging hinter die Theke zur mächtigen Kaffeemaschine und ließ zwei Tassen Kaffee heraus. Als er die beiden Tassen auf den Tisch stellte, lächelte sie.
Ich sehe, Sie bewegen sich hier wie zuhause, Tanner.
Er setzte sich.
Schließlich hat mich Bodmer um sechs Uhr aus dem Bett geklingelt und hier hergebeten, das gibt mir ein gewisses Recht auf selbständiges Handeln, zumal sich der Herr Wirt ja verflüchtigt hat.
Sie nickte und leerte das ganze Zuckersäckchen in den Kaffee. Die Sahne ließ sie stehen.
Was meinte der junge Mann eigentlich … da, wo ich herkomme?
Tanner nippte an seiner Tasse, bevor er antwortete.
Er hat fünf Jahre in einem Gefängnis in Salamanca verbracht.
Salamanca? Wo ist denn das?
Im Norden Spaniens. Ich habe ihn gestern Morgen auf dem Bahnhof kennengelernt. Er hatte mich nach einer Unterkunft im Dorf gefragt.
Sie rührte gedankenverloren in der Tasse.
Essen Sie oft hier?
Nicht sehr oft. Gestern Abend war ich hier, weil ich wie gesagt erst gerade von einer Reise zurückgekommen bin.
Sie nahm einen kleinen Schluck, dann spitzte sie ihren Mund, blies in den Kaffee, so dass sich die Oberfläche kräuselte.
Haben Sie nicht vielleicht gestern Abend hier gegessen, weil Sie sich für den jungen Mann interessieren?
Tanner lachte abfällig, insgeheim bewunderte er aber ihre Intuition.
Nein, nein. Mein Kühlschrank war leer. Ich bin ja erst gestern von einer längeren Reise zurückgekommen und …
Sie unterbrach ihn.
Das sagten Sie bereits. Was hatte er denn in Spanien verbrochen? Fünf Jahre sind ja kein Pappenstiel.
Es tut hier zwar nichts zur Sache, aber …
Ich tippe auf Drogen.
Tanner stutzte. Sie fixierte ihn.
Liege ich falsch? Es geht doch um Drogen?
Aha. Wie kommen Sie jetzt darauf?
Ja, das ist mein Problem. Andauernd kommen mir Sachen in den Sinn, und dann weiß ich gar nicht, woher die kommen. Zum Leidwesen meiner Umgebung treffe ich meist ins Schwarze.
Tanner dachte unwillkürlich, dass sie mit Umgebung wahrscheinlich ihren Freund meinte, möglicherweise eine ganze Reihe ihrer letzten Partner. Einen Ehering trug sie auf jeden Fall nicht.
Das nennt man im Allgemeinen Intuition. Und ich kann auch verstehen, dass es die Umgebung, wie Sie sich auszudrücken pflegen, nicht immer als ganz angenehm empfindet, wenn man Ihnen auf so irrationale Art und Weise auf die Spur kommt.
Sie legte ihre schöne Stirn in Falten. Tanner hob beschwichtigend die Hand.
Im Übrigen haben Sie auch in diesem Fall recht. Aber anders, als Sie denken. Irgendjemand hatte ihm die Drogen untergejubelt.
Woher wissen Sie das?
Tanner atmete tief durch.
Er hat es mir glaubhaft versichert.
Sie sah ihn lächelnd an.
So. So.
Tanner