Der Salamander. Urs Schaub

Der Salamander - Urs Schaub


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kann ja sein. Es klang aber irgendwie merkwürdig, auch der Zeitpunkt. Und wegen der frühen Stunde: Er hat mich gestern Abend darum gebeten! Ich sollte ihn am Morgen um diese Uhrzeit wecken.

      Und jetzt antwortet er nicht? Und die Tür ist abgeschlossen, nehme ich an – und der Schlüssel steckt von innen, oder?

      Genau so ist es.

      Vielleicht hört er einfach Ihr Klopfen nicht? Vielleicht hat er ein starkes Schlafmittel eingenommen und schläft tief und selig. Könnte doch sein, oder?

      Ja, könnte sein, aber ich glaube es nicht. Äh …, Tanner, könnten Sie nicht vielleicht auf einen Kaffee vorbeikommen? Mir ist einfach nicht wohl.

      Hat dieses Unwohlsein vielleicht etwas damit zu tun, dass Ihnen gestern Abend der andere Gast gesteckt hat, dass D’Arcy im Gefängnis gewesen ist?

      Woher wissen Sie …?

      Es war ja indiskret genug, nicht wahr. Abgesehen davon: wieso rufen Sie eigentlich mich an? Wenn Sie sich wirklich Sorgen machen, müssten Sie doch die Polizei rufen.

      Bodmer schnaufte durchs Telefon.

      Ja … aber Sie sind doch … äh, nein, natürlich nicht, aber äh … ich dachte, Sie kennen diesen jungen Mann und …

      Gut Bodmer, jetzt bin ich ja eh schon wach. Ich bin in einer Viertelstunde bei Ihnen, wenn es Sie beruhigt.

      Bodmer stand an der Tür, als Tanner den Platz vor dem Restaurant überquerte. Er hatte kurzerhand die Abkürzung durch den Garten des Hauses genommen, den steilen Abhang hinunter zu den Bahngleisen.

      Meine Frau hat Ihnen bereits einen Kaffee zubereitet. Danke, dass Sie kommen.

      Bodmer führte ihn in die Wirtsstube. Seine Frau stand hinter der Theke. Tanner begrüßte sie und nahm den Kaffee in Empfang.

      Darf ich mal den ausgefüllten Meldeschein sehen?

      Frau Bodmer holte den Meldeblock aus einer Schublade hinter der Theke.

      Hier.

      Tanner studierte den Zettel.

      Außer dem Namen konnte man seine Nationalität lesen und dass er gestern von Frankreich her kommend in das Land eingereist war. Bei Wohnort hatte er eine Wellenlinie gemacht. Die Rubriken Datum, Unterschrift und Passnummer waren ausgefüllt. Es war eine auffällig zarte Schrift mit kleinen, regelmäßigen Buchstaben, da und dort etwas zittrig. Aber es waren leider viel zu wenige Wörter, um sich wirklich ein Bild machen zu können.

      Tanner blickte fragend zu Bodmer.

      Haben Sie sich nicht gewundert, dass er keinen Wohnort angegeben hat?

      Bodmer zuckte mit den Achseln.

      Doch. Aber ich habe es erst nachträglich gesehen.

      Tanner trank den Rest des Kaffees in einem Schluck.

      Gut. Dann schauen wir jetzt mal, ob er immer noch schläft.

      Bodmer ging voran.

      Die fünf Gastzimmer befanden sich alle im ersten Stock. Zwei zur Straße, zwei zum See und eins im rückwärtigen Teil des Hauses. Genau genommen lag dieses eine Zimmer eigentlich schon außerhalb des Haupthauses, im ersten Stock eines angebauten Holzschopfs, war aber nur durch das Haupthaus erreichbar, über drei Treppen am Ende des Flurs. An der weiß gestrichenen Tür klebte, ein ganz klein wenig schief, die goldene Ziffer Fünf. Das war das Zimmer, in dem Jean D’Arcy schlief.

      Bodmer zeigte stumm auf die Tür.

      Tanner klopfte energisch. Dann rief er einige Male hintereinander den Namen.

      Keine Reaktion.

      Bodmer meinte in Zeichensprache, dass es vorher genau so gewesen sei.

      Tanner legte sein Ohr an die Holztür.

      Ich kann nichts hören.

      Er versuchte durch das Schlüsselloch zu schauen, aber ergebnislos, ziemlich sicher steckte ja der Schlüssel.

      Als letztes versuchte Tanner die Tür zu öffnen, aber sie war tatsächlich abgeschlossen.

      Herr D’Arcy, wir machen uns Sorgen. Wenn Sie nicht antworten, müssen wir die Tür aufbrechen.

      Tanner trat zurück.

      Wie viele Fenster hat das Zimmer?

      Nur ein einziges. Dafür ein großes.

      Tanner nickte.

      Ich möchte mir mal die Fassade von außen anschauen. Vielleicht ist das Fenster ja offen.

      Bodmer nickte und ging voraus.

      Mittlerweile dämmerte der Morgen. Der Nebel hatte sich offenbar über Nacht zum größten Teil gelichtet.

      Hinter dem Haus befanden sich ein Obst-, ein Beeren- und ein großer Gemüsegarten. Frau Bodmer pflegte das alles sehr liebevoll. Das Obst, der Salat und das Gemüse kamen – je nach Saison – weitgehend aus eigener Produktion. Im Winter sahen die Gärten naturgemäß etwas trostlos aus.

      Bodmer zeigte auf das Fenster.

      Sehen Sie, es sieht so aus, als sei es geschlossen.

      Tanner nickte und zeigte auf die ebenerdige Tür unterhalb des Fensters. Das Zimmer lag ja quasi im ersten Stock des Anbaus.

      Was haben Sie denn im Schopf drin?

      Gartenwerkzeuge. Holz. All die Tische und Stühle für die Sommerterrasse.

      Tanner rief noch ein paar Mal den Namen zum Fenster hinauf. Dann wandte er sich zu Bodmer.

      Gut. Ich denke, wir sollten die Polizei verständigen.

      Muss das sein?

      Ja, Bodmer. Das muss sein. Wenn wir die Tür aufbrechen, ist es einfach besser, wenn wir das nicht als Privatpersonen machen. Ich rufe jetzt einfach Michel an.

      Bodmer nickte ergeben.

      Ich geh dann mal zurück ins Restaurant und mach uns was zum Frühstück. Nehmen Sie auch ein Ei?

      Tanner zückte sein Mobiltelefon.

      Sehr gerne. Ich komme gleich nach.

      Michel meldete sich sofort.

      Ich glaub es ja nicht! Tanner ist zurück aus dem hohen Norden. Ich wollte eigentlich auch schon anrufen, nach dem ich gestern Nacht deine Nachricht gehört hatte. Aber ich hätte mich natürlich nie und nimmer getraut, den Herrn zu so einer unchristlich frühen Zeit zu stören. Na und? Wie war es? Bist du schon …

      Entschuldige, wenn ich dich unterbreche. Ich werde dir alles erzählen. Ehrenwort. Aber jetzt rufe ich dich an, weil wir hier ein Problem haben.

      Er fasste kurz die Situation zusammen. Michel stöhnte.

      Natürlich schicke ich dir sofort einen Streifenwagen, aber gibt es wirklich solche Zufälle? Kaum tauchst du auf, schon gibt es wieder ein Problem in deinem Dörfchen.

      Reg dich ab. Vielleicht ist es auch keins. Aber ich möchte nicht einfach so die Tür einbrechen, verstehst du?

      Ja, ist ja klar. Ich guck mal, wer in der Nähe ist.

      Tanner bedankte sich und beendete das Gespräch.

      Er hatte gerade sein Ei gegessen, als der Streifenwagen vor der Tür hielt. Kurz darauf betrat eine uniformierte Polizeibeamtin die Wirtschaft.

      Guten Tag.

      Sie betrachtete die Frühstücksrunde und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann nickte sie Tanner zu.

      Sie müssen Tanner sein. Kommissar Michel hat uns gebeten, bei Ihnen vorbeizuschauen. Wo ist das Problem?

      Bodmer sprang auf.

      Guten Tag, ich bin der Wirt. Wir haben einen Gast, den hätte ich um halb sechs wecken sollen, aber er antwortet nicht, und der Schlüssel steckt


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