Die Gärten der Medusa. Dieter Bachmann

Die Gärten der Medusa - Dieter Bachmann


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ihre Vorderhufe. Sie saßen in dem Park, in dem die Stadt das Restaurant mit Tischen und Bänken im Freien eingerichtet hatte, ein Akt der Stadtsanierung, nachdem es im alten Pavillon jede Nacht gebrannt hatte. Junkies, Drogenhändler, Alkoholiker jede Menge. Wild erinnerte sich an ein rauchgeschwärztes Gusseisengerippe aus der Gründerzeit, ein Monument sinnloser Auflehnung. Oder Auflehnung gegen die Sinnlosigkeit?

      Nun war alles proper, benutzerfreundlich. Vorbei die Zeit der Platzkonzerte.

      Nachts sah man jetzt junge Menschen in der erleuchteten Helle des nüchternen Pavillons zusammensitzen, sah sie und hörte nichts, wie auf den Bildern von Edward Hopper. Der Lärm war wegsaniert.

      Inzwischen waren alle jung geworden. Solche Leute wie sie beide, dachte Wild, wurden rücksichtslos an den Rand gealtert.

      Der Park und seine Anlagen waren nun clean, wie man hier sagte. Nur am Rand und auch nur tagsüber lagerten auf den Bänken noch ein paar letzte Säufer vor dem hundeverpissten Lebhag, Buchsbaum, der aussah, als wäre er tausend Jahre alt. Letzte Raucher mit ihren ewigen Plastiktüten, ihren Bierbüchsen.

      Die jungen Frauen schoben ihren Kinderwagen an ihnen vorbei, als säßen die schon nicht mehr da.

      Borbakis Gesicht, zugewachsen hinter seinem Bart. Wir gehören zur Generation, die hinüber ist, dachte Wild, die jungen Männer vor Augen, ihre Kuriertasche schräg umgehängt, die Kuriertasche der fliegenden Boten, die sie auch beim Bier nicht ablegten. Ein Firmenname stand darauf, bei allen der gleiche: Freitag.

      Ich glaube, sagte Wild, sie trauen sich ohne ihren Computer nicht mehr ins Freie.

      Auf dem Fahrrad wehte die Tasche hinter ihnen her.

      Alles Freitage, sagte er, clean, proper, tüchtig. Ein bisschen Hasch, aber nicht zu viel. Viel Zeit für die Kinder. Mäßig im Alkohol. Schlafen auf flachen Matratzen am Boden. Foutonglück. Fluchen nicht.

      Ich wäre lieber Robinson gewesen.

      Die einsame Insel ist natürlich Kitsch, sagte Wild, aber so einen Saum um sich herum, ein bisschen Meer, das den einen von den andern trennt, dürfte man schon verlangen.

      Wild hatte an Einsamkeit gedacht, Borbakis sah sich auf einer solchen Insel gleich mit einer Schönen.

      Esther, sagte er, die Esther. Sie sei seine Zahnärztin gewesen, etwa gleich alt wie er. Von ihr sei, wenn sie sich mit dem Bohrer über ihn beugte, eine Wärme ausgegangen, so etwas wie eine Strahlung, unglaublich. Er habe nur noch angebohrt werden wollen von ihr. Sei trällernd in ihre Praxis gegangen, habe alles an den Zähnen machen lassen, was möglich war.

      Er meckerte.

      Ich hatte immer eine Begabung zum Musterpatienten, sagte Borbakis, als sei das ein Verdienst. Er wollte in allem etwas Besonderes sein, trug sein Gran des Fremden wie eine Monstranz vor sich her.

      Wir trafen uns nach der Behandlung bei einem Asiaten, sagte er, um die Ecke, im Shanghai. Bier her!, die Losung. Erst ein schäumendes Tsingtao gegen die langsam nachlassende Anästhesie, dann das scharfe Essen und die klein geschnittene Ware, das habe sich ideal mit der Rückkehr zum gewohnten Biss ergänzt. Am Ende des Essens sei er zugleich gesättigt und wieder auf dem Damm gewesen.

      Übrigens sollte man endlich eine Pille erfinden, sagte Bor­bakis, die einem das Gefühl des ersten Schlucks Bier an einem Tag vermittelt, den ersten Schluck und immer wieder nur den.

      Einmal gingen wir abends aus …

      Borbakis schaute Wild zweifelnd an, als ob er es sich überlegen würde, ob der solcher Mitteilungen überhaupt würdig sei. Als er sich entschloss, weiterzufahren, war das gewiss nur deshalb, weil er im Augenblick keinen besseren Zuhörer hatte.

      Borbakis schaute zum Fenster hin, auf die halbhohen Spitzenvorhänge, die davorhingen.

      Ich durfte bei ihr schlafen, sagte er, als ob er es sich nur gewünscht hatte; sie ließ mich in ihr Bett, und ich lag eng an ihrem Rücken, und ich spürte diese wahnsinnige Wärme.

      Einmal tanzten wir in einem kleinen Lokal, wie ineinander verwachsen, zwei Bäume, die zusammen in die Ewigkeit wollen. Sie war Esther, und sie wollte, dass ich sie verführte.

      Es war eine kurze Zeit. Ich war nicht wirklich verfügbar. Und nur ein Abenteuer sein, das wollte sie nicht. An dem Abend, bevor wir uns trennten, sagte sie: Du bist ein Arschloch. Mit uns wäre es gegangen. Sie konnte sehr klar sein, sehr trocken.

      Es sei merkwürdigerweise diese Hitze gewesen, die von ihrem Rücken ausging wie von einer Wärmelampe, an die er sich später am deutlichsten erinnert habe.

      Da saßen sie nun. Es war ihr Park. Ihre Grünfläche. Ihre Bronzepferde. Sie waren großzügig, kleine Kinder durften auf ihrem Rasen spielen.

      Drüben am Lebhag noch die paar Restalkoholiker.

      Die Liebe, ach ja. Wild erzählte nie von solchen Dingen. Da schwieg er ganz hörbar. Zu zart, zu schwierig.

      Ihm waren die Männer zuwider, die ihn mitnehmen wollten in ihre Intimitäten, zwischen ihre Geschlechtsteile und die ihrer Opfer. Habe die aber wohl immer schon angezogen, dachte Wild.

      Er sah im Borbakis-Mondgesicht jedes Barthaar gesondert von dem anderen; schon wieder war ihm das alles zu nahe.

      Sie nehmen es wohl für Liebe, sind geschlechtsreif geworden, immer erregt, ohne dass ihnen ihr Gemüt dabei folgen könnte. Vielleicht brauchen sie keines.

      Niemand weiß, was Liebe ist. Was hatten der heilige Franz und seine Clara miteinander? Wen geht es etwas an?

      Wild hatte im Rundfunk eine Textilarchäologin gehört, die von der Restauration der letzten Kutte des Franziskus erzählt hatte. Es sei in der katholischen Kirche Gesetz, dass eine Reliquie nach ihrer Weihung nicht mehr verändert werden dürfe, man könne also davon ausgehen, dass das, was man später finde, den Originalzustand bei der Einsargung wiedergebe.

      Nun, sie habe die Kutte des heiligen Franz kürzlich untersucht, berichtete die Archäologin, und dabei Flicken am zerlöcherten Saum festgestellt, Stoffflecken, die aus einem anderen Gewebe gestammt hätten. Und offenbar kurz vor der Grablegung aufgenäht worden seien.

      Die Flicken stammten, das habe sie dann nachprüfen können, aus der Kutte der Clara – dort habe das entsprechende Stück Stoff gefehlt. Kein Zweifel, stellte die Archäologin fest: Clara hatte die Kutte des Toten noch einmal in die Hand genommen, ein letzter Liebesdienst. Franziskus sollte nicht mit einem zerlöcherten Gewand in die Ewigkeit eingehen. Clara hatte mit dem Stoff aus ihrem Rock die Löcher in seiner Kutte verdeckt.

      Wenn es auch das letzte Hemd war, ganz sollte es wenigstens sein. Das gab sie ihm mit auf die Reise.

      Borbakis und seine Esther, nun gut.

      War Wild neidisch? Auf solche Kerle wie diesen Nikos? Wild hatte seine Träume, eigentlich immer denselben Traum. In diesem war er mit einem Mädchen, immer demselben, oder waren es mehrere untereinander ähnliche? Mit dem Mädchen hatte er eine Zärtlichkeit gemeinsam, etwas Vertrautes, das erwidert wurde; Berührung, Umarmung. Aber vor allem Berührung. Wenn er erwachte, wusste er für kurze Zeit, dass er eigentlich noch liebesfähig gewesen wäre.

      Das andere, das Borbakische fehlte ihm. Der Überwältiger. Das wollte er nicht. Aber das vermisste er dann doch, dieses Gefühl, vom Weibe zu kommen. Herauskrabbeln aus dem Begrabensein, das man nicht einmal mehr gespürt hat, so sehr war es das Normale geworden und alltäglich. Fern aller Berührung, die Abenteuer gewesen wäre.

      Wild erinnerte sich, oh ja, wie er einst, am frühen Morgen, aus einem Hotelzimmer kommend, die Treppe herunterkam ins Frühlicht. Oben schlief die Frau noch.

      Auf der Treppe war er voller Hochgefühl gewesen, erlöst, und grüßte wie höhnend den Portier, der missmutig salutierte. Herrenbesuch war nicht vorgesehen im Einzelzimmer, und Wild hätte gern einen Federhut geschwenkt gegen den Missmutigen, ein Barett geschwungen, so dankbar war er für diese Nacht, die keineswegs schäbig, sondern einfach und bei Gelegenheit dem Glück abgestohlen, vielleicht sogar ein bisschen


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