Immer ist alles schön. Júlia Wéber

Immer ist alles schön - Júlia Wéber


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      Ist schon gut, sage ich zu Mutter, die sich nicht bewegt, und nehme ihre und meine Tasche. Bruno nimmt das Buch.

      Wir gehen durch die Fichten. Über den Rasen gehen wir fort.

      Der Koloss steht neben der Hütte, lächelt ein Kolosslächeln am Telefon. Seine Körperabdrücke sehe ich im Gras neben dem Motorboot mit dem Namen Susanna.

      Beim Vorübergehen an seiner Hütte kommt aus dem offenen Fenster der Geruch von Paprikachips und kaltem Zigarrenrauch. Auch vermischt sich ein süßlicher Menschengeruch mit dem Geruch der Gülle. Sein Klappbett steht in einer Spinnwebenecke, Kissen und Bettbezug mit Löwenkopf, der Löwe darauf schreit. Das Poster einer Frau im silbernen Bikini hängt über seinem Tisch und über dem Bett das Bild von Mohn. Das Safarihemd liegt auf dem Bretterboden, da, wo die dunklen Flecken waren, sind jetzt Salzränder. Auf dem Schreibtisch die militärgrünen Ordner, zerkaute Bleistifte, ein Locher, ein einziger Stuhl am Tisch.

      Sein Blick ist in unserem Rücken, als wir das Areal verlassen. Koloss, Hütte und Hund bleiben zurück, nach Hund und dem Inneren des Menschen riechend. Ich habe den Hund nicht gesehen, ich habe seine Abdrücke neben den Abdrücken des Kolosses im Gras vor der Hütte gesehen.

      Ich stelle mir den Koloss vor, wie er im Bett liegt und mit seiner Mutter telefoniert. Er streichelt beim Telefonieren mit der freien Hand seinen über den Bund hängenden Bauch. Er hebt den Bauch an und lässt ihn fallen, hebt ihn an, lässt ihn fallen. In der Fensterscheibe sieht er sein Spiegelbild, vermischt mit Rasen und Feldern, dahinter, draußen wartet der bellende Hund.

      Ich stelle mir die Brote vom Koloss vor, die Butterbrote. Seine Zehen bewegen sich, wenn er kaut, und unter ihm sitzt der Hund, wartet auf das Herunterfallen der Brotstücke, und da, wo sie sitzen, vor dem Häuschen, sind ihre Abdrücke im Gras, ist der Rasen dunkel.

      Der Koloss, der das Boot namens Susanna abspritzt. Der Koloss, der sich danach auf seinen im Gras hinterlassenen Abdruck legt und wartet. Der Koloss, der die Frau im Bikini betrachtet, die in seinem Raum hängt, die er ebenfalls Susanna nennt. Sein Tag, der mit Sonnenlicht und Güllegeruch beginnt. Sein Tag ist warm. Der Koloss schwitzt neben seinem hechelnden Hund, er schwitzt in den Abend hinein und schwitzt über den Nudeln, die er sich kocht auf einer Herdplatte in der Ecke. Er schwitzt und schiebt Dinge in sich hinein. Würstchen, Nudeln, Brot, Bier. Der Koloss sitzt vor dem kleinen Fernseher. Bilder von tanzenden Frauen und um sie herumtanzenden Männern, von Auswanderern und Verwandten und von Streit und Liebe, Küssen. Der Koloss wird größer und voller von den Bildern, von den Broten und Würsten. Bald ist sein Bett zu klein, und er bringt den Hörer kaum ans Ohr, seine Arme sind zu dick, die Finger, um den Hörer zu halten. Die Abdrücke wachsen vor dem Haus. Er versucht, den Hund zu streicheln. Am Abend schiebt er Dinge in sich hinein. Ein Brot, zwei Brote, drei Brote, viele Brote, während die Frauen und Männer am Strand tanzen, während auf den Bildern die Sonne untergeht und Palmenblätter sich vor dem Sonnenuntergang bewegen. Auch beim Koloss verschwindet die Sonne, er wird größer und größer. Er füllt den Raum, kann sich nicht mehr bewegen. Er sieht seine Arme nicht, die Beine nicht, den Bildschirm sieht er nicht. Der Koloss kann die Tür nicht öffnen, durch das Fenster kommt der Sommergeruch, kommt ein feiner Wind hinein und streichelt ihn am Bein. Und das Telefon klingelt irgendwo unter seinem Fleisch.

      Zu Hause streichle ich, bei Mutter im Bett liegend, ihren Rücken. Sie schläft. Ich schreibe Mutter einen Brief.

      Liebe Mama,

      bei uns im Treppenhaus riecht es nach alten Sachen. Nach altem Öl oder nach alten Spaghetti, nach Kleidern. Aber in unserer Wohnung riecht es gut und ist es hell. Ich bin sehr gerne hier.

      Deine Anais.

      Bruno und ich betrachten das Sonnenlicht, das in der Küche in der Form des Fensters über den Tisch wandert und über den Beton des Balkons. Wir nennen es das schleichende Licht. Wir zupfen Haare und Staubbällchen von unseren Socken, lassen Staubbällchen und Haare zu Boden segeln. Wir schließen Wetten ab, wo sie landen werden, und pusten, um sie dorthin fliegen zu lassen. Wir ziehen mit dem Finger die Milchhaut von der Milch, streichen sie an der Unterseite der Sitzfläche unserer Stühle ab. Wir spucken vom Balkon. Wir denken darüber nach, dass es in uns warm ist, dass es in uns warm ist und wir dennoch frieren. Wir denken darüber nach, dass man nicht mehr weiß, wo der eigene Körper beginnt, wenn das Außen gleich warm ist wie man selbst. Wir halten zum Beweis unsere Hände in lauwarmes Wasser und finden die richtige Temperatur nicht. Wir stellen fest, dass ich innen wärmer bin als Bruno. Wir suchen nach fremden Orten, wir sitzen auf dem Balkon und zählen die Kaugummis an der Reckstange im Hof: 197.

      Dann steht Mutter nackt im Flur. Ihr Oberkörper wankt, als wäre sie ein Baum und als gäbe es Wind in der Baumspitze. Hinter ihr die Bilder an der Wand. Hinter ihr sie selber noch einmal nackt, hinter ihr die Wolke in Tassenform, hinter ihr ein Fahrrad mit winzigen Rädern. Ich erinnere mich, wie Mutter mit dem Bild vom Fahrrad nach Hause kam, wie sie es unter ihrem leuchtend roten Pullover hervorgenommen hat, wie sie gesagt hat, es regnet.

      Das weiß ich noch, weil von Mutter das Wasser auf den Boden tropfte, und sie hat uns angesehen, dann auf das Bild, dann wieder uns, wieder das Bild, als hätte unser Dasein etwas mit den Proportionen des Fahrrads zu tun. Das Wasser tropfte von ihrer Nase und den Schultern, den Armen zu Boden und bildete dort kleine Lachen, es lief auch in die Rillen des Bodens hinein. Mutter war aufgeweicht und sah Bruno und mich an, wie wir im Schlafanzug vor ihr standen. Sie hat das Bild vorsichtig auf den Boden gelegt und uns dann gefragt, ob wir vielleicht kurz zu ihr kommen könnten, dann hat sie uns lange umarmt, ich erinnere mich an das langsame Nasswerden meiner Brust, des Bauches und der Arme. Ich erinnere mich, dass es gar nicht unangenehm war, nass zu werden.

      Jetzt liegen ihre Haare als Vorhang vor dem Gesicht, und sie atmet durch den Mund. Sie legt Arm und Kopf an den Türrahmen. Durch ihr Haar hindurch blickt sie irgendwo in die Küche oder in irgendeine Küche hinein.

      Hallo Tierchen, sagt sie, neben ihrem Gesicht klebt ein halb ab­gekratzter Pferdekopf, und dann geht sie ins Bad.

      Später nimmt der Wind das Vogelbrot vom Balkongeländer. Später lässt der Wind Werbeprospekte durch den Innenhof fliegen. Später ist Mutter noch immer unter der Dusche, und auf Brunos Schlafanzug ist noch immer das Monster mit den vielen Beinen. Ich stehe vor dem Bad.

      Alles gut?, frage ich und klopfe an die Tür.

      Mutter antwortet nicht.

      Alles gut?, frage ich.

      Das Wasser fällt.

      Geht es dir gut?

      Nur das Geräusch vom Wasser, das auf Mutter und in die Wanne fällt. Das Plätschern, durch das ich weiß, dass sie steht. Ich frage Bruno, was ich tun soll, setze mich auf den Boden, weil ich zu unruhig zum Stehen bin, stehe auf, weil ich nicht sitzen kann, setze mich, weil ich nicht stehen kann. Bruno weiß es nicht, obwohl er viel weiß. Bruno weiß, wie hoch die höchste Brücke der Stadt und wo der tiefste Punkt des Meeres ist.

      Ich gehe zurück. Ich schlage die Faust gegen die Tür, bewege die Türklinke auf und ab. Drinnen das Plätschern.

      Es wächst draußen am Himmel eine fantastische Wolke, sie wächst in den Himmel hinein, ist hinten schiefergrau und vorne weiß. Und Frau Wendeburgs weiche Katze sitzt auf den Briefkästen, in ihrem Fell spielt der Wind. Und draußen geht Frau Wendeburg in ihrem grünen Wollmantel durch den Hof. Sie hält sich selbst im Arm, und sie schaut nach oben, an die Fassaden der Häuser. Sie sieht aus, als wäre sie allein auf der Welt, und würde ich hinausgehen und sie grüßen, könnte es sein, dass sie erstaunt wäre darüber, dass es mich gibt. Und neben ihr im Hof steht der Baum allein und hinter ihm sein Schatten.

      An Frau Wendeburgs Arm tanzt der Leinenbeutel im Wind.

      Als das Plätschern endlich endet, höre ich den Duschvorhang, der zur Seite geschoben wird, höre Mutter den Spiegelschrank öffnen und schließen, ich höre Bruno, wie er sich ankleidet, wie er sein Taschenmesser von der Kiste neben dem Bett nimmt und es in der Hand dreht, dann am Hosenbund befestigt, seine Hand auf den Fuchs legt. Ich sehe ihn, wie er einmal über das Fell des Fuchses streicht. Der Fuchs, der innen kalt ist, den Mutter uns mitgebracht hat, der neben unserem Hochbett


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