Immer ist alles schön. Júlia Wéber

Immer ist alles schön - Júlia Wéber


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wegen Fernseher und Licht. Sie roch nach Kräutern, Frau Wendeburg, auch nach Rose, auch nach der Katze und nach Vergangenheit roch es da, wo Frau Wendeburg war. Sie kennt das durch die Wand fließende Wasser, wenn Mutter nach dem Bad den Stöpsel zieht.

      Und Frau Wendeburg schaut nach draußen zu mir. Sie lächelt, ich sehe ihr kreisrundes Gesicht an der Scheibe, darin das Lächeln, das unheimlich ist, weil es nirgends hingeht, niemanden meint, der da ist.

      Und sie steht auf, stößt mit dem Kopf gegen den Lampenschirm, das Licht geht hin und her, hin und her, Licht und Schatten liegen abwechselnd auf Frau Wendeburg, die zu tanzen beginnt. Ich sehe, wie sie die Arme hebt. Sie tanzt zu keiner Musik, und sie tanzt mit jemandem, langsam. Frau Wendeburg mit dem Kopf an eine Brust gelegt. Sie geht mit dem Licht der Lampe hin und her, tritt von einem Fuß auf den anderen. Hinter ihr glänzt die Küchenablage silbern. Hinter ihr dampft das Wasser im Teekocher. Der Dampf steigt hoch, es sammeln sich Tropfen am Kunstholz des Küchenschranks und fallen wieder. Neben ihr sind die Blumen auf dem klebrigen Plastiktischtuch grün und rot; auf dem Tischtuch steht die Pfeffermühle, und um die Mühle herum liegt Pfefferstaub. An der Wand ein Bild im Goldrahmen, ein Bild von Frau Wendeburg mit einer weißen Katze auf dem Sofa im Wohnzimmer, das Sofa ist braun.

      Frau Wendeburg riecht nach Rose.

      Der Lampenschirm steht jetzt still, das Licht, keine Tropfen mehr am Küchenschrank. Das Unwetter ist weitergezogen, an der Stadt vorbei. Noch zweimal weit weg ein leises Donnern. Als es draußen finster ist, löscht sie das Licht.

      In unserer Wohnung sagt Mutter, dass sie froh sei, dass ich da bin. Sie habe sich Sorgen gemacht.

      Aber warum?, frage ich.

      Weil es regnet, sagt sie.

      Aber es regnet nicht, sage ich.

      Doch, bestimmt, sagt sie, und dass ich Bruno sagen soll, er solle sich endlich waschen.

      Ich sage Bruno, dass er sich waschen soll.

      Bruno sagt, Nein, er habe keine Lust, sich zu waschen.

      Aber duschen kannst du dich, das ist angenehm, sage ich.

      Aber duschen möge er nicht, sagt Bruno, das Wasser sei immer kalt oder heiß. Drehe man es kühler, werde es kalt, und drehe man es wärmer, werde es heiß, und so könne er sich niemals entspannen, und er möge es nicht, wenn ihm Wasser über das Gesicht laufe, dann hätte er das Gefühl, er müsse sich fortwährend das Gesicht trocknen.

      Wasch dir wenigstens die Füße, sagt Mutter, wenigstens das könntest du für uns tun.

      Bruno reibt sich die Füße mit Seife ein, ich betrachte mein Gesicht im Spiegel und sage ein paar Sätze, die ich zu Peter sagen könnte.

      Gestern habe ich bei Regen unter der Linde gestanden, und es roch nach Schnecke, sage ich. Gestern habe ich unsere Nachbarin tanzen gesehen mit ihrem Mann, den es nicht gibt. Ich möchte nie so tanzen müssen wie sie. Und du?

      Peter, sage ich zu mir im Spiegel, meine Mutter ist eine wun­derbare Tänzerin, und ich mag es, wenn du von deinem Apfel so große Stücke abbeißt, dass man die Stücke an deiner Wangeninnenseite noch erkennen kann.

      Bruno sagt nichts, aber ich spüre seinen Blick am Hinterkopf. Im Spiegel sehe ich seine eingeseiften Füße. Ich drehe mich nicht zu ihm um, sehe nur die Füße.

      In die Küche fällt das Morgenlicht. Bruno sitzt neben mir, das Gesicht auf die Tischplatte gelegt, schaut an die Wand. In der Ecke der Küche hängt seit gestern Nacht ein silberner Vogelkäfig. Ich habe Mutter gehört, als sie nach Hause kam in der Nacht mit dem Käfig und einem unaufhörlichen Kichern, einer Männerstimme neben sich im Flur und in der Küche und in ihrem Zimmer. Einen Vogel gibt es nicht, nur ein kleineres Vogelhaus im Vogelkäfig. Wir hören den Fernseher aus Frau Wendeburgs Wohnung und ein leises Schnarchen aus Mutters Zimmer, das nicht Mutters Schnarchen ist. Wir hören auch, wie unsere Füße die trockenen Brotkrümel und die Reiskörner am Boden verschieben. Bruno hat sein Gesicht an meinen Arm gelegt, er versucht pustend, die Härchen aufzurichten.

      Ich habe versucht, Peter zu ignorieren, aber Peter hat es nicht bemerkt. Er hat nicht bemerkt, wie ich das Bein angewinkelt und gelacht habe, dabei meine feinen Finger in seine Nähe streckte, wie ich mich überhaupt gestreckt und den Bauch eingezogen habe, wenn er sich in Sichtweite befand, und wie ich in meiner gelben Lieblingsleggins ein Rad geschlagen habe, als er mit seinen Freunden in meine Richtung schaute. Er hat nicht bemerkt, dass ich mir Zöpfe geflochten und Ohrringe habe stechen lassen für Weihnachten und Geburtstag zusammen. Er hat nicht bemerkt, wie ich nicht bemerkt habe, dass er ein Tor geschossen hat. Er hat nicht bemerkt, wie ich eine Woche lang vor dem Schlafengehen kein Brot mit Butter gegessen habe. Er hat nichts bemerkt, bis ich einfach zu ihm hingegangen bin und ihn gefragt habe, ob er mit mir reden will. Einfach so, und dann bin ich schnell wieder weggegangen. Meine Ohrläppchen haben geschmerzt, und die Pausenglocke hat mir auch wehgetan.

      Du hättest vielleicht warten sollen, bis er antwortet, hat Tina gesagt. Tina trägt ihren Pullover oft falsch rum, nicht absichtlich, gerade das gefällt mir.

      Und? Habe ich Peter in der nächsten Pause gefragt, und er hat die Augenbrauen hochgezogen; um ihn standen seine Freunde als Leibwächter. Sie trugen farbige Turnschuhe mit an der Seite reflektierenden Streifen, und an der Seite des Kopfes sind sie rasiert, alle. Peters rasierte Kopfseite ist viel weicher, aber das sage ich ihm nicht.

      Und?, habe ich gefragt.

      Ich hatte die Füße aneinandergelegt und schwankte deswegen wie ein Hochhaus. Hin und her und hin und her. Ich habe Schweiß unter den Armen gehabt.

      Geh und friss, sagte einer.

      Die anderen standen breitbeinig um uns herum und haben die Hände unter die Achseln geklemmt. Sie haben die Ar­me auf der Brust gekreuzt. Peter hat das auch gemacht, aber bei ihm sah es nicht blöd aus.

      Ich habe sie ignoriert, habe Peter fest betrachtet.

      Die Augen habe ich angeschaut, die braun sind wie das Braun unseres Tisches in der Küche, über den ich darum manchmal streiche mit den Fingern und an Peter denken muss. Und die weiche Lippe habe ich angeschaut, die weich ist wie die Kissen in Mutters Bett.

      Mutter hatte einmal gesagt, arme Idioten gibt es immer und überall. Daran habe ich in diesem Moment gedacht. Die Idioten haben mich ausgelacht. Peter hatte seine schönen Augen, die mich ansahen.

      Wenn meine Oberschenkel auf der Sitzfläche des Stuhls aufliegen, dann sind sie fünfmal so breit wie meine Arme. Bruno hat sich aufgesetzt, seine Augen sind geschlossen. Seine knochige Schulter berührt meine.

      Ich bin erschöpft, sagt er und trinkt in kleinen Schlucken seine Milch. Dann legt er sich auf den Küchenboden.

      Er hat Ja gesagt, ganz schnell und leise. Ja hat er gesagt, und ich bin davongelaufen.

      Jetzt hat er Ja gesagt und kann nicht mehr Nein sagen.

      Tina strahlte mich an, sie gab mir einen Klaps auf den Po.

      Bravo, sagte sie.

      In mir haben alle geklatscht. Ich bin zu Bruno gelaufen, der klein in einer Ecke des Schulhofs saß. Er hat hochgesehen mit dem schweren Buch auf den Knien, an seinem Hemdkragen hing ein schwarzes Haar, das habe ich ihm liebevoll entfernt.

      Er hat Ja gesagt, sagte ich.

      Hat er?

      Ja, hat er. Laut und lachend, sagte ich.

      Das glaub ich dir nicht.

      Nicht laut und nicht gelacht, aber Ja.

      Gut, sagte Bruno und nickte langsam.

      Mutter kommt in die Küche und stößt den Vogelkäfig an, er schaukelt leer hin und her und hin und her. Und wir schauen ihm dabei zu, und Mutter zeigt auf den Käfig. Und sie streicht dem auf dem Boden liegenden Bruno mit dem Fuß über den Rücken.

      Ein ganz hervorragender Morgen, sagt Mutter und geht auf den Balkon hinaus. Sie streckt die Arme von sich.

      Ich liebe euch, sagt sie.

      Ich


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