Immer ist alles schön. Júlia Wéber

Immer ist alles schön - Júlia Wéber


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mit mir reden wolle. Er schweigt, während ich ihm einen Zahnpastapunkt auf die Nase mache und während wir im Bett liegen, während wir beide schweigen und wach sind, was ich daran merke, dass die Stille zu still ist für Schlaf.

      Auf dem Wannenrand sitzend, betrachten wir uns im Spiegel und suchen in unseren Gesichtern die Gesichter unserer Väter. Ich finde die Wangenknochen meines Vaters und Bruno die Augenwimpern seines Vaters. Mutter steht im Flur und hängt ein Bild eines Kranichs an die Wand.

      Der Kranich sei das Tier der Weisheit, sagt sie und, Brunos ­Vater sei ein rothaariger Mann gewesen, einer mit einem schönen Gesicht, das Schöne an seinem Gesicht sei gewesen oder sei es immer noch, dass die Gesichtshälften ungleich gewesen seien. Er habe mit nur einer Gesichtshälfte gelacht.

      Wo er wohl jetzt sei, fragt Bruno, ganz beiläufig soll es klingen, geradeso, als ob es ihn nur wenig interessiere.

      Mutter sagt, sie hätte ihn im Wald getroffen, aber da sei er jetzt bestimmt nicht mehr.

      Was er denn wohl im Wald getan haben könnte, damals? Fragt Bruno noch immer geradeso, als ob es nichts zu bedeuten hätte.

      Ach Tierchen, sagt Mutter und macht das Gesicht zu, wie die Geschäfte in der Innenstadt am Abend die Rollläden vor den Schaufenstern runterlassen.

      Aber dann öffnet sie das Gesicht noch einmal, Rollladen hoch, ganz unverhofft, wie es manchmal bei ihr passiert, wenn sie über etwas nicht reden will, aber doch reden will, nicht mit uns, aber eben nur uns zum Reden hat.

      Mutter sagte einmal, als Mutter müsse man sich ein Geheimnis bewahren, eines das, wenn man es verrät, der Mutter das Muttersein nimmt und dem Kind das Kindsein. Zwischen Mutter und Kind müsse etwas offenbleiben über die Welt der Mutter ohne Kind.

      Ich frage sie, ob mein Vater das Geräusch und den Geruch vom Regen mochte.

      Wir reden nicht von deinem Vater, sagt sie.

      Das weiß ich, aber mochte er den Regen?

      Das wisse sie nicht, sagt Mutter, und dass er nie über den Regen geredet habe außer darüber, dass er nass sei vielleicht und dass man wegen der Nässe besser drinnen bleiben sollte. Er mochte den Regen nicht, sagt sie, er mochte die Welt allgemein nicht sehr, er mochte eher die Gedanken an die Welt, vielleicht, die Welt als Karte, aber nicht das Berühren der Weltoberfläche. Nicht die Beschaffenheit der Welt.

      Und weil es regnet, findet Mutter, sollten wir nach draußen gehen. Bruno und ich, und Mutter als Mutter zwischen uns. Wir gehen unter einem Regenschirm bis ans Ende der Straße und dann weiter in den Wald. Wir grüßen alle Menschen, die wir treffen, einige grüßen zurück. Wir grüßen die kleinen Menschen, die großen, Hunde, Amseln, Krähen, Katzen, Mutter singt. Wir berühren den Weg, die Verkehrsschilder, die Plakatwände, die Gesichter auf den Plakatwänden und die Bäume, die Blätter, Stämme und Schneckenhäuser, Nacktschnecken, das Moos, bauen im Wald eine Hütte, die zu klein ist für ein Kind, auch für ein Nagetier, und in sich zusammenfällt, bevor sie fertig gebaut ist.

      Brunos Brillengläser sind angelaufen, und er ist hungrig. Dass er hungrig ist, merke ich daran, dass er sich auf einen umgestürzten Baum setzt und mit den Fersen an der Baumrinde scharrt. Er stochert auch mit einem Ast im Laub und scheint nicht zu bemerken, dass er nasser und nasser und nasser wird.

      Wir laufen durch den Wald bis zu einem Sportplatz. Im Vereinslokal setzen wir uns an einen Tisch. Mutter schaut sich den Tisch genau an, sie fährt mit den Fingern den eingeritzten Zeichnungen nach. Sie schaut zu den Wänden, zu den Schals und Wimpeln an den Wänden. Sie schaut zu den verstaubten Pokalen und geht zur Toilette und kommt zurück.

      Hier riecht es nach Senf, Fleisch, aufgeweichtem Karton, altem Bier und Schweiß. Der Wirt ist dick und äußerst langsam, er schlurft mit Bratwurst und Brot zu unserem Tisch. Mutter schaut auf ihre Hände, als müsste sie diese erst verstehen, bevor sie die Wurst schneiden können. Dann schaut sie zum Wirt, als müsste sie ihn und er sie kennen. Aber der Wirt erkennt sie nicht, er steht hinter seinem Tresen und schaut in den Fernseher, der über dem Eingang des Lokals hängt. Im Fernseher läuft ein Billardspiel. Ein fein gekleideter, asiatisch aussehender Herr geht um den Billardtisch herum, versenkt alle Kugeln. Der Wirt nimmt die Fernbedienung, schaltet um. Fußball. Bruno reinigt seine Brillengläser mit einem Stück seines Unterhemdes, so kann ich seinen weißen Bauch sehen. Ich lege meine kalte Hand auf seinen Bauch, er erschrickt und knurrt. Ich esse die Wurst und schaue nach draußen auf das Spielfeld. Der Regen fällt auf den Kunstrasen, dahinter ist der Wald dunkelgrün, und dicht über den Spitzen der Tannen bewegt sich ein Nebelteppich langsam nach links. Mutter und Bruno kauen still die Wurst, tauchen die Wurststücke in Senf, reißen Stücke vom Brot. Und ich frage mich, ob Mutter einen Freund haben will.

      Will Fred gerne dein Freund sein?, frage ich.

      Ich glaube schon, sagt Mutter, was denkst du?

      Ja, sage ich, ich glaube auch.

      Und was hältst du davon?, fragt Mutter.

      Er ist nett, sage ich, aber ich kenne ihn nicht.

      Und er wünscht uns gedanklich nicht fort, sagt Bruno.

      Natürlich nicht, sagt Mutter, das würde ich nicht zulassen, so was.

      Das stimmt so nicht, sagt Bruno.

      Und du?, frage ich.

      Ich mag ihn, doch doch.

      Alle schauen wir ein wenig auf die leeren Teller.

      Findest du es schlimm, dass ich tanze?, fragt Mutter irgendwann und schaut Bruno an.

      Er schweigt.

      Du musst es mir sagen, sagt sie, unbedingt musst du das, wenn du es nämlich schlimmer fändest, als ich es schlimm finde, irgendeine andere Arbeit zu machen, dann müsste ich das unbedingt tun, eine andere Arbeit finden, meine ich.

      Wie sollen wir das aber feststellen können, wer von uns was wie schlimm findet und wie es im Verhältnis zum Schlimmfinden des anderen steht?, fragt Bruno.

      Im Wald ist es still. Das Knacksen von Ästen ist manchmal zu hören oder Flugzeuge beim Start oder Landeanflug. Im Wald ist es still. Bruno, Mutter und ich halten uns an den Händen. Wir gehen langsam zurück, sehen einen Specht beim Hacken, fünf Schnecken ohne Haus, einen Baum, der einer alten Dame gleicht. Wir sehen eine Maus und ein von einem Hund zerkautes Stück Holz. Wir sehen eine Frau mit einem in Plastik eingehüllten Kinderwagen, ein Regenschirm mit verbogenen Speichen liegt im Bachbett.

      Manchmal brauche ich einen anderen Weg, sage ich zu Bruno.

      Er hat seinen Rücken zum Buckel gemacht. Er kauert am Straßenrand, eine Kellerassel betrachtend, schaut grimmig zu mir hoch, der Wolf.

      Bruno sagt, sie kann ihr Hinterteil unabhängig vom Vorderteil bewegen. Sie ist schiefergrau und gelbgrau, sie hat zwölf Spaltfüße, die Kellerassel. Und eindrucksvoll ist, sagt er, dass ihre Körpertemperatur der Außentemperatur entspricht. Das heißt doch, dass sie von sich gar nichts weiß, das heißt, dass sie sich als Welt fühlt. Das heißt, es gibt für sie keinen Anfang und kein Ende ihrer selbst und überhaupt.

      Die Möglichkeiten der Kellerassel, sage ich bewundernd. Bruno sagt, ich gehe nun einfach nach Hause, jetzt, da du endlich da bist.

      Gut, sage ich, dann geh du einfach nach Hause, ganz gewöhnlich, ich gehe einmal einen neuen Weg.

      Gut, sagt Bruno, mach du das, aber am Leben ändert das nichts.

      Wer weiß, sage ich, vielleicht finde ich einen neuen Gegenstand.

      Der würde dann das Leben ändern?

      Ich möchte gar kein Leben ändern, ich möchte jetzt einen neu­en Weg gehen.

      Gut, dann geh doch, sagt Bruno.

      Ja, ich gehe jetzt, sage ich.

      Gut, sagt er noch einmal.

      Dann rennt er davon, der Wolf, mit seiner Magerkeit. Nur noch die nervösen Kellerasseln sind da, bewegen sich auf der freigelegten Fläche, wo vorher der Stein lag. Ich lege den Stein zurück,


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