Inspiration Schweiz. Группа авторов
die Berglandschaft im Berner Oberland mal unheimlich, mal lieblich in Szene setzt und wie die Jungfrau – der Berg – noch im Dunkeln weiterleuchtet.
In diese Fremdenverkehrskulisse hinein setzte er eine seiner berühmtesten und abgründigsten Figuren aus einem früheren Märchen, die Schneekönigin, und gibt ihr ein zweites Leben als Eisjungfrau. Die Schneekönigin, die den kleinen Kay in ihren Eispalast nach Spitzbergen entführt, wird von seiner treuherzigen Freundin, der kleinen Gerda, besiegt. Doch in der «Eisjungfrau» entkommt der Jüngling dem kalten Tod nicht. Bei einem Sprung in den Genfersee, am Vorabend der Hochzeit mit seiner Geliebten, erwischt ihn die Eisjungfrau in ihrer flüssigen Gestalt und zieht ihn zu sich in die Tiefe.
Dieser Jüngling heisst Rudy und ist ein tollkühner Gämsjäger, ein richtiger Bergler aus Grindelwald. Einer, der es liebt, «hoch oben in den Bäumen Vogelnester zu sammeln, verwegen und kühn, aber lächeln sah man ihn nur, wenn er an dem brausenden Wasserfall stand oder wenn er eine Lawine zu Tal donnern hörte». Das sind Spuren einer frühen Initiation in die Bergwelt, einer Nahtod-Erfahrung, die Rudy als Kleinkind beim Überqueren des Gemmipasses erlebte. Seine Mutter verschwand in einer Gletscherspalte, während er wundersamerweise überlebte. Der erwachsene Rudy verliebt sich in die charmante Walliserin Babette aus dem Dorf Bex, für die er sich als Held beweisen muss – eine Liebesgeschichte, die nicht nur Klassengrenzen überwindet, sondern auch den Röstigraben.
Für Andersens Verhältnisse ist die Liebe zwischen Rudy und Babette äusserst erotisch dargestellt. Die knisternde Ungeduld, mit der sie in der erhabenen Bergkulisse auf die Hochzeitsnacht warten, ist mit Händen zu greifen. Kay und Gerda aus der «Schneekönigin» bleiben dagegen immer «Kinder im Herzen» – nur deshalb dürfen sie zusammenbleiben. Das Begehren zwischen Rudy und Babette muss vor der Hochzeitsnacht durch den Tod in Sehnsucht zurückverwandelt werden. Hier zeigt sich, wie eng Andersens Selbststilisierung als unglücklicher Liebender mit einer Fixierung auf unerreichbare Frauen und Männer mit dem Kern seiner Poetik verbunden ist. Sexuelles Begehren öffnet der Verführung durch die Mächte des Todes Tür und Tor und lässt den Dichter verstummen. Nur wer im Herzen ein Kind bleibt, darf in Andersens Universum lieben – und schreiben.
Christine Lötscher
Der Mann, der Sherlock Holmes tötete
Die Reichenbachfälle sollten einer allzu erfolgreichen Serienfigur den Garaus machen. Doch der Autor hatte nicht mit der Liebe des Publikums gerechnet.
Meiringen ist ein ruhiger Ort im Haslital, fast möchte man ihn beschaulich nennen. Dramatisch wird es erst ausser- und oberhalb des Ortes, wo die Reichenbachfälle zu Tale brausen, insgesamt dreihundert Meter abwärts. Der spektakulärste in der Kataraktfolge ist der oberste Fall; wehe dem, der von dem Wassermassen erfasst und zu Tale geschleudert wird! Die beiden berühmtesten Opfer der Fälle – sie sind am 4. Mai 1891 hinein- und hinuntergestürzt – hat es allerdings gar nicht gegeben. Es sind Sherlock Holmes und Professor Moriarty, sein kongenialer Gegner, der «Napoleon des Verbrechens».
In «The Adventure of the Final Problem» erzählt Arthur Conan Doyle, der Schöpfer des legendären Detektivs, wie Holmes und sein treuer Begleiter Dr. Watson, verfolgt von Moriarty (oder vielmehr diesen hinter sich her lockend), durch die Schweiz reisen, von Genf durch das Wallis über den Gemmipass bis Interlaken und schliesslich nach Meiringen. Dort kommt es zum Showdown mit Moriarty, den beide nicht überleben, wie der verzweifelte Watson aus einem Brief entnehmen kann, den sein Freund hinterlassen hat. «Tief unten in dem tobenden Wasser und der ewig aufschäumenden Gischt wird für immer der gefährlichste Verbrecher aller Zeiten zusammen mit dem Helden der Gerechtigkeit Seite an Seite liegen», schliesst der Chronist die Erzählung, die die letzte sein sollte.
Wie kam es, dass der Zweikampf zweier Engländer ausgerechnet im Haslital stattfand? Die Reichenbachfälle waren schon im 19. Jahrhundert eine Attraktion, sie machten Meiringen zu einem «Top Shot» auf der Landkarte der englischen Touristen, auch wenn die das damals noch nicht so nannten. Laut Thomas Cook, dem massgeblichen Reiseführer, musste man auf der Brücke gestanden und in den Abgrund geschaut haben, wenn man in der Schweiz gewesen sein wollte, und Cooks Wort war Gesetz. Auch Arthur Conan Doyle stand hier an einem Augusttag des Jahres 1893, schwer beeindruckt, wie er sich in seinen Memoiren erinnert: «Es war ein schrecklicher Ort und ein, wie ich dachte, würdiges Grab für den armen Sherlock, auch wenn ich mit ihm mein Bankkonto begraben würde.»
Der eigentliche Mörder des Superdetektivs war natürlich nicht Moriarty, sondern sein Schöpfer: Er wollte ihn endlich los sein. Der Erfolg der Serienfigur wuchs ihm über den Kopf, wurde ihm unheimlich und lästig zugleich. Conan Doyle, eigentlich Mediziner, wollte als Autor historischer Romane berühmt und unsterblich werden, nicht mit Nebenwerken, wie er die Geschichten um den genialen Kriminalanalytiker betrachtete. Seit diese im «Strand» erschienen, einem Magazin mit Millionenpublikum, verdiente er nicht nur fürstlich daran, sondern wurde mit Briefen und Anfragen überhäuft, die viel häufiger gar nicht an ihn, sondern direkt an sein Geschöpf gerichtet waren: Er möge doch freundlicherweise in diesem oder jenem rätselhaften Kriminalfall tätig werden.
Der detailfreudige Realismus, mit dem Conan Doyle seine Figur und seine Gewohnheiten entworfen hatte, schlug zurück: Was so realistisch daherkam, musste real sein – und reale Hilfe leisten können. Im April 1892 schrieb der entnervte Autor an seine Mutter: «Ich stecke mitten in der letzten Holmes-Geschichte, nach der dieser Gentleman sich auflösen wird, um nie, nie wiederzukehren. Ich bin seines Namens überdrüssig.» Wie er Holmes loswerden würde, war ihm da aber noch nicht klar. Auch noch nicht, als er in die tosenden Reichenbachfälle blickte. Erst ein paar Wochen später ging ihm auf, welch ein idealer Ort dies für den Mord an seinem Helden war.
Conan Doyle war da schon weitergereist, nach Davos (wo er später, als erster Engländer, einen Alpenpass auf Ski überqueren und das Skifahren unter Engländern populär machen sollte). Zusammen mit einem Pfarrer namens Hocking machte er eine Gletscherbegehung, erzählte ihm von seinem Problem mit Sherlock Holmes, und Hocking schlug angesichts einer Gletscherspalte vor, den Mann doch dort hineinzuwerfen. (Auch zwei andere Geistliche beanspruchten übrigens die Anregerschaft.) Erst auf der Rückfahrt, schon in Paris (so schildert es jedenfalls Conan Doyles Biograf Andrew Lycett), ging dem Autor auf: Nicht die Gletscherspalte, der Wasserfall war das ideale Grab! Zurück in seinem Landhaus in South Norwood, schrieb er «The Final Problem», schickte es seinem Verleger und notierte befriedigt im Tagebuch: «Killed Holmes». Die Popseite seines Schaffens war er ein für allemal los.
Die Freude war voreilig. Als die Erzählung im Dezember 1893 erschien, reagierten die Leser entsetzt und wütend zugleich, und in einem völlig unerwarteten Ausmass. Hunderte von Briefen erreichten ihn erneut, aber sie begannen mit Sätzen wie «You brute!». 20'000 Abonnenten kündigten den «Strand», die Besitzer waren nicht amüsiert. Ausserdem liefen die historischen Romane nicht so gut wie erhofft. Dafür boten britische und amerikanische Verleger hohe Summen für neue Sherlock-Holmes-Storys. Conan Doyle kapitulierte und tat das, was unzählige Soap-Operas ihm nachtaten: Er liess den toten Helden wieder auferstehen.
Mit einem Spezialgriff einer japanischen Kampftechnik, erklärt er dem überraschten Dr. Watson und den beglückten Lesern, habe er sich im letzten Moment seinem Gegner entwunden, einen Felsvorsprung bestiegen und sich dann drei Jahre verborgen gehalten (in der Sherlock-Holmes-Forschung gilt diese Zeit als «Grosser Hiatus»; der Detektiv soll sie in Tibet, Persien und dem Sudan verbracht haben). Fortan löste er wieder Fall um Fall, und Conan Doyle produzierte und produzierte – er war das Geschöpf seines Geschöpfes geworden.
In Meiringen lebt Holmes noch heute, als Teil der touristischen Attraktionsstruktur: Auf dem zentralen Platz sitzt er in Bronze gegossen, den Kopf nachdenklich in die Hand gestützt; zünftig trinken kann man im Sherlock-Holmes-Pub, übernachten im Sherlock-Holmes-Sporthotel; und im örtlichen Sherlock-Holmes-Museum ist der Salon des unsterblichen Detektivs nachgebaut, mit Kamin und Lehnstuhl, Pfeife und Deerstalkerhut, Lupe, Reagenzgläsern und Violine.
Im Hotel Du Sauvage (im Vorgänger,