Tanner. Urs Schaub

Tanner - Urs Schaub


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mylady jetzt das Tierzeichen Oder …?

      Hör auf, Simon, du bist fad! Sag mir lieber, was ich tun soll, oder, wie du es etwas pompös nanntest: Was soll ich für dich recherchieren?

      Da hast du deine psychologische Raffinesse, Tanner!

      Sie leert ihre Tasse und holt sich den Rest der Schokolade mit dem Finger heraus.

      Hat's dir die Sprache verschlagen? Oder was?

      Nein, ich möchte nur untertänigst auch Schokolade von deinem Finger schlecken, flennt er in sich hinein.

      Er reißt sich zusammen.

      Also, wenn du eine Möglichkeit findest herauszukriegen, in welchem Hotel Raoul abgestiegen ist und … Moment mal! Hast du nicht mal erzählt, dass deine Tante irgendwie in einer Verwaltungsbehörde arbeitet. Vielleicht könnte sie herausfinden, wo Raoul Finidori jetzt lebt. Ob er überhaupt noch in Australien lebt und so. Natürlich war das Ganze ja vor etwa sieben Jahren, aber mit deiner Intelligenz, deinem Charme, deinem Aussehen …

      Stop! Simon! Ich sage nur: Vorsicht! Verdirb nicht wieder ganz am Schluss unser Treffen!

      Sie sagt das nicht unfreundlich. Ihm gefällt vor allem die Formulierung: Verdirb nicht wieder!

      Jetzt schau nicht so traurig, Simon. Ach, was fang ich bloß mit dir an?

      Sie guckt sich fragend in der Halle um, aber jeder der vorbeihastenden, Koffer schleppenden Zweibeiner ist genauso ratlos.

      Hör mal!

      Sie rückt näher und nimmt seine Hand. Er riecht ihr Parfum. Contradiction! Nomen est omen. Er muss es ja wissen, denn schließlich hat er es ihr geschenkt.

      Ich muss jetzt zu meinem Flugzeug. Ich werde in Australien für dich tanzen und für dich recherchieren. Ist das ein Angebot? Ich danke dir, dass du den weiten Weg gemacht hast, um mich zu sehen. Und ich melde telefonisch, falls ich etwas rausfinde über deinen Raoul Finidori. Und pass auf dich auf.

      Kuss links. Kuss rechts.

      Er gibt ihr noch einen dritten Kuss, denn schließlich muss man immer schön die Landessitten achten.

      Sie lässt sich vom Barhocker gleiten, dann dreht sie sich noch einmal zu ihm um.

      Bist du verliebt?

      Er schüttelt den Kopf.

      Also, Ciao … duuu …!

      Als sie schon einige Schritte gegangen ist, möchte er ihr am liebsten noch ein zärtliches quak hinterherschicken, wie sie es früher oft gemacht haben. Aber irgendwie hat es sich ausgequakt.

      Und zu der Krawatte hat sie auch nichts gesagt, philosophiert er tiefsinnig vor sich hin.

      Was wollen Sie noch? Ich habe Sie eben nicht richtig verstanden, bellt ihn der Kellner an.

      Die Rechnung, faucht Tanner zurück.

      Regel Nummer eins: Immer schön höflich bleiben!

      Vor allem, wenn man seine Brieftasche zu Hause vergessen hat, wie Tanner just in diesem Moment bemerkt.

      Nach einer Stunde zähen Verhandelns mit dem Kellner, mit dem Chef de Service und mit einer sauertöpfischen Geschäftsleiterin, unter Einmischung einer adretten Belgierin, die ihre Enkelkinder in der Weltstadt besucht hat, und eines besoffenen Primarlehrers aus der Hauptstadt, der auf dem Weg zu den kleinen Jungs in Nordafrika ist, wird er dann doch nicht standesrechtlich erschossen, wird auch nicht mit sofortiger Wirkung des Landes verwiesen, sondern man einigt sich auf eine Rechnung, zahlbar in zehn Tagen, zusätzlich einer Bearbeitungsgebühr.

      Das macht dann zusammen zwanzig Fränkchli!

      Die Schokolade und sein Bier kosten neun Franken!

      Erschöpft sucht Tanner den Weg zurück zum Auto und macht sich auf eine zweite Verhandlungsrunde am Schalter des Parkhauses gefasst. Zum Letzten bereit, stürmt er grimmig zum Schalter, wo ihn ein junger, unrasierter Mann im Trainingsanzug lächelnd erwartet.

      Ich habe mit voller Absicht meine Brieftasche zu Hause vergessen, damit ich mein Auto auf gar keinen Fall aus diesem Parkhaus herausbekomme, es gehört sowieso einem Freund und der möchte längst ein neues Auto. Hier ist mein Parkticket und jetzt verhaften Sie mich endlich.

      Der Mann lächelt immer noch, greift unter seinen Tisch.

      Jetzt holt er die Handschellen.

      Er streckt ihm ein Formular unter die Nase und lacht.

      Keinä Problema, gar keinä Problema. Du hier schraibe daine Namä und Strassä und du holän deinä coche.

      Tanner unterschreibt verdattert den Wisch.

      Es irrt der Mensch, solang er strebt! Tanner murmelt es vor sich hin, während er schreibt. Der junge Mann nimmt das Papier und lächelt verschmitzt.

      Goethä? Odär?

      Ja. Goethe. Und muchas gracias.

      De nada. Choder …

      Im Auto von Ruth und Karl riecht es nach Land und Stall. Tanner fühlt sich darin irgendwie zu Hause. Er fährt trotzdem nicht direkt auf die Autobahn, sondern gondelt unschlüssig Richtung Stadt. Er lässt sich, ohne ein Ziel zu haben, durch den Verkehr treiben. So im Sinne von: Ist die Spur nach links frei, fährt man nach links. Mit dieser Methode des geringsten Widerstandes landet er schließlich an einem Park am See und stellt das Auto auf einen Parkplatz.

      Dem Parkautomaten beichtet er demütig seine missliche Lage und er bildet sich ein, dass der graue Automat leise keinä Problema flüstert. Wenn du wüsstest!

      Tanner schlendert zum Ufer.

      Kein Mensch ist zu sehen. Alle sind auf dem Weg nach Australien. Er versteht das sehr gut. Er möchte ja auch dorthin.

      Das ist das nämliche Gefühl, das Tanner als Junge hatte: Die gesamte Menschheit aalt sich ausnahmslos im städtischen Gartenbad. Er alleine muss den mächtigen Haufen Abbruchholz, den sein Vater mittels seines Motorrads plus Anhänger, emsig wie eine motorisierte Ameise, in den Hinterhof ihres Hauses herankarrte, von Nägeln und anderen Eisenteilen befreien, zur Schonung der Säge, anschließend zersägen, von Hand, dann zerspalten und, sozusagen als Dessert, fein säuberlich im Keller nach genauen ästhetischen Vorschriften aufschichten.

      Sein Vorgänger im Altertum hieß übrigens Herr Sisyphos.

      Tanners Arbeit war tatsächlich keinen Deut sinnvoller. Als nämlich das Haus kurz darauf verkauft wurde, bauten die neuen Besitzer als Erstes sofort eine Zentralheizung ein und die ganze von ihm im Schweiße seines Angesichts und mit heißen Tränen der Ohnmacht aufgerichtete hölzerne Zikkurat wurde, ohne je seiner Bestimmung übergeben worden zu sein – er als Opfer und Priester in Personalunion – und ohne je in die Liste der Weltwunder aufgenommen zu werden, in der städtischen Kehrrichtverbrennung verbrannt.

      Mein Gott, Tanner, anstatt knietief und voller Selbstmitleid in deiner Vergangenheit herumzuwaten, solltest du dir lieber mal überlegen, was du als Nächstes vorhast!

      Er macht diese kleine, selbstkritische Anmerkung zu einer Möwe, die auf einem in den Seeboden gerammten Pfahl steht und ihm ängstlich zuhört. Erschreckt fliegt sie von dannen.

      Apropos Möwe!

      Tanner nestelt sein Telefon aus der Jacke und wählt die Nummer der Auskunft.

      Während er auf die Verbindung wartet, setzt er sich auf eine Bank, gestiftet von der Ornithologischen Gesellschaft. Ein Penner hat seine halb volle Weinflasche unter der Bank vergessen. Vielleicht hat er gerade entdeckt, dass er im Lotto gewonnen hat. Warum sollte er sonst die Weinflasche stehen lassen?

      Swisscom! Sie wünschen? Eine Frauenstimme plärrt in sein Ohr. Ich möchte bitte die Telefonnummer von einer Emma Goldfarb.

      Mehr weiß ich leider nicht! Es knistert und rauscht im Hörer.

      Tanner macht ein ebenso gespanntes Gesicht wie weiland Jodie Foster im Film Contact, wo sie vor den mächtigen Radioteleskopen


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